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Brandenburg: „Eine üble, rohe Misshandlung“

Das Gericht verurteilt die Eltern der verstorbenen Zoe zu hohen Strafen, die Mutter muss acht Jahre ins Gefängnis, ihr Lebensgefährte zwölf

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Berlin - Am Anfang stand ein Eingeständnis, und allein das machte die Dimension des Falles deutlich: Peter Faust, Vorsitzender des Schwurgerichts, sagte am Freitag vor seiner Urteilsbegründung im Fall Zoe: „Das ist ein schlimmer Fall für jeden, auch für Leute, die ständig mit Tötungsdelikten zu tun haben, wenn ein so kleiner Mensch so sinnfrei sein Leben verliert.“

Das Gericht verurteilte nach einem fünf Monate langen und zähen Indizienprozess beide Angeklagten zu hohen Haftstrafen. Matthieu K., der Lebensgefährte von Melanie S., wurde zu zwölf Jahren verurteilt, die Mutter zu acht Jahren. Die Staatsanwaltschaft hatte für beide lebenslänglich gefordert und dies damit begründet, dass beide Schutzbefohlenen als „Einheit“ gehandelt hätten. Der Richter begründete die mildere Strafe damit, dass das passive Verhalten der Angeklagten in diesem Fall nicht vollends mit einem aktiven Tun, also einem direkten Töten des Kindes, gleichzusetzen sei.

Matthieu K. saß, wie im gesamten Prozess, auch an diesem Freitagmittag scheinbar unberührt im Saal 621, Melanie S. verdrückte sich ein paar Tränen, aber auch sie saß stoisch wie immer vor dem Richter. Auch vor zweieinhalb Jahren, am 28. Januar 2012, hat Melanie S. offensichtlich ungerührt die Dinge vor sich gehen lassen, obwohl sie doch Mutter von Zoe und drei weiteren Kindern ist. An jenem Samstag, davon war das Gericht überzeugt, sei es zu der schwerwiegenden Tat gekommen, die den Tod der 33 Monate alten Zoe ausgelöst hat. Nach Auffassung des Gerichts muss K. Zoe im Badezimmer entweder mit der Faust geschlagen oder ihr einen Tritt verpasst haben, so dass die Darmwand riss und der Inhalt in den Bauchraum austrat. Vor allem die Ausführungen der Sachverständigen, aber auch die Aussage der Mutter bei der Polizei führten zu dieser Schlussfolgerung. S. hatte K. im Verhör belastet, dies aber vor Gericht nicht wiederholt.

60 Stunden nach der Misshandlung starb das Mädchen an einer akuten Bauchentzündung, die den Körper kollabieren ließ. Wäre sie zu einem Arzt gekommen, hätte sie überlebt.

Auch als der Richter K. anschaut und sagt, er müsse und er habe Zoe geschlagen und somit misshandelt, verzieht der Angeklagte keine Miene. Das sei eine „üble, rohe Misshandlung“ gewesen. Zudem habe K. auch dem älteren Bruder Zoes im Bad den Arm gebrochen. Der Angeklagte hatte erklärt, der Bruder sei ihm ausgerutscht, und der Bruch müsse durch zu festes Zupacken zustande gekommen sein. „Diese Auffassung teilen wir nicht“, sagte der Richter. Die Haftstrafe bei K. setzt sich zusammen aus Misshandlung von Schutzbefohlenen und Mord durch Unterlassen in Tatmehrheit. Der „brutale“ Schlag oder Tritt war das eine, aber der Versuch, die Tat zu vertuschen, kommt hinzu. Beide Angeklagte hätten, sagte der Richter, „ein System“ errichtet, dass auf „Lüge und Täuschung“ beruhte.

Zoe, das haben mehrere Gutachter erklärt, müsse spätestens ab Sonntag große Schmerzen bekommen haben. Aber auch am Montag, als das Kind sich nach Aussage von K. mindestens sieben Mal übergeben musste, gingen die Eltern nicht zum Arzt. Sie taten nur so, als ob sie gingen. Zwei Sozialarbeiterinnen des freien Trägers Independent Living waren an diesem 31. Januar noch bei der Familie. Sie forderten sie zum Arztbesuch auf, aber sie begleiteten die Familie nicht, sondern vertrauten ihr. Glaubten, was beide sagten, dass Zoe nur einen Magen-Darm-Infekt hätte.

Das Verfahren gegen die Familienhelferinnen wurde eingestellt, doch wie berichtet wird die Staatsanwaltschaft es wiederaufnehmen, weil zu viele „Fragen offen sind“. Auch der Richter machte seine Anmerkungen zum Verhalten der Sozialarbeiter. Die Aussagen „der Frauen haben nicht überzeugt“, sie wirkten eher „wie ein schlechter Witz“, dabei müsse man entweder mit „Blindheit geschlagen sein oder nicht hingeguckt haben“, um Zoes Leiden übersehen zu können.

Insgesamt haben vier Sozialarbeiter die Familie intensiv betreut, alle sagten vor Gericht aus, mit den Kindern sei „liebevoll“ umgegangen worden.

40 Hämatome fanden die Gerichtsmediziner an Zoes Körper, 15 an ihrem Bruder. „Alle Kinder müssen misshandelt worden sein“, sagte der Richter. Besonders beeindruckt hat das Gericht die Aussage der Pflegemutter der Brüder. Sie hatte vor Gericht erzählt, dass die Kinder entwicklungsgestört und traumatisiert seien, dass sie bis heute Angst vor warmem Wasser und dem Bad hätten und sich nicht von einem Mann waschen ließen. Das Badezimmer – der Ort der Züchtigung. Bis heute trägt der mittlerweile siebenjährige Bruder Windeln. Bald soll er in die Schule gehen. Es wird ihn jeden Tag ein Sozialarbeiter begleiten.Armin Lehmann

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