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Im Angebot. Die Kirche St. Bernhard in Brandenburg/Havel.

© Bernd Settnik/dpa

Brandenburg: Drei, zwei, eins – Kirche meins!

Katholische Priester predigen oft vor leeren Reihen. Gotteshäuser werden nicht mehr gebraucht – und im Internet verkauft. So jetzt auch in Brandenburg/Havel

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Brandenburg/Havel/Berlin - Zum Gottesdienst in der alten St. Bernhard-Kirche läutet nicht einmal mehr eine Glocke. Trotzdem kommt kein Gläubiger zu spät. Schon eine Viertelstunde vorher sitzen zehn ältere Damen und Herren auf den harten hölzernen Kirchenbänken - so verstreut, dass man meinen könnte, sie hätten Stammplätze. Die meisten der 18 Reihen bleiben leer. Mehr Leute kommen nicht, obwohl dies der einzige Gottesdienst der Woche ist. St. Bernhard stirbt aus.

Ein wenig riecht es auch nach alten Zeiten, wenn der rote Vorhang am Eingang zur Seite geschoben wird. Innen wirkt die kleine Kirche mit der holzgetäfelten Decke und schneeweißen Wänden gepflegt: Kerzen brennen, es gibt eine hölzerne Marienfigur und die Monstranz strahlt golden auf dem Altar. Von außen aber ist St. Bernhard kein Schmuckstück. Kaum größer als ein Einfamilienhaus, die Fassade dreckig grau-braun. Das metallene Kreuz steht etwas verloren auf dem Giebel, die hölzerne Fensterverkleidung bröckelt. Buntes Leben herrscht hier augenscheinlich schon lange nicht mehr. Das Erzbistum Berlin will das kleine Gotteshaus in Brandenburg an der Havel deshalb loswerden – und bietet es im Internet an. In der Anzeige im Kleinanzeigenportal des Online-Auktionshauses Ebay heißt es: „Kirche im beliebten Wohngebiet“. Preis: 120 000 Euro, dazu sonnige Bilder mit strahlend blauem Himmel. Ein knallbunter Kontrast zur grauen Realität. Ein geweihter Ort feilgeboten im Netz – und nicht der einzige. Auf der Internetseite des Bistums steht auch die schmucke Kapelle „Maria Goretti“ in Loitz (Mecklenburg-Vorpommern) zum Verkauf.

Also „Drei, zwei, eins – Kirche meins“? Ganz so einfach sei es nicht, sagt Bistumssprecher Stefan Förner. „Sie können die Kirche nicht einfach bestellen wie Schuhe bei Zalando.“ Auch anonym versteigert werde nichts. Das Bistum will den neuen Nutzer kennenlernen und erfahren, was er mit dem Gotteshaus vorhat. Doch so weit kommt es eigentlich nur selten, denn Kaufinteressenten sind rar. Die hohen Räume sind schwer zu heizen, die Fenster nicht genormt – eine denkmalgeschützte Kirche ist eben kein Verkaufsschlager.

Doch die katholische Kirche hat kaum eine andere Wahl. In ganz Deutschland schrumpft die Zahl ihrer Mitglieder: Es gibt weniger Gläubige, weniger Priester, weniger Geld. Besuchte in den 50er Jahren noch jeder zweite Katholik regelmäßig Gottesdienste, sind es heute nach Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz gerade noch 12,3 Prozent. Und eine wenig genutzte Kirche zu erhalten ist teuer, selbst wenn nur einmal in der Woche zum Gottesdienst geheizt wird.

Im zu DDR-Zeiten atheistisch geprägten Osten Deutschlands ist die Situation noch kritischer. Nur neun von hundert Berlinern sind katholisch, in Brandenburg sind es noch weniger. Im Jahr 2011 zählte die Bischofskonferenz im Erzbistum Berlin, zu dem auch Brandenburg und Vorpommern gehören, 44 043 Gottesdienstbesucher. Bei vielen herrscht Resignation. Wer an Gott glaubt, tut dies laut einer Milieu-Studie des Sinus-Instituts inzwischen individueller und braucht keine Kirche. In den vergangenen zwölf Jahren hat das Berliner Erzbistum etwa zwei Dutzend Gotteshäuser verkauft. Jetzt steht St. Bernhard online. In der alten Stahlarbeitersiedlung in Brandenburg weckt das Entsetzen. Es ist eine dieser Siedlungen, in denen ältere Männer morgens schwankend zum Bäcker radeln und der Metzger seine Wurst im offenen Wagen an der Ecke verkauft. „Die Kirche ist doch unser Lebensinhalt“, sagt eine 81-Jährige. Zwar gibt es Gottesdienste in St. Bernhard nur noch donnerstags. „Aber jetzt ist eben der Donnerstag unser Sonntag.“ Bei diesen Worten wird ihre Stimme ganz fest und ernst: „Wenn sie die Kirche zumachen, das wäre schlimm“. Leider sei das nicht für viele so schlimm, sagt der Pfarrer leise von hinten.

Die Hälfte der Gläubigen ist an diesem grauen Wintertag trotz Kälte mit dem Fahrrad zum Gottesdienst gekommen. Für sie wäre der Weg in die Stadt zu weit. Und erst recht für die ältere Frau mit Krücken. „Wenn St. Bernhard verkauft würde, könnten einige überhaupt nicht mehr in die Kirche gehen“, weiß Werner Kießig. Der 74-Jährige war früher Diakon in der kleinen Kirche und erinnert sich noch gut an volle Bänke und eine lebendige Gemeinde. Die Kirche kam mit dem Stahlwerk in die Siedlung, belebt von katholischen Arbeitern und Flüchtlingen aus Osteuropa. „Doch die sind längst weggestorben.“ Die Übriggebliebenen haben Angst vor der Zukunft ihrer Kirche. „Nicht dass hier eine Disko reinkommt“, sagt die 81 Jahre alte Lektorin. „Dann gehen wir aber sammeln.“ Doch 120 000 Euro können die alten Leute wohl kaum aufbringen, um das 1934/35 gebaute graue Gotteshaus selbst zu kaufen. Eine Disko werde es nicht, verspricht Bistumssprecher Förner.

Die Katholiken sind im Osten weit verstreut. In jedem Dorf eine Kirche, das lohnt sich einfach nicht mehr. Da habe der gestorbene Kardinal Georg Sterzinzsky eine tolle Idee gehabt, sagt Förner und zitiert den ehemaligen Berliner Erzbischof: „Am besten wäre, wir hätten eine Kirche auf Rädern - dann könnte man sie dahin bringen, wo die Menschen sind.“ Theresa MünchST. BERNHARD]

Theresa Münch

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