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Minensuche in Neuhausen: Ein Bombengeschäft

Die Vorweihnachtsstimmung in Neuhausen bleibt getrübt. Erst explodieren dort alte Panzerminen, dann wird eine Trinkwasserleitung beschädigt. Doch die Sucharbeiten gehen zügig weiter.

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Neuhausen - Die Anspannung des Baggerfahrers inmitten des kleinen Ortes Neuhausen bei Cottbus ist im Nieselregen nur zu erahnen. Konzentriert sitzt er in seinem Führerhaus hinter Panzerglas und auf einem mit dicken Stahlplatten gesicherten Boden. Ganz vorsichtig dirigiert der Mann den langen Greifarm, um die Erde aus dem jetzt schon vier Meter tiefen Loch an der Durchgangsstraße Schicht für Schicht mit einem großen Wasserstrahl herauszuspülen. Immer wieder lässt er zwischendurch mit einer an seinem Spezialfahrzeug montierten Metallsonde den Boden absuchen.

„Wir müssen hier mit zahlreichen weiteren Minen aus dem Zweiten Weltkrieg rechnen“, sagt Mario Büchner, Truppführer des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, der das Geschehen genau wie seine anderen drei Kollegen aus sicherer Entfernung auf einem Bildschirm beobachtet. „Die Arbeiten sind zwar hochgefährlich, aber bei einer Detonation würde der Baggerfahrer aufgrund der besonderen Sicherung unverletzt bleiben“, beruhigt der Experte.

Auf Büchners Erfahrung vertrauen auch die zwölf Bewohner von zwei neben dem großen Loch stehenden Mehrfamilienhäusern. Sie müssen während der Suche nach der Munition tagsüber ihre Wohnungen verlassen und in Ferienbungalows ziehen oder bei Freunden Unterschlupf suchen. Erst mit Einbruch der Dunkelheit dürfen sie zurückkehren. „Zwei Erdwälle bewahren die Häuser vor Schäden bei einer möglichen Selbstdetonation. Die Menschen können beruhigt schlafen“, versichert der Truppführer. Dennoch ist an ein normales Leben in dem Ort an der Spree seit einer Woche nicht zu denken. Am vergangenen Mittwoch war bei einer lautstarken Detonation die halbe Straße aufgerissen worden. Einen Krater mit einem Durchmesser von rund zehn Metern hatte die Explosion hinterlassen. Am Wochenende knallte es an gleicher Stelle erneut. Nachdem sich der zunächst geäußerte Verdacht einer Gasexplosion nicht bestätigt hatte, rückten die Munitionssucher an.

Sie fanden zwei sogenannte Riegelminen, mit denen die Wehrmacht ab 1943 ihren Rückzug aus dem Osten sichern wollte. Dabei handelt es sich um jeweils etwa einen Meter lange und 15 Zentimeter hohe und breite Metallkästen mit vier Kilogramm Sprengstoff. Dieser explodierte sowohl bei der Überfahrt durch Panzer und andere schwere Fahrzeuge als auch bei der Öffnung des Kastens. Wie sich nun herausstellte, müssen Einwohner und Soldaten am Kriegsende aus Angst vor der anrückenden Roten Armee zahlreiche Riegelminen in einem Bombentrichter mit einem Radius von gut 20 Metern vergraben haben. „Wahrscheinlich verrotten die Sicherungsteile der nun schon seit mehr als 60 Jahren im Boden liegenden Minen“, schildert Experte Büchner die Situation. „Das würde auch die Selbstdetonationen am Mittwoch und am letzten Wochenende erklären.“ Allerdings würden diese Riegelminen nur noch selten in der Brandenburger Erde vermutet. Die meisten seien doch während der Kampfhandlungen explodiert. Das hochexplosive Loch in Neuhausen jedoch geriet in den Wirren der Nachkriegszeit in Vergessenheit. Sogar eine Straße wurde über die Grube gezogen und 1989 sogar eine Wasserleitung dort verlegt. „Der genaue Verlauf dieser Leitung war uns aber nicht bekannt“, räumte Neuhausens Bürgermeister Dieter Perko (CDU) ein. „Deshalb konnten wir auch den Baggerfahrer nicht warnen.“ Denn dieser hatte am Montag unabsichtlich die Trasse zerstört. 36 Bewohner in dem 400-Einwohner-Ort seien zeitweise ohne Trinkwasser gewesen und hätten zunächst per Tankwagen versorgt werden müssen, so Perko.

Gerade erst ist die Ersatzleitung in Betrieb genommen worden. Zudem ist an diesem Tag Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) nach Neuhausen gekommen, um sich von den Experten rund um Büchner über den Verlauf der Bergungsarbeiten informieren zu lassen. Dabei lobt der Minister die „hochprofessionelle und ruhige Arbeit aller Beteiligten“, verweist aber auch bei der Gelegenheit erneut auf die starke Munitionsbelastung großer Landesteile hin. „380 000 Hektar gelten als Flächen mit hohem Munitionsverdacht, 80 000 Hektar sind sogar ganz gesperrt“, sagt der Minister. Kein anderes Bundesland könne mit diesen Zahlen konkurrieren. Jährlich würden für die Bergung von Bomben, Granaten und Minen zehn Millionen Euro ausgegeben, wovon die Hälfte auf das besonders stark belastete Oranienburg (Oberhavel) entfalle.

Eine Prognose, wann die Arbeiten in Neuhausen abgeschlossen würden, wagt Woidke nicht. Die Kosten dafür dürfte der Bund tragen, handelt es sich doch im Unterschied zu den vorwiegend amerikanischen Bomben in Oranienburg diesmal um „reichseigene Munition“. Da gelte die Regelung, dass die Bundesrepublik der Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches sei, sagt Woidke. Neuhausens Bürgermeister Dieter Perko besteht allerdings auf einem Weihnachtsfrieden in seinem Ort. „Da müssen die Arbeiten am Bombentrichter ruhen“, sagt er. Die Unglücksstelle bleibt jedoch weiträumig abgesperrt, weil nach wie vor Lebensgefahr besteht. „Die Sicherheit geht vor“, findet auch Woidke.

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