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Brandenburg: „Endlich ist Ruhe eingekehrt“

Film zum Mord an Marinus Schöberl kommt in die Kinos In Potzlow ist die Tat kaum noch ein Thema

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Potzlow - Vor einigen Jahren gewann Potzlow den Preis als schönstes Dorf des Amtes Gramzow in der Uckermark. Viele verbinden den Namen des Ortes aber vor allem mit einem nach ihm benannten Kriminalfall - der bestialischen Ermordung des 16-jährigen Marinus Schöberl im Jahr 2002. Der deutsche Filmregisseur Andres Veiel recherchierte lange für sein Theaterstück und den Dokumentarfilm „Der Kick“, der am Donnerstag in die Kinos kommt. Auch sein Buch über die Tat und deren Umstände soll bald erscheinen. Alles müsse differenziert betrachtet werden, sagt Veiel.

In dem 560-Seelen-Dorf Potzlow erinnert nur noch eine Gedenktafel an die Ereignisse jenes verhängnisvollen 12. Juli. Damals ermordeten drei Jugendliche Marinus brutal. Einer der Täter sprang ihm sogar bei einem so genannten Bordsteinkick auf den Kopf. Die Leiche versenkten die Täter in einer Jauchegrube. Das Landgericht Neuruppin verurteilte Marcel S. zu achteinhalb Jahren Jugendhaft, Marco S. zu 15 Jahren Haft und Sebastian F. zu drei Jahren Jugendhaft. Die Anklage ging damals von einem rechtsradikalen Motiv aus. „Jedes Jahr zum Todestag organisieren wir eine Gedenkveranstaltung“, berichtet Ortsbürgermeister Johannes Weber. Dann gebe es auch Zeit für Gespräche. Die Bezeichnung Potzlow-Mord ärgere ihn maßlos. Das sei eine klare Abstempelung. Schließlich hätte die Tat überall passieren können, glaubt Weber. Jetzt sei er einfach froh, dass „endlich Ruhe eingekehrt ist“.

Potzlow wirkt wie ein verschlafenes Nest. Auf den wenigen Straßen sind nachmittags hauptsächlich ältere Frauen und Männer unterwegs. Nur die rumpelnden Traktoren von der hiesigen Agrargesellschaft unterbrechen die Ruhe. Geschäftsführer ist Ulrich Blumendeller. Er kam vor einigen Jahren aus den alten Bundesländern in die Uckermark ins nördliche Brandenburg. Dass er ein Zugezogener sei, ließen ihn auch heute noch viele Dorfbewohner spüren, sagt er. Dennoch möchte er etwas für das Dorf tun, den Jugendlichen ein normales Leben ermöglichen. „Das kennen viele hier nicht mehr, angesichts kaputter Elternhäuser und fehlender Zukunftsaussichten“, sagt Blumendeller, der auch als Ausbilder in seinem Betrieb arbeitet. Blumendellers Firma unterstützt seit einem Jahr die „Kindervereinigung“ Strehlow e. V. im benachbarten Dorf. Dort arbeitet seit langem die Sozialpädagogin Petra Freiberg. Ihr Gehalt zahlt die Agrargenossenschaft, seit die staatliche Förderung vor einem Jahr auslief. Wenn sie über die Zeit nach dem Mord spricht, wird ihre Stimme brüchig. Sie schaut auf den Boden. Immer noch erschüttere sie die geringe Anteilnahme, die viele Dorfbewohner damals aufgebracht hätten. „Wer was vom Leben will, geht hier weg“, fasst Freiberg das Geschehen der vergangenen Jahre zusammen. Das sei nicht erst seit dem Mord so. Aber auch nach dem grausigen Ereignis habe es keinen Neuanfang gegeben. Deswegen habe sie auch die Arbeit von Veiel stets unterstützt. Er habe immer nur realistisch erzählt, was im Dorf geschehen sei und nie etwas überzogen dargestellt. Vielleicht bewirke der Film etwas. Freiberg würde gerne mehr für die Jugendlichen in der Gegend tun. „Aber es gibt hier bei uns im Zentrum gewisse Spielregeln, die eingehalten werden müssen“, betont sie. Wenn die jungen Leute Blumenrabatten zerstörten, Spiegel zerdonnerten oder Kinder verbal sexuell belästigten, müssten sie dafür die Verantwortung übernehmen. Aber schon so eine einfache Regeln menschlichen Zusammenlebens zu akzeptieren, sei manchem zu anstrengend. Die engagierte Pädagogin schaut trotzdem positiv in die Zukunft.

Zusammen mit den sechs Lehrlingen der Agrargenossenschaft wolle die „Kindervereinigung“ bald neue Angebote schaffen und vielleicht auch Jugendliche aus dem Dorf mitreißen. Dann sei wieder ein Ausgleich geschaffen zwischen denen, die wollen und jenen, denen bereits vieles egal sei. Auf die Frage, wie ein solch bestialischer Mord hätte verhindert werden können, weiß der Ortsbürgermeister nicht wirklich eine Antwort. Das sei schwierig. Freiberg betont, dass einfach miteinander geredet und aufeinander zugegangen werden müsse. Dann sei vieles schon einfacher. Bald wird einer der Täter aus dem Maßregelvollzug entlassen. Laut Veiel konnte er dort noch nicht mal den Hauptschulabschluss nachholen. Keine guten Aussichten für seine Zukunft.

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