
© ddp
Von Sandra Dassler, Hannes Heine und Claus-Dieter Steyer: Erster Mord im Rockerkrieg
Toter soll zuvor Hells Angels verlassen haben. Polizei befürchtet bundesweite Vergeltungsaktionen
- Sandra Dassler
- Hannes Heine
- Claus-Dieter Steyer
Stand:
Berlin - Ein polizeibekannter Rocker ist am frühen Freitagmorgen in Hohenschönhausen ermordet worden. Etwa um Mitternacht schossen Unbekannte auf den 33-jährigen Michael B. in der Ernst-Barlach-Straße in Wartenberg. Eine deutlich sichtbare Blutspur zog sich in die Egon-Erwin-Kisch-Straße, rund 300 Meter hatte sich der Verletzte offenbar geschleppt, um sich vor den Tätern in Sicherheit zu bringen. Am Ende verblutete B. in seinem Kiez, in dem er als Motorrad-Fan bekannt war. Anwohner hörten die Schüsse und alarmierten die Polizei. Zwei junge Männer fanden den am Boden liegenden Rocker. Der Notarzt konnte nur den Tod feststellen. Bei einer noch am Freitag durchgeführten Obduktion ist eine Schuss– und eine Stichverletzung festgestellt worden. Es wird davon ausgegangen, dass der Mord im Zusammenhang mit Konkurrenzkämpfen zwischen den verfeindeten Motorradklubs Hells Angels und Bandidos stehe. Gerüchte, wonach das Opfer ein Ex-Mitglied der Hells Angels sei, das sich den Bandidos angeschlossen hatte, konnten nicht bestätigt werden. Nach Berichten von Nachbarn hatte sich B. von den Hells Angels getrennt. Es könnte sich um Rache an einem Abtrünnigen handeln.
Für die Tat gebe es noch keine Zeugen, hieß es von der Polizei. Denkbar sei, dass der Mann aus einem fahrenden Auto heraus erschossen worden ist. Anwohner hatten zuvor einen Kleinbus gesehen. Eine Mordkommission und Spezialisten für organisierte Kriminalität ermitteln. Möglicherweise soll eine Sonderkommission gebildet werden. Der Tatort war noch in der Nacht weiträumig abgesperrt worden. Polizisten nahmen am Freitagmorgen die Harley des Opfers mit. Die Freundin von B., die in der Bäckerei eines nahen Supermarkts arbeitet, war gestern aber nicht anzutreffen. Zahlreiche Rocker pilgerten noch Freitagabend zum Tatort.
Die Polizei will nun Racheakte verhindern. Für die Rocker sei klar, „in welchen Reihen der Täter zu suchen ist“, sagte Rolf Kaßauer, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er warnte vor bundesweiten Vergeltungsaktionen. Ein Toter in der gewaltbereiten Szene sei nur eine Frage der Zeit gewesen. Die Polizei müsse eine Eskalation des „Rockerkrieges“ verhindern, sagte Kaßauer. Die Banden streiten um Einfluss im Türsteher- und Rotlichtmilieu. „Wer als Deutscher keiner Mafiafamilie angehört, aber in kriminellen Kreisen mitmischen will, muss sich einer Motorradgang anschließen, sonst macht ihn die Konkurrenz platt“, sagte ein Szenekenner.
Die Todesschüsse von Wartenberg sind der vorläufige Höhepunkt einer Gewaltserie im berlin-brandenburgischen Rocker-Milieu, das immer mehr miteinander verschmilzt. Am 21. Juni dieses Jahres hatten sich Rocker aus Berlin in Finowfurt bei Eberswalde gegenseitig fast umgebracht. Da fand die Polizei nach einem Überfall der den Bandidos nahestehenden Chicanos vier blutüberströmte Männer in einem Auto: Der Präsident der lokalen Berliner Gruppe „Hells Angels Nomads“ hatte ein Messer im Rücken, seinem Kumpel hatten die Angreifer versucht, mit einer Axt das Bein abzuhacken. Vorangegangen war ein Überfall der Hells Angels auf das Chicano-Clubhaus Ludwigsfelde.
Und gut 24 Stunden vor dem Mord in Wartenberg fanden ebenfalls wiederum in Finowfurt und im benachbarten Eberswalde Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Rockern statt. So traf die Polizei am Mittwochabend in Eberswalde den Chef der Barnimer Chicanos mit einem Dutzend seiner Kumpane an, die offenbar einen Angriff auf Rivalen planten. Die Rocker warfen die mitgeführten Messer und Keulen beim Eintreffen der Polizei schnell weg. Auch Patronenhülsen wurden später gefunden. Nur Stunden später hörten Einwohner in Finowfurt Schüsse auf einem Parkplatz. Die Polizei erfuhr erst am Donnerstag davon, fand mehrere Patronenhülsen und Projektile, aber keine Hinweise darauf, dass Personen verletzt wurden.
Die Brandenburger Ermittler haben mittlerweile auf die zunehmende Rocker-Gewalt reagiert und eine ständige Ermittlungskommission gebildet. Das Landeskriminalamt schätzt ein, dass von den Bandidos MC eine „permanente abstrakte Gefahr“ ausgeht und ihre „außerordentlich dynamischen Expansionsbestrebungen“ durch Neugründungen bei den konkurrierenden Hells Angels „aggressive Gegenmaßnahmen“ hervorrufen.
Angesichts dessen gehen Experten davon aus, dass der zum Jahreswechsel auf nationaler Führungsebene geschlossene Friedensschluss hierzulande wenig wert ist. Auch deshalb wird die Polizei besonders sorgfältig das seit Freitagabend stattfindende „Bike & BeachWeekend“ am Helenesee bei Frankfurt (Oder) beobachten, zu dem rund 5000 Rocker erwartet werden. Eingeladen dazu hat der MC Gremium aus Frankfurt. In den vergangenen Jahren blieben diese Treffen friedlich. Allerdings hatten sich erst vor knapp zwei Wochen Mitglieder des Gremium Clubs aus Potsdam mit örtlichen Hells Angels gewalttätige Auseinandersetzungen geliefert, bei denen geschlagen und auch geschossen wurde.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: