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Brandenburg: Erst kirgisische Steppe, dann Psychiatrie Die Karriere eines Intensivtäters in Berlin

Berlin - Er startete seine Gangsterkarriere im Grundschulalter. Mit zwölf Jahren hatte Andrzej S.

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Berlin - Er startete seine Gangsterkarriere im Grundschulalter. Mit zwölf Jahren hatte Andrzej S. aus Neukölln schon zwei Dutzend Straftaten in der Akte: Diebstähle, Raubüberfälle, Körperverletzungen. Das Jugendamt brachte den Intensivtäter auf Staatskosten nach Kirgisistan. Fünf Jahre blieb er dort, doch nach seiner Rückkehr nach Berlin machte er weiter. So landete Andrzej S. wieder vor dem Richter – und der schickte ihn am Mittwoch nach fünf Verhandlungstagen in die geschlossene Psychiatrie. Auf unbestimmte Zeit.

S. entging dem Gefängnis nur, weil ihm ein Gutachter eine Persönlichkeitsstörung attestiert hatte. Der Richter folgte dem und entschied auf bedingte Schuldfähigkeit: Ohne psychiatrische Behandlung sei er eine Gefahr für die Allgemeinheit. Nun wird Andrzej S. weggeschlossen – so lange, bis die Ärzte sicher sind, dass er für einen Neuanfang bereit ist.

Andrzej S. stammt aus zerrütteten Verhältnissen. Als Elfjähriger kam er 2008 mit Mutter und Stiefvater aus Polen nach Neukölln, da waren seine Geschwister und er bereits mit familiärer Gewalt und sexuellem Missbrauch konfrontiert. S. startete seine kriminelle Karriere sofort nach dem Umzug. 2009 zog das Jugendamt Neukölln die Notbremse: Der Zwölfjährige wurde aus der Familie genommen und sollte in einer Spezialeinrichtung für jugendliche Gewalttäter untergebracht werden. Doch niemand wollte Andrzej S. haben. „Wir erhielten bundesweit nur Absagen“, sagt Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU). „Also wurde er nach Kirgisistan geschickt.“

Fünf Jahre, bis zum April 2014, lebte Andrzej S. bei einer Bauernfamilie in Zentralasien. Liecke zufolge kostete die Unterbringung 60 000 Euro im Jahr. „Eine Unterbringung in Deutschland hätte das Doppelte gekostet“, sagt Liecke. Immerhin schien die Rechnung aufzugehen: Das Leben in der Steppe schien S. gutzutun; er half auf dem Bauernhof, lernte Russisch und versuchte sich am Schulabschluss – allerdings ohne Erfolg. Auch eine Freundin soll er gehabt haben. Zwar sei er immer wieder wegen kleinerer Diebstähle aufgefallen, schwere Delikte habe er jedoch nicht mehr verübt. Seine Familie soll ihn in der ganzen Zeit nicht einmal besucht haben.

Im April 2014 kehrte Andrzej S. kurz vor seinem 18. Geburtstag nach Berlin zurück und zog ins betreute Wohnen, wieder nach Neukölln. „Er hatte Heimweh, wollte seine Familie sehen“, so Liecke. Zurück in der Großstadt verfiel Andrzej S. aber sofort wieder in alte Handlungsmuster: Nach nur neun Tagen in Berlin beging er seinen ersten Raubüberfall als Erwachsener. Später ließ er sich mit Drogen erwischen, überfiel eine Arztpraxis, schlug Leute zusammen. Im August prügelten S. und ein Freund einen Hausmeister mit einem Hammer nieder. Die Serie wurde erst durch die Festnahme unterbrochen, seitdem saß S. in Untersuchungshaft. Insgesamt wurden ihm acht Straftaten in vier Monaten zur Last gelegt, nur wegen der Hammerattacke wurde S. nicht verurteilt: Das Gericht konnte nicht zweifelsfrei feststellen, ob S. oder sein Freund zugeschlagen hatte.Timo Kather

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