
© Matthias Matern
Brandenburg: „Er hat den Verfall komplett miterlebt“
Maria Schuppan hat in Tietzow ihren maroden Familiensitz zum Hotel gemacht: für ihren Vater, ihre Großmutter und die Leute im Ort
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Tietzow – Dort, wo jetzt ein stillvoll eingedeckter Tisch steht, befand sich einst ein sogenannter Waagebalken, der zur großen Dorfwaage vor der Tür gehörte. „Dort hat mein Großvater die Gewichte eingestellt, für die Waren, die im Ort verkauft werden sollten: Tiere, Weizen und andere landwirtschaftliche Produkte “, erzählt Maria Schuppan. Dort, wo sie selbst sitzt, am Ecktisch in der Jägerstube, wurde ihr Vater vor 110 Jahren geboren. Damals trafen sich die Bewohner von Tietzow (Havelland) im „Gasthof Willy Schultz“ zum Billardspielen, berieten bei Bier und Schnaps die wichtigsten Dorfangelegenheiten. Heute ist Schuppan die Herrin des Hauses. Nach der Wende hat die Berliner Unternehmersgattin den alten, stark mit Schulden belasteten Familiensitz übernommen und aus dem in der DDR heruntergewirtschaftetn bäuerlichen Gasthof ein kleines Hotel gemacht: Vor allem für ihren Vater, für ihre Großmutter und für die Leute im Ort. „Ich wollte einfach für meinen Vater wieder alles aufbauen. Der war total frustriert, wie alles aussah. Außerdem sollten die Tietzower nach dem Fall der Mauer wieder eine berufliche Perspektive haben“, erzählt die Hotel-Chefin.
Doch mit dem Helenenhof, den Schuppan nach ihrer Großmutter benannt hat, hat sich die 69-Jährige auch einen eigenen Wunsch erfüllt. „Ich wollte eine Herberge. Mein Vorbild ist die Krippe. Maria und Josef haben auch eine Herberge gesucht, die ihnen Schutz vor schlechtem Wetter und wilden Tieren bot“, sagt Maria Schuppan. Schutz vor schlechtem Wetter, aber mit Komfort, bietet der Helenhof heute Reisenden in 21 Zimmern, alle auf dem neuesten Stand mit Flachbildschirm- TV, Minibar, Telefon und WLAN. Außerdem gibt es einen großen Seminarraum, eine kleine Bibliothek und genug Platz für große Familienfeiern und andere Feste. Im Restaurant kommt unter anderem Wild aus dem Fläming oder der Börnicker Heide und Fisch aus Zippelsförde bei Neuruppin auf den Tisch.
Wer die Flure im Haus entlangläuft, bekommt einen Eindruck von Schuppans Aufbauleistung. Fotografien an den Wänden dokumentieren die Rettung des alten Familiensitzes. In den ersten Jahrzehnten der DDR war in dem Haus die Kantine einer Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) untergebracht, später wurde der alte Gasthof als Konsum genutzt. „Mein Vater hat den Verfall komplett miterlebt“, sagt Schuppan. Früher sei er beim Wasserwirtschaftsamt Neuruppin angestellt gewesen, dann noch vor Mauerbau nach Schleswig-Holstein versetzt worden, blieb dann aber im Westen. Weil er kein Republikflüchtling gewesen war, habe er immer wieder nach Tietzow kommen können, berichtet seine Tochter. „Bis 1989 war er jedes Jahr zweimal da, ich war oft dabei. Seine Meinung über die politische Situation behielt er aber stets für sich“, berichtet die Hotelinhaberin.
Weil ihr Vater das 1883 von seinem Großvater erbaute Haus nicht abtreten wollte, unterzeichnete er lieber die Kreditverträge, die ihm bei seinen Besuchen vorgelegt wurden. Doch statt wie vorgegeben in die Instandhaltung des Hauses gesteckt zu werde, versickerte das Geld im DDR-Staatsapparat. Am Ende beliefen sich die Verbindlichkeiten auf rund 300 000 DDR-Mark. Die Mauer war zwar gefallen, die Forderungen aber nicht hinfällig. Tochter Schuppan kaufte ihrem Vater die Immobilie ab, fand mit ihren Sanierungsplänen in der damaligen brandenburgischen Landesregierung Unterstützung, bekam von der EU entsprechende Fördermittel genehmigt und stand schon kurz danach wieder vor einem Scherbenhaufen. Wegen zusätzlicher Auflagen, die den Aushub der alten Schweineställe notwendig machten, stürzten mehrere tragende Wände ein und aus der Sanierung wurde praktisch ein Wiederaufbau. „Ursprünglich waren für die Arbeiten 1,1 Millionen D-Mark eingeplant. Danach stieg die Summe auf rund 3,2 Millionen“, erinnert sich die in Itzehoe geborene Helenenhof-Chefin.
Der Anfang war für Maria Schuppan eine Zeit mit dreifacher Belastung: Unternehmersgattin mit allen gesellschaftlichen Pflichten, fürsorgliche Mutter und Existenzgründerin. Heute beschäftigt sie in Tietzow zehn Mitarbeiter. „Alle aus der Region“, sagt sie. Ihr zur Seite steht seit Anfang an Restaurantleiter Matthias Haeberle aus Friesack, er soll später das Hotel übernehmen. „Ich sage immer: mein angenommener dritter Sohn.“
Nicht mehr täglich die wenigen Kilometer von Berlin nach Tietzow bei Nauen fahren zu müssen, ist für Maria Schuppan allerdings nur schwer vorstellbar. „Das klingt vielleicht komisch, aber wenn ich hier bin, habe ich das Gefühl, das ich mit diesem Land verwurzelt bin. Wie mein Vater“, sagt sie. Dieser hat übrigens die Eröffnung des Helenenhofes in seinem wiederaufgebauten Geburtshaus 1993 noch miterlebt und starb erst fünf Jahre später. „Bei der Einweihungsfeier hatte er sich noch an das Klavier gesetzt und ’Märkische Heide, märkischer Sand’ gespielt. Er war eben bis zum Schluss ein echter Preuße geblieben“, meint Schuppan.
www.hotel-helenenhof.de
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