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Von Peter Tiede: Ein Anfang

Warum die Einrichtung einer Enquete-Kommission ein richtiger und wichtiger Schritt für das Land Brandenburg sein kann / Eine Analyse

Stand:

Der Tonfall war neu und es mag vielleicht auch nur eine Hoffnung bleiben, dass er beibehalten werden kann im brandenburgischen Landtag: Die drei von der Oppositionsbank, Johanna Wanka (CDU), Hans-Peter Goetz (FDP) und Axel Vogel (Grüne) waren am Dienstag hörbar bemüht, einen überparteilichen, sachlichen Ton anzuschlagen, als sie ihren gemeinsamen Antrag für die Einrichtung einer Kommission vorstellten, die – besetzt mit Politikern und unabhängigen Experten – in den nächsten zwei Jahren die Nachwendegeschichte Brandenburgs untersuchen soll.

Es wird ein zähes Unterfangen, das scheitern kann an Überladung oder Überforderung oder eben an Parteiengezänk, an der Angst davor, eigene Fehler der Anfangsjahre eingestehen zu müssen. Es kann aber gelingen, wenn gehalten wird, was gestern versprochen wurde: Überparteilichkeit, so weit wie möglich, und ergebnisoffenes Untersuchen und Hinterfragen der brandenburgischen Gründerzeit. Dazu müssen aber auf allen Seiten die Pöbler und Haudraufs zurückstecken.

Die Enquete-Initiatoren müssen sich, seit klar ist, dass die Kommission tatsächlich kommen wird und nicht nur eine spinnerte Idee der Grünen ist, die Sinnfrage stellen lassen. Wozu das Ganze? Warum?

Die Antwort ist ganz einfach: Warum nicht! Warum soll nicht einmal damit begonnen werden nachzufragen, welche Rolle eigentlich die SED-Funktionäre spielten im Transformationsprozess. Warum können und konnten selbst hohe SED-Bezirks-Funktionäre in hohen Ämtern weitermachen, während die inoffiziellen Mitarbeiter des SED-Geheimdienstes MfS bei Enttarnung flogen? Schließlich war die Stasi das Spitzelorgan der SED.

Und warum soll nicht einmal offen ausgesprochen und untersucht werden, was sonst immer nur hinter den Kulissen, in Fachkreisen und sonstigen Zirkeln diskutiert wird: Dass nämlich beim Aufbau Brandenburgs sehr wohl bisher nicht erforschte Strukturen mit am Werk waren. Dass hier auch einstige DDR-Geheimdienstler, Stasi-Spitzelscharen und vor allem SED-Funktionäre sowie in den Schulen ganze DDR-Lehrkörper einfach weitermachten. Dass sich alte mit neuen Seilschaften zum märkischen Filz verflochten. Dass schon aus Vorwendezeiten bestehende Ost-West-Konglomerate etwa besonders in Potsdam munter am Aufbau werkeln konnten. Dass Ex-IMs der Stasi wesentlich entscheiden konnten, dass mehr als 1000 Stasi-Spitzel und mehr als 200 hauptamtliche Ex-DDR-Geheimdienstler Polizisten werden durften. Und es muss die Frage gestellt werden, was dies für Land und Leute bedeutet.

Natürlich stimmt es, dass sich die Masse der Brandenburger nicht für die Arbeit und das neuhistorische Nachbohren interessieren wird – schon allein deshalb, weil sie es bisher auch nicht sonderlich interessiert hat. Aber das muss dann Politik nicht interessieren. Denn es geht eben auch darum, der Minderheit derer, die sich mit ihrer „Heimat Brandenburg“ eben wegen der Nachwende-Geschichte so schwer tut, zu zeigen, dass auch sie gehört werden. Dass auch für sie nachgefragt wird. Es muss den Bürger nicht immer interessieren, was hinter den Kulissen lief und läuft. Aber er muss die Möglichkeit haben, sich bei Interesse informieren zu können. Der Jugend müssen Fragen beantwortet werden können – von denen, die dabei waren. Und dafür bietet die Arbeit einer Enquete-Kommission, der Experten angehören und die Aufträge an Wissenschaftler vergeben kann, eben eine wichtige Chance: Dort kann das verfügbare Wissen zusammengetragen werden.

Dabei ist klar, dass viele Fragen nicht beantwortet werden können. Zum einen, weil es in vielen Bereichen um Personalfragen geht; die Akten dazu in der Regel nicht zugänglich sind. In anderen Bereichen sind – etwa bei Betrug oder Geheimdienstaktivitäten – einfach keine Aufzeichnungen vorhanden. Viele, nach der Wende Verantwortliche, werden einfach nicht reden oder nicht die ganze Wahrheit vortragen. Aber ein Anfang muss gemacht werden. In Brandenburg muss endlich einmal hinterfragt statt nur behauptet werden. Weil es manchmal schon leichter vorwärtsgeht, wenn man wirklich weiß, was hinter einem liegt. Das allein kann schon ein wichtiger Schritt nach vorn sein.

Und wer sagt denn, dass am Ende nicht auch die Erkenntnis stehen kann, dass der Brandenburger Weg des partiellen Wegschauens, des nicht Wissenwollens, des Filzes doch in einigen Bereichen nicht der saubere, aber zu der Zeit der praktikabelste war? Wer sagt denn, dass dem massiv mit seinen Verstrickungen in den DDR-Geheimdienstapparat belasteten Manfred Stolpe als Landesvater nicht doch auf einigen Gebieten auch ein gutes Zeugnis ausgestellt werden kann? Immerhin hat er im Umbruch Identität gestiftet. Wer sagt denn, dass Lug und Trug, Vergehen und Irrungen immer schwerer wiegen als Erfolge? Aber beides muss in die Waagschale.

Denn erst dann kann bewertet werden. So oder so. So schwer, wie es auch immer für jeden ist, der seit der Wende in Brandenburg politisch oder beobachtend aktiv war. Wer einfach nur sagt, dass vieles schief oder alles bestens gelaufen ist in Brandenburg, der liefert Analog-Wahrheiten. Worthülsen, die nur so tun als ob.

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