Brandenburg: Ein Geheimnis, das fast keines war
Was sollen die Cicero-Ermittlungen und was wollte das BKA? / Eine Analyse
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Was sollen die Cicero-Ermittlungen und was wollte das BKA? / Eine Analyse Potsdam - Im Fall „Cicero“ ist viel geschrieben worden von Geheimnisverrat, Pressefreiheit einerseits und der Berufsehre von Journalisten andererseits, vom Interesse des Staates, Geheimes geheim zu halten und von Journalisten, mit geheimen Informationen Skandale aufzudecken. Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt (BKA) erweckten zuweilen den Eindruck, mit dem Artikel in der April-Ausgabe des Politik-Magazins Cicero über die Finanzierung islamistischen Terrors seien die Grundfesten des Staates erschüttert worden, weil der Autor aus einem geheimen Dossier des BKA zitiert habe, in dem in unzähligen Fußnoten auch die Quellen der Informationen – deutsche und ausländische Nachrichten- und Geheimdienste – aufgelistet waren. Der Journalist habe keinen Skandal aufgedeckt, sondern ein Staatsgeheimnis verraten. Es bestünde die Gefahr, dass ausländische Geheimdienste deutsche Behörden von ihren Erkenntnissen abschneiden. Ja, der Journalist hat keinen Skandal aufgedeckt. Aber, davon darf ausgegangen werden, er hat auch kein richtiges Geheimnis verraten. Denn das BKA-Dossier, aus dem Schirra zitiert hatte, war, so viel steht seit gestern fest, gar kein richtiges Staatsgeheimnis: Mindestens 269 Beamte des BKA hatten darauf Zugriff und es war als „nur für den Dienstgebrauch“ deklariert. Der Vorsitzendes des Rechtsausschusses des Brandenburger Landtages, der einstige Verfassungsschützer Sven Petke (CDU), konnte sich gar nicht mehr einkriegen: „Das ist so geheim wie der Speiseplan des BKA, solche Akten dürfen die Beamten sogar mit nach Hause nehmen.“ Es muss davon ausgegangen werden, dass zumindest das BKA aber wohl auch das Bundesinnenministerium ganz andere, weit reichendere Ziele verfolgt haben: Das Einschüchtern und Blockieren eines ungeliebten Journalisten, der offenbar seit Jahren über beste Quellen in Bundesbehörden und im Deutschen Bundestag verfügt. Auf allen Ebenen der Brandenburger Ermittlungsbehörden breitet sich zunehmend der Verdacht aus, die Staatsanwaltschaft Potsdam und die Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) seien benutzt, hinters Licht geführt worden. Warum? Schon allein das Verhalten des Bundeskriminalamtes gibt genügend Anlass, um an den Motiven für die Strafanzeige zu zweifeln, die das BKA im Sommer in Potsdam gestellt hat und die die Ermittlungen mit anschließender Durchsuchungsaktion ausgelöst hatte. Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg hat gestern im Rechtsausschuss einige pikante Details preisgegeben. So habe sich das BKA an die Strafverfolger mit dem Wunsch gewandt, die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin zu führen. Dort sitzt die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Korruption. Rautenberg sagte, er habe die Fakten geprüft und keinen einzigen Hinweis („null“) auf Korruption – also die Tatsache, dass Schirra einen Beamten geschmiert hat – gefunden. Warum wollte das BKA Korruptionsermittlungen? Petke und sein Stellvertreter im Rechtsausschuss, der Anwalt Ralf Hozschuher (SPD), machten gestern vorsichtig darauf aufmerksam, dass das Strafmaß bei solchen Fällen höher, die Drohwirkung und das Geschmäckle eines solchen Vorwurfs gegen den Journalisten also bedeutend höher seien... Rautenberg folgte dem BKA-Wunsch nicht und gab die Ermittlungen nach Potsdam, wo sie als Presserechtsdelikt geführt werden. Doch er sagte gestern im Ausschuss auch, dass er anfänglich selbst erhebliche Zweifel an der Motivlage des BKA gehabt habe. Diese seien aber bei Nachforschungen verflogen. Andere haben sie noch. Das BKA selbst hätte noch vor der Erscheinen des Artikels in Cicero die Möglichkeit gehabt, wie auch immer tätig zu werden: Der Journalist hatte im Zuge der Recherche beim BKA angefragt, aus den Unterlagen zitiert und der Behörde offen gesagt, dass er eine Veröffentlichung plant. BKA und Innenministerium unternahmen nichts, warteten die Veröffentlichung ab und lösten so den Cicero-Skandal erst selbst aus. Was folgte war eine Durchsuchungsaktion die von ungewöhnlichem Erfolg gekrönt war: 15 Kisten schleppten die Ermittler von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt Brandenburg nach acht Stunden aus dem Haus von Schirra in Berlin. Nicht mal eine ganze Kiste davon war gefüllt mit Beweismitteln im aktuellen Fall. Der Rest wurde als „Zufallsfund“ deklariert und betrifft: 1. Akten zum Skandal um die Privatisierung der DDR-Raffinerie Leuna an dem nach Meinung französischer Ermittler auch deutsche Behörden, Politiker und Geheimdienstler beteiligt waren. 2. Unterlagen aus dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zur CDU-Parteispenden-Affäre. Wegen dieser Unterlagen soll nun die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Schirra weitere Ermittlungen führen. Petke, Hozschuher, Presserechtsexperten, Bundespolitiker aller Parteien und selbst Ermittler zweifeln inzwischen daran, dass angesichts des Missverhältnisses zwischen tatsächlich Gesuchtem und zufällig Gefundenem die grundgesetzlich verankerte „Verhältnismäßigkeit“ überhaupt noch gewahrt ist. Brandenburgs Ermittler sind sich nicht einmal sicher, ob sie da nicht auf „gezielte Zufallsfunde“ – so nennen Ermittler Dinge, die sie eigentlich suchen, aber mit dem angegeben Ermittlungs- und Durchsuchungsgrund nichts zu tun haben – gestoßen sind bzw. gestoßen worden sind. „Die Frage wird lauter, ob BKA und Innenministerium nicht einzig und allein an den Leuna- und CDU-Akten Interesse hatten“, sagte ein beteiligter Ermittler den PNN. Petke und Hozschuher sagen es so: Die Motivlage sei unklar. Zumal bei der Durchsuchung von Schirras Haus auch BKA-Beamte anwesend waren – also von der Behörde, die die Anzeige erstattet hat. Formal ist das zwar korrekt, aber die Frage bleibt, was sie da gemacht haben. Und wurde das Haus von Schirra tatsächlich nur aus Zeitdruck durchsucht, als er gerade in Israel war? Es sind noch weitere Fragen offen. Aber die wichtigste ist: Warum gibt es das Verfahren überhaupt noch? Die angebliche Haupttat – der Verrat des angeblichen Geheimnisses – ist verjährt, der Haupttäter nicht ermittelt. Den Hauptgrund für eine Einstellung liefern die Ermittler selbst: Sie hätten eindeutige, ja handfeste Hinweise darauf, dass Schirra das BKA-Dossier aus der Schweiz von einem Dritten bekommen hat, selbst also gar nicht tatbeteiligt war. Bisher bleibt nichts anderes haften als der schwerwiegende Verdacht, dass ein Journalist mundtot gemacht, seiner Arbeitsgrundlage beraubt und seine Informanten eingeschüchtert werden sollen. Die Potsdamer Ermittler setzen sich dem Eindruck aus, sich entweder blauäugig oder sehenden Auges daran beteiligt zu haben. Sie müssen das Verfahren einstellen.
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