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Brandenburg: Ein Spielplatz mit Verfallsdatum

Vattenfall beschenkt ein Lausitzer Dorf – bevor der Konzern es abbaggert Seit Anfang des Jahres gibt es eine Bürgerinitiative, die sich mit der Umsiedlung beschäftigt

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Proschim - Der frische Rollrasen wirkt wie ein sanfter grüner Teppich. Ein Baumhaus, Klettergerüst, Schaukel und Rutsche laden zum Rumtoben ein. Ein großer Sandkasten erinnert an weiße Ostseestrände. Der rund 1000 Quadratmeter große Spielplatz im kleinen Lausitzer Dorf Proschim ist ein Traum für jedes Kind. 80 000 Euro hat der Energiekonzern Vattenfall Europa Mining für das neue Spielareal bezahlt. An diesem Sonntag soll Eröffnung sein. Geschlossen wird der Platz dann im Jahr 2025. Denn dann will der schwedische Staatskonzern Vattenfall den Ort abbaggern.

Für Firmensprecher Peter Fromm kein Widerspruch: „Unser Grundsatz ist, die Lebensqualität in den für die Umsiedlung vorgesehenen Orten weiter zu erhalten.“ Mit einer Besänftigung der Einwohner habe dies nichts zu tun. „In der ganzen Tagebau-Region werden Projekte gesponsert“, sagt Fromm.

Eine junge Frau hält mit ihrem Kinderwagen vor dem Zaun des neuen Spielplatzes an. Noch ist die Eingangstür verschlossen. „Er ist schön geworden, aber eigentlich zu schade für unseren Ort“, sagt die Mutter nachdenklich. Bauplaner haben das Spielgelände extra dem Dorfcharakter von Proschim angepasst.

Nach Angaben von Ortsbürgermeister Erhard Lehmann (CDU) leben derzeit 367 Einwohner in Proschim, einem Ortsteil von Welzow (Oberspreewald-Lausitz), etwa 15 Kinder bis zwölf Jahren gebe es im Dorf.

Der Wind weht die Klappergeräusche des Tagesbaus in das Dorf herüber. „Bei offenem Fenster können wir schon lange nicht mehr schlafen“, erzählt Lehmann, der schon seit Jahrzehnten in Proschim lebt und fest im Ort verankert ist. Von seinem Grundstück aus könne er praktisch in die Kohlegrube schauen. „Wir leben seit 1965 neben dem Tagebau, es wird Zeit, dass das Braunkohleunternehmen den Menschen etwas zurückgibt“, verteidigt er die Spielplatz-Investition von Vattenfall. Der Energiekonzern sponsere noch weitere Projekte im Ort, erzählt der Bürgermeister. So übernehme das Unternehmen die Anliegerbeiträge für den neuen Gehweg, die eigentlich die Bürger zahlen müssten. Auch die Renovierung des Gemeindehauses wurde bereits zugesagt. Ein neues Feuerwehrgerätehaus sei ebenfalls geplant, sagt Lehmann. Ihm gehe es vor allem um Lebensqualität und Zukunftsglaube für sein Dorf, betont der Ortsbürgermeister. 60 bis 70 Prozent der Einwohner würden noch auf ein gutes Ende für ihren Ort hoffen. „Wir wollen hier nicht weg.“

Dietmar Kuscherka betreibt im Dorf eine kleine Schankwirtschaft. „Eine Zukunft sehe ich nicht“, sagt er mit trauriger Stimme. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass ein kleines Dorf gegen den Braunkohletagebau nicht bestehen könne. Der Bau des Spielplatzes sei zwar etwas bizarr, „aber so bleibt zumindest die Lebensqualität für unsere Kinder im Ort bestehen“.

Die Ansichten im Dorf, wie man mit dem Energieunternehmen Vattenfall umgehen solle, liegen teilweise weit auseinander. „Der Zusammenhalt geht immer mehr verloren“, hat Marianne Kapelle festgestellt. Anfang des Jahres hatte sich im Ort eine neue Bürgerinitiative mit dem Namen „Zukunft Proschim/Welzow“ gegründet. Gebhard Schulz ist der Vorsitzende des Bündnisses, dem sich nach seinen Angaben bereits 44 Familien und 111 Bewohner angeschlossen haben. Die Gruppe setzt sich schon heute mit der möglichen Umsiedlung des Ortes auseinander, auch wenn die endgültige Entscheidung erst 2013 ansteht. Doch so lange will Schulz nicht warten, deshalb geht er in die Offensive. Die Gründung der Bürgerinitiative sei eine Reaktion auf die politischen Führungskräfte im Ort. „Das Vertrauen ist Weg, wir fühlen uns von offizieller Seite allein gelassen.“

Gemeint ist Ortsbürgermeister Erhard Lehmann, dem seine Kritiker fehlende Weitsicht vorwerfen. „Es ist noch lange nicht soweit, dass Proschim verschwindet“, entgegnet der Ortsvorsteher. „Die Bürgerinitiative bringt nur Unruhe in das Dorf.“ Die Zusammenarbeit mit dem Energiekonzern funktioniere gut, als Marionette sehe er sich nicht. „Ich lasse mich nicht kaufen“, betont der ehrenamtliche Ortsvorsteher. „Die Leistungen sind eine Entschädigung dafür, dass wir mit dem Tagebau leben müssen.“

Lars Hartfelder

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