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Brandenburg: Ein schonungsloses Jahr

Brandenburg fällt zurück, aber die Politik stellt sich den Realitäten / Ein Rückblick auf 2003

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Brandenburg fällt zurück, aber die Politik stellt sich den Realitäten / Ein Rückblick auf 2003 Von Michael Mara und Thorsten Metzner Potsdam. Ein schonungsloses Jahr geht für Brandenburg zu Ende. Ungeschminkt, ja brutal enthüllte es, wie es um das Land wirklich bestellt ist. Kurz vor Weihnachten brachte ein Länder-Vergleich der Bertelsmann-Stiftung die bittere Wahrheit an den Tag: Brandenburg ist trotz Berlins das Bundesland, das sich „mit Abstand am schlechtesten entwickelt“ hat. Ins Bild passte, dass die Regierung bei der Bewertung ihres Engagements und ihrer Aktivitäten abgeschlagen auf dem vorletzten Platz landete. Mahnmal für das Versagen ist die Investitionsruine der Chipfabrik in Frankfurt (Oder), die 1500 Arbeitsplätze ins strukturschwache Ostbrandenburg bringen sollte. Im November gab Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) das Aus für das Milliardenprojekt bekannt. Kein Happy End bei diesem Lehrstück für Missmanagement, provinziellem Größenwahn und politischer Naivität. Der voreilige Startschuss trotz ungeklärter Finanzierung durch den damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) und seinen Wirtschaftsminister Wolfgang Fürniß (CDU) kommt dem Land teuer zu stehen: Knapp 100 Millionen Euro wurden in den Sand gesetzt. Immerhin: Den bitteren Realitäten folgten neue Töne der Politik: In seiner Regierungserklärung nach dem Chipfabrik-Fiasko zeichnete Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) im Dezember ein schonungsloses Bild. Ohne Prosa, ohne leere Versprechungen ging er nach eineinhalb Jahren Amtszeit erstmals auf Distanz zur Politik seines Vorgängers Stolpe, mit dessen Namen sich bereits die Pleiten von Lausitzring, Cargolifter und Landesentwicklungsgesellschaft verbinden. Platzecks Selbstkritik: „Wir müssen besser werden!“ Schon im Februar 2003 zeichnete sich der Kurswechsel hin zu einem realistischeren Politik- und Regierungsstil ab: Platzeck und Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) ließen sich nicht von den seit Wochen streikenden Premnitzer Chemiewerkern erweichen – und lehnten neue Subventionen für die seit der Wende am Tropf hängende, nicht lebensfähige Fabrik ab. Im Frühjahr beriet das Kabinett erstmals über ein lange unterschätztes Problem – die alarmierende demographische Entwicklung, die nach neuen Prognosen zur dramatischen Entvölkerung der Randregionen führen wird. Freilich, ein Konzept hat die Regierung bisher nicht. Zur neuen Offenheit passte ein Tabubruch kurz vor Weihnachten: Nach einer gemeinsamen Sitzung von Landesregierung und Berliner Senat sprach Platzeck als erster regierender Politiker offen aus, was insgeheim den meisten klar ist: Der Termin für die geplante Volksabstimmung im Jahr 2006 über die Fusion von Berlin und Brandenburg wird nicht zu halten sein, weil die Finanzprobleme Berlins bis dahin nicht gelöst und die Brandenburger deshalb mit Nein stimmen werden. Der Aufschrei in Berlin war groß, doch Platzeck blieb dabei: Er mache keine „wolkigen Ankündigungen“ mehr. Von seinem Stellvertreter, Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), bekam er trotzdem Kritik zu hören: Man sollte die Finte nicht vorzeitig ins Korn werfen. Es knirscht im Getriebe Ja, auch in der seit 1999 regierenden Großen Koalition lief es nicht glatt. Das Klima ist angespannt, das Verhältnis der Spitzen-Akteure ziemlich zerrüttet. Immer wieder knirschte es im Getriebe, mal wegen der Schulpolitik, mal wegen Schönbohms Ruf nach elektronischen Fußfesseln für Schulschwänzer. Der heftigste Krach: Platzeck wies seinen Vize Schönbohm im März öffentlich in die Schranken, weil dieser eine „CDU-Solidaritätsadresse“ an US-Präsident George Bush unterzeichnete, die den Einmarsch in den Irak unterstützte. Erstmals forderten da Sozialdemokraten offen Rot-Rot. Trotzdem: Ein Rezept, den Siegeszug des Ex-Generals zu stoppen, fanden die Genossen bisher nicht: Bei der Kommunalwahl im Oktober wurde die Union stärkste Partei. Ein schweres Desaster für die Sozialdemokraten. Aber trotz wachsender Spannungen stellte die Große Koalition 2003 wichtige Weichen: Gegen heftigen Widerstand setzte sie Schönbohms umstrittene Gemeindereform durch, mit der die Zahl der Gemeinden durch Zusammenschlüsse auf rund 400 vermindert wurde. Im Dezember brachte sie den Sparhaushalt 2004 unter Dach und Fach. Ohne Turbulenzen ging auch der plötzliche Rücktritt von SPD-Bauminister Hartmut Meyer über die Bühne, mit dem er die eigenen Genossen düpierte. Bildungs-Staatssekretär Frank Szymanski wurde sein Nachfolger – die einzige Kabinetts-Personalie in 2003. Und die guten Nachrichten? Die gab es auch: In der Braunkohle-Stadt Senftenberg öffnete die erste Skihalle Ostdeutschlands. In den Babelsberger Studios wurde der Jules-Verne-Klassiker „In 80 Tagen um die Welt“ gedreht, in Potsdam der Grundstein für das neue Theater gelegt und das restaurierte Belvedere auf dem Pfingstberg eröffnet. Und: Teltow-Fläming wird in einem Vergleich des Magazins „Focus-Money“ zum Spitzen-Landkreis Ostdeutschlands gekürt - hier geht die Post ab, weil klug in Infrastruktur investiert wird. 2003 war ein Lehrjahr für Brandenburg. Die Zeit der Wunschträume ist vorbei.

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