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Brandenburg: „Es gab keine Alternative“

Sie haben sich gegenseitig das Amt weggenommen: Eberhard Diepgen (CDU) und Walter Momper (SPD). Momper regierte Berlin, als die Mauer fiel. Ein Jahr später verlor er eine Wahl – Diepgen, der vor Momper regierte, kam wieder. Miteinander haben sie in spannenden Zeiten Berlin geführt und mit dafür gesorgt, dass aus Ost- und Westberlin die Metropole von heute werden konnte. Als es losging, 1991, hatten sie sechs Wochen lang über die Bedingungen für Schwarz-Rot verhandelt. Darüber reden sie jetzt – im ersten gemeinsamen Interview überhaupt

Stand:

Was haben Sie für ein Gefühl angesichts der derzeitigen Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU in Berlin?

Momper: Das haben wir alles schon einmal erlebt.

Und Sie, Herr Diepgen? Schulterzucken?

Diepgen: Nein. Die Koalitionsverhandlungen laufen ja offensichtlich so, dass beide Partner wissen: Es muss zu einem Ergebnis kommen. Deswegen wird es auch ein Ergebnis geben. Und die Vereinbarungen werden hoffentlich so formuliert, dass sie anpassungsfähig sind an die politischen Veränderungen der nächsten fünf Jahre.

Sieben Wochen nach der Wahl war 1991 die Koalitionsvertrag fertig. Über welchen Punkt haben Sie am längsten verhandelt?

Momper: Das weiß ich nicht mehr. Es war einfach ein schwieriger Prozess bei der SPD – bei der CDU nicht so –, weil die Enttäuschung über die Wahlniederlage und das Ende von Rot-Grün so groß war. Jetzt ist es ja auch nicht gerade die Lieblingsoption der Berliner SPD gewesen, wie man weiß. Aber die Verhältnisse sind so. Ein Fünf-Fraktionen-Parlament hat eben andere Erfordernisse. Da kann es zu dieser und zu jener Koalition kommen.

Diepgen: Es gab damals einen entscheidenden Unterschied zur heutigen Entwicklung: Es gab keine Alternative zur Regierungsbildung zwischen Union und SPD. Es war 1991 ein Tabu, mit der PDS zusammenzuarbeiten. Für lange Zeit galt das Prinzip: CDU plus PDS gleich Mehrheit. Was bedeutete, es gibt immer eine Regierungsbeteiligung der CDU. Und die stärkste Partei – CDU oder SPD – stellte dann den Regierenden Bürgermeister. Das war die Ausgangsposition.

Sie haben viele Stunden zusammengesessen und geredet. Wie hält man sich fit in so langen Gesprächen?

Momper: Das meiste ist damals bei den Verhandlungen schon auf unseren Schultern liegen geblieben – besonders, wenn es kritisch wurde. Und man will dann auch irgendwann ein Ergebnis. Natürlich gab es Ermüdungserscheinungen. Da hatte man es einfach satt, das Ganze noch mal durchzugehen – bei mir war das jedenfalls so. Und dann muss alles ja auch noch in der eigenen Partei durchgesetzt werden – in der anderen natürlich auch.

Und dann sagt man: Jetzt machen wir das einfach so.

Diepgen: Ich glaube, bei allen Schwierigkeiten der Ausgangssituation, die durch die zwei Jahre davor bestimmt waren, herrschte die Grunderkenntnis der gegenseitigen Rücksichtnahme. Ich kann mich nur an eine – nicht kritische, aber emotionale – Aufwallung bei Walter Momper erinnern.

Momper: (räuspert sich)

Diepgen: Es war, als vom Bundesfinanzminister

...Theo Waigel, CSU

Diepgen: die Koalitionsverhandlungen gestört wurden durch finanzpolitische Aussagen, die im Widerspruch standen – da waren wir hier völlig einer Meinung – zu den Zusagen, die der Bundeskanzler

...Helmut Kohl, CDU...

Diepgen: vorab gegeben hatte. Kann man denn überhaupt, so Walter Momper, mit einer Partei, die auf der Bundesebene so wortbrüchig ist, verhandeln? Sorgt mal gefälligst dafür, dass die Bundespartei ihr Wort hält. Das war meiner Ansicht nach die emotionalste Phase.

Momper: (lacht)

Diepgen: Da ging es schlicht und ergreifend um die Finanzen: um die Berlin-Hilfe, die Berlin-Förderung, um die Frage, ob die Verpflichtung des Bundes zum Ausgleich des Berliner Haushaltes für ganz Berlin gilt. Das war der Ausgangspunkt für alle anderen konkreten Planungen.

