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Von Alexander Fröhlich: Eltern der über Jahre versteckten Jennifer angeklagt Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Sie haben ihre Fürsorgepflicht verletzt
und das Kind in seiner Entwicklung geschädigt
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Lübbenow/Neuruppin – Ein normales Leben wird die 14-jährige Jennifer wohl nie führen können, noch immer muss sie in einer Therapiestation behandelt werden. Neun Jahre lang hielten die Eltern das Kind in ihrem Haus in dem uckermärkischen Dorf Lübbenow versteckt, bis die Behörden das Mädchen im Juli 2009 dort herausholten. Nun hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin Anklage gegen den 42 Jahre alten Vater und die 39-jährige Mutter erhoben. Sie sollen ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzt haben.
Ihnen wird vorgeworfen, „durch ihr Verhalten, insbesondere durch die Beschneidung der Sozialkontakte und der Verhinderung des Schulbesuches und von therapeutischen Einrichtungen, das Kind in seiner körperlichen und psychischen Entwicklung erheblich geschädigt zu haben", sagte Oberstaatsanwalt Jürgen Schiermeyer den PNN. Laut einem Gutachten sind „Entwicklungsstörungen“ durch die fehlende Zuwendung der Eltern verstärkt worden, organische Hirnschäden oder genetische Defekte hatte Jennifer aber nicht.
Bei einer Verurteilung droht den Eltern eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. Die Mutter ist zudem wegen Urkundenfälschung angeklagt. Mit der selbst verfassten Bescheinigung einer Waldorfschule täuschte sie die Behörden im Kreis Uckermark, um eine Einschulung ihrer Tochter zu verhindern. Wann es zu einem Prozess kommt, hat das Amtsgericht Prenzlau noch nicht entschieden.
„Jennifer geht es relativ gut, sie hat sich gut entwickelt“, sagte eine Sprecherin der Kreisverwaltung. „Auch die Eltern halten Kontakt zu ihr.“ Mit ihren zwei anderen Kindern leben die vor Jahren aus Berlin in die Uckermark gezogenen Eltern in der Gegend von Angermünde und werden intensiv vom Jugendamt betreut. „Es gibt keine Auffälligkeiten, wir haben regelmäßigen Kontakt, die Eltern arbeiten mit“, sagte die Sprecherin. Weiterhin sei das Sorgerecht für Jennifer aber per Gerichtsbeschluss eingeschränkt. Im Falle einer Verurteilung werde darüber allerdings neu entschieden.
Nach PNN-Informationen aus Behördenkreisen gibt es allerdings erhebliche Probleme. „Sie halten nicht den Kontakt zu Jennifer, wie man es von Eltern erwarten könnte“, sagte ein Kenner der Falls. Auch sonst hätten die arbeitslosen Eltern Schwierigkeiten etwa bei Terminen und einfachsten Absprachen.
Für Jennifer aber geht es darum, dass sie halbwegs selbstständig zu leben lernt. „Jennifer hat sich körperlich gut entwickeln, selbst die Ärzte waren von der motorischen Entwicklung erstaunt. Dabei saß sie bei ihren Eltern immer auf der Couch und durfte höchstens kurz in den Garten“, hieß es. Geistig geht es bei dem erst im Herbst 2009 eingeschulten Mädchen langsamer voran. „Wir wissen nicht einmal, ob sie wenigstens einen Förderschulabschluss machen kann.“ Noch vor einem Jahr zeigte Jennifer autistisches Verhalten, trug Windeln, ihre von Karies zerfressenen Zähne mussten komplett ersetzt werden. Die Kreissprecherin sagte: „Dem Kind wird mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln geholfen.“
Jennifer ist für die Behörden in der Uckermark der bislang schlimmste Fall. Allerdings verzeichnet der Kreis seit Jahren eine Zunahme von Kindeswohlgefährdungen. 2008 musste das Jugendamt in 204 von 308 Verdachtsfällen eingreifen, im vergangenen Jahr bestätigten sich 260 von 361 Meldungen. Bis Ende April, also im ersten Jahresdrittel, waren in 77 von 82 Fällen Kinder gefährdet. Bis Ende Mai stieg die Zahl der gemeldeten Fälle auf 99. Aus Verwaltungskreisen hieß es, die Mitarbeiten stießen an ihre Grenzen, es gebe zu wenig Personal. Die Probleme in den Familien seien symptomatisch: hohe Arbeitslosigkeit, häufig hätten betroffene Eltern auch Alkoholprobleme. Die meisten Fälle treten bei Familien mit Kinder bis sechs Jahren auf.
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