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Brandenburg: Doppelt ankreuzen für die Prognose

Am Sonntag war Wahltag: Beim Streifzug durch Potsdams Wahllokale trafen wir eine Wahl-Debütantin, einen alten Hasen und Gäste aus Afrika

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7112. An der Schultür klebt ein weißer Zettel, nur diese Zahl steht darauf. Ein Mann zieht die Tür auf, bleibt dann ratlos im Flur stehen. Es sind keine weiteren Hinweisschilder auf ein Wahllokal zu sehen. „Is aber gut versteckt“, sagt der Mann. Landtagswahl in Potsdam, es ist kurz nach ein Uhr an diesem grauen Sonntag. Immerhin, der Regen hat aufgehört. In der Galileistraße am Stern läuft ein weiteres Ehepaar auf die Tür des Leibniz-Gymnasiums zu, vergleicht die Zahl mit dem, was auf ihren Wahlbenachrichtigungen gedruckt ist, bis die Frau mit dem Kopf schüttelt. Falsches Wahllokal. Fündig werden die Wähler auf der Rückseite des Schulbaus, wo Pfeile auch den Weg in die verschiedenen Wahllokale weisen.

„Es geht eher schleppend voran“, sagt eine Wahlhelferin in dem Klassenzimmer, das das Wahllokal 7112 beherbergt. Gerade einmal 136 Wähler haben zur Mittagszeit schon ihre Kreuzchen gemacht; in der Wählerliste stehen fast 1100 Wahlberechtigte. „Bestimmt liegt’s auch am Wetter“, vermutet die Wahlhelferin. Dass die Brandenburger eher wahlmüde sind, bestätigen wenig später auch die ersten Zahlen zur Wahlbeteiligung: Brandenburgweit gerade mal gut 22 Prozent haben zur Mittagszeit schon gewählt – 13 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Landtagswahl.

Anders als damals dürfen diesmal auch die 16- und 17-Jährigen über den nächsten Landtag mitentscheiden. So wie Kimberly Schreier. Die 16-jährige Potsdamer Schülerin hat ihr neues Recht gleich doppelt wahrgenommen: Sie hat nicht nur gewählt, sondern sich auch als Wahlhelferin gemeldet. Auf eigenen Wunsch, wie sie erzählt: „Ich dachte, ich tue etwas Gutes.“ Nun ist sie Schriftführerin im Lokal 7112. Dass auch Schüler schon zur Wahl gehen können, begrüßt sie: „Ich finde es sehr wichtig, dass sich junge Leute für so etwas engagieren und sich bilden.“ 7.30 Uhr hat sie sich mit ihren anderen freiwilligen Kollegen im Leibniz-Gymnasium getroffen, gemeinsam Aufgaben verteilt, die Unterlagen vorbereitet, nach acht Uhr mit dem ersten Wähler die Wahlurne versiegelt. Seitdem heißt es: warten auf Wähler. Die reagierten positiv auf das junge Gesicht im Wahllokal, berichtet Kimberly Schreier. „Man lernt nette Leute kennen“, sagt sie – und meint auch ihre Wahlhelfer-Kollegen. Benjamin Heiner lächelt und nickt. „Man macht sich nicht kaputt“, sagt der 25-Jährige. Er ist zum zweiten Mal als Wahlhelfer dabei.

Am anderen Eingang der Schule ist etwas mehr los. Hannes Großmann reißt die Glastür für jeden Wähler auf: „Ich bin ihr Türöffner“, scherzt der 64-Jährige. Um den Hals baumelt an einem orangefarbenen Band ein Plastikkärtchen vom ZDF. Gemeinsam mit Michael Blume befragt Großmann die Wähler von Lokal Nummer 7109 für die 18-Uhr-Prognose des Fernsehsenders, die die Forschungsgruppe Wahlen e.V. erstellt. Es ist eines von insgesamt 18 Potsdamer Wahllokalen, in denen die Wähler für die Wahlprognosen vom ZDF, von der ARD oder von RTL doppelt ankreuzen sollen. Nicht jeder Wähler bekommt den Hochrechnungs-Umfragezettel in die Hand gedrückt. „Wir bitten jeden vierten“, erklärt Michael Blume, der eine Strichliste führt, um den Überblick zu behalten. Jetzt ist es wieder soweit, Blume gibt Großmann ein Zeichen. „Haben Sie 45 Sekunden Zeit fürs ZDF?“, fragt der die nächste Wählerin. „Kreuze machen für die Wahlprognose“, erklärt er. „Ach Gott“, sagt die Frau. „Wenn heute 18 Uhr die Prognosen kommen, können Sie sagen: ,Ich war dabei’“, sagt Großmann aufmunternd. Das überzeugt die Wählerin. Alle zwei Stunden zählen Blume und Großmann die Zettel aus und geben die Ergebnisse per Telefon durch.

Vor der Heinrich-von-Kleist-Schule in der Innenstadt steht ein schwarzer Kleinbus, es ist 14.30 Uhr. Wahlleiter Matthias Förster empfängt hochrangigen Besuch: Gäste aus Namibia, Südafrika und Botswana wollen sehen, wie gewählt wird in Deutschland. Die fünfköpfige Delegation ist auf Einladung des Auswärtigen Amtes schon seit Mittwoch in Deutschland, war im Bundestag, beim statistischen Bundesamt, bei politischen Stiftungen. Am Sonntag steht nach einem Mittagessen mit brandenburgischen Landtagsabgeordneten der Besuch im Wahllokal Nummer 4103 in der Kleist-Schule an. Paul John Isaak, der Direktor der Wahlkommission der Republik Namibia, wo im November wieder gewählt wird, zeigt sich beeindruckt: „Das Prozedere ist sehr schnell und unkompliziert.“ Verwundert sei er aber, wie viele Familien mit Kindern zum Wählen kommen: „Bei uns sind Kinder im Wahllokal nicht erlaubt.“

Für Kreiswahlleiter Matthias Förster ist es gleichzeitig die letzte Wahl im Amt. „Es läuft erstaunlich ruhig“, sagt der 63-Jährige, der bei der nächsten Wahl 2017 immerhin als Wahlhelfer wieder dabei sein will – „auf der anderen Seite“, wie er sagt. Nach der Kommunal- und Europawahl vom Mai sei das Team gut eingespielt: „Jeder weiß, was er tun muss.“ Kein Vergleich zum Auszählmarathon von 1998, als in Potsdam Bundestag, Stadtparlament und Oberbürgermeister am gleichen Sonntag gewählt wurden. „Das war für mich die anstrengendste Wahl – die Wahlbeteiligung war über 80 Prozent, es gab Schlangen“, erinnert sich Förster.

An eine so hohe Wahlbeteiligung ist an diesem Sonntag nicht zu denken. „Wenn wir Glück haben, kommen wir auf die 50 Prozent“, gibt sich die Frau im Wahlvorstand von Lokal 4108, ebenfalls in der Kleist-Schule, optimistisch. Noch eine Viertelstunde ist es bis zur Schließung. In den letzten Minuten wird es doch noch einmal voll, das Wahlpublikum sichtlich jünger. „Ich finde es wichtig, zu wählen – das ist das letzte Stück Mitbestimmung, das man hat“, sagt zum Beispiel der Abiturient Johannes, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will: „Deshalb habe ich mich aufgerafft, obwohl ich ganz schön verkatert bin.“

Und dann ist es 18 Uhr, die Glocken von St. Peter und Paul läuten. „Die Wahl ist beendet“, sagt die Frau vom Wahlvorstand. Und die Auszählung beginnt.

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