Momper: Die Ausgangslage vor zwanzig Jahren war einfach eine andere. Die deutsche Einheit war hergestellt. Jetzt galt es, einen Erfolg daraus zu machen, das alles zusammenzuführen. In den Monaten seit dem 9. November 1989 waren ja nur die dringendsten Dinge erledigt worden. Von daher herrschte schon ein Aufbruchsgefühl – Aufbruchsstimmung will ich nicht sagen, vermutlich bei uns beiden sowieso nicht. Eine Aufbruchsstimmung in dem Sinn: Jetzt muss es angepackt werden und muss ein Erfolg werden. Und es war natürlich auch ein Gefühl großen Glücks – das darf man ja auch nicht vergessen. Auch von daher war das anders. Und man muss dazu sagen, dass die beiden großen Volksparteien damals noch etwas größer waren, als sie es heute sind. Ich meine: Was war an den politischen Verhältnissen damals normal? Nichts! Es war alles außergewöhnlich, ungewöhnlich, neu. Die Aufgaben waren ziemlich groß – das hatten wir zu dem Zeitpunkt schon gemerkt. Wie groß sie nachher wirklich werden würden, wie schwierig, kompliziert, wie mühevoll im Einzelnen, das haben wir damals nicht so gewusst, höchstens geahnt. Von daher war es eine andere Situation. Und es gab keine Alternative zur großen Koalition.

Diepgen: Es gab auch bei den Sachthemen wenig Alternativen. Die gemeinsame Verwaltung in der Stadt musste aufgebaut, die Verkehrsinfrastruktur hergestellt werden. Dabei konnten noch keine Einzelentscheidungen getroffen werden, weil die Vorarbeiten noch zu leisten waren. Ich denke an die Planung des Hauptbahnhofs beispielsweise. Die Grundentscheidung hinsichtlich der Flughafen-Planung ist getroffen worden, die Entscheidung über das Zusammenwachsen der S-Bahn. Die Frage, wie passiert das mit den Schulen? Wie gelingt es, die Vielfalt abzusichern? In vielen Punkten gab es nur wenig Raum für ideologischen Streit. An der Basis beider Parteien wurde zwar immer wieder versucht, den zu schüren, aber in der Koalitionsvereinbarung und in den einzelnen Formulierungen war er minimiert worden. Das war übrigens auch das Grundproblem der Arbeit in der nachfolgenden Regierungszeit.

Warum? Weil die Koalitionsvereinbarung so konfliktfrei formuliert war?

Diepgen: Nein, das wäre zu einfach formuliert. Die Hauptprobleme entstanden, erstens, weil der Finanzrahmen immer enger wurde und deshalb Prioritätenentscheidungen getroffen werden mussten. Und ich weiß nicht, ob Walter Momper das genauso sieht, zweitens: In der SPD wurde in der Folge das Wahlergebnis immer als historische Fehlentscheidung begriffen, von dem einen oder anderen

Momper: Das war weit verbreitet! Aber eins möchte ich noch dazu sagen. Heute werden ja immer dicke Papiere geschrieben. Das hat mit Rot-Grün begonnen. Die enthalten nicht, was eine Koalitionsvereinbarung enthalten muss: ein paar Programmpunkte für die Stadt und den Willen, zusammenzuarbeiten. Eine Koalition ist ja eigentlich die Erklärung von zwei Parteien, zusammenarbeiten zu wollen. Und dann muss man versuchen, ein paar absehbare Konfliktpunkte zu regeln, so gut es in der Vorausschau geht. Heute ist es so, dass immer Riesenprogramme geschrieben werden. Dafür haben die Grünen gesorgt durch ihren Eintritt in die Politik: dass immer alles geregelt wird, das Arbeitsprogramm, das Komplettprogramm und möglichst alles andere auch. Und das ist eigentlich Quatsch. Wenn man gemeinsam regieren will, muss man auf den verschiedenen Etappen des Regierens fortlaufend irgendwelche Kompromisse schließen oder versuchen, sich zu verständigen, manchmal von verschiedenen Grundpositionen aus.

Haben Sie sich später im Streit gegenseitig die Koalitionsverhandlungen vorgelesen?

Momper: Ich kann mich nicht daran erinnern.

Diepgen: Ich bin ganz zurückhaltend mit meiner Antwort, weil ich niemanden bei den laufenden Verhandlungen provozieren möchte. Aber ich erinnere, dass ich in die verschiedenen Koalitionsvereinbarungen selten hineingