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Brandenburg: „Ein Gefühl von Willkür“

Guckt Finanzsenator Nußbaum in Steuerakten von Bürgern und Politikern? Die Verwaltung hat dazu offenbar keine Aufzeichnungen – und auf diese Frage keine klare Antwort

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Berlin - Schaut sich Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) Steuerunterlagen von Berliner Bürgern an? Das wollte der Linkspolitiker Klaus Lederer wissen – und stellte eine parlamentarische Anfrage. Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhof antwortete: Vorgänge von „grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Leitung der Berliner Steuerverwaltung“ würden der Abteilungsleiterebene vorgelegt. Und je „nach der Bedeutung der jeweiligen Angelegenheit“ würden „diese Vorgänge darüber hinaus auch der Hausleitung vorgelegt“. Ob sich Nußbaum oder Abteilungsleiter der Finanzbehörde Steuerunterlagen von anderen Senatskollegen, Abgeordneten, von Leitenden oder Aufsichtsratsmitgliedern öffentlicher Unternehmen angeschaut haben, wollte Lederer auch wissen. Die Antwort auf die Anfrage mit der Überschrift „Der Finanzsenator, die Steuerakten und das Steuergeheimnis“ befriedigt den Juristen und Rechtspolitiker nicht. Im Gegenteil.

Lederer forderte eine genaue Auflistung, wie viele Fälle generell in den Jahren 2011 bis 2014 der Abteilungsleiterebene und der politischen Ebene, also Senator, Staatssekretären, Senatorenbüro, vorgelegt wurden – und ob die „politische Leitungsebene“ auch Berichte abgefordert habe. Die Antwort: Aufzeichnungen über die Anzahl der „seit 2010 vorgelegten Berichte werden weder in den Finanzämtern noch in der Senatsverwaltung für Finanzen geführt“. Und es gebe auch keine Aufzeichnungen darüber, welche Fälle der Hausleitung vorgelegt würden „und wen diese Berichte im Einzelfall betrafen“.

Der Berliner Medienanwalt Christian Schertz, Honorarprofessor für Persönlichkeitsrecht an der TU Dresden, hält diese Praxis für problematisch. Jedenfalls müsse durch Paraphen, also Namenszeichen, nachvollziehbar sein, durch welche Hände die Steuerakten gegangen seien, sagte Schertz. Nur so ließe sich in Zukunft das Steuergeheimnis sicherstellen. So habe sich bei den sich häufenden Fällen von Durchstechereien von Steuervergehen Prominenter an die Medien nie aufklären lassen, wer hierfür jeweils verantwortlich war. Das sei aber datenschutz-, persönlichkeits- , aber vor allen Dingen steuerrechtlich ein nicht hinnehmbarer Zustand.

Die Brisanz von Steuerakten dürfte mit den Debatten über den FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer oder den ehemaligen Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz jedem klar sein. Schertz sagte: In manchen Fällen habe zumindest der Verdacht bestanden, dass der Weitergabe von Informationen an die Medien politische oder auch persönliche Motive zugrunde lagen. Schertz hatte zuletzt für Alice Schwarzer Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Weitergabe von Informationen zu ihrem Fall an Medien gestellt. Die Staatsanwaltschaft Köln hat daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Das Wissen über Berichte oder Akten „ist Herrschaftswissen“, sagte Lederer. „Ich bin davon ausgegangen, dass es Kriterien gibt, nach denen die Finanzverwaltung von ihrem Aufsichtsrecht Gebrauch macht“. Bei Einsicht in Akten handele es sich um „brisante Fakten, die offenbar durch mehrere Hände gehen“. Dass es keine Dokumentation darüber gebe, wer wann worüber in Steuersachen informiert wurde, „ist absolut nicht nachvollziehbar“. Der Rechtspolitiker forderte klare Regelungen, wie die Fachaufsicht ausgeübt werden darf. Die Finanzverwaltung wollte sich auf Anfrage nicht weitergehend äußern. Der parlamentarischen Antwort sei „nichts hinzuzufügen“, teilte eine Sprecherin mit.

Nun wird der Umgang der Finanzverwaltung mit Steuerakten wohl das Abgeordnetenhaus beschäftigen. Das kündigte Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop an. Pop ist mit der Antwort von Nußbaums Staatssekretärin Margaretha Sudhof nicht zufrieden. Deshalb will sie nach der Sommerpause auf die Sache zurückkommen. Die Antwort der Staatssekretärin auf Lederers Frage habe im Vortragen gesetzlicher Regelungen bestanden. Jeder Beamte lerne zwar, dass er Vorgänge abzuzeichnen habe, doch wenn Sudhofs Auskunft über das Verfahren zutreffe, werde das offenbar nicht immer gemacht. „Eine Dokumentation über den Weg von Akten bis ins Senatorenbüro muss es in Zukunft geben“, sagte Pop. Der Weg müsse nachvollziehbar sein  – dafür sei das Steuergeheimnis zu wichtig. Sonst entstehe in der Öffentlichkeit „ein Gefühl von Willkür“, sagte Ramona Pop.

Beim Koalitionspartner CDU gibt es zumindest Unwohlsein. Namentlich äußern will sich niemand, doch heißt es, es müsse sichergestellt sein, dass das Steuergeheimnis für jeden gelte, „auch für Senatoren“. Und: „Bei solch sensiblen Vorgängen müssen klare Regeln herrschen.“

Kenner der Finanzverwaltung bewerteten Lederers Frage nach Nußbaums persönlichem Interesse an Steuerakten unterschiedlich. Die einen können sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet Finanzbeamte freihändig und konspirativ den Senator mit Spezial-Informationen versorgen. Andere halten Lederers Skepsis für begründet. Die Praxis, die Hausspitze über Angelegenheiten mit politischem Sprengstoff frühzeitig zu informieren, gebe es seit vielen Jahren. Die Politiker könnten sich dabei auf die Diskretion der Steuerbehörden verlassen, so ein Fachmann. Kaum eine Behörde in Berlin sei so verschwiegen wie die Steuerverwaltung.

Dass es einen gewissen Informationsfluss zwischen Steuerbehörde und Senatsverwaltung gibt, hängt mit einer alten Geschichte zusammen. 1990 beschied die damalige Berliner Oberfinanzdirektion der damals noch PDS heißenden Linkspartei, sie habe gut 60 Millionen D-Mark Steuern auf das SED-Parteivermögen zu zahlen. Begründet wurde das mit Nicht-Auskünften der PDS über das SED-Parteivermögen. Der Vorgang erwischte auch die – darüber nicht informierten – Berliner Finanzpolitiker kalt. Die PDS-Frontmänner Gregor Gysi und Lothar Bisky begannen einen Hungerstreik, derweil gelobte die Oberfinanzdirektion, die politische Spitze der Senatsfinanzverwaltung künftig über Vorgänge von politischer Delikatesse rechtzeitig zu informieren.

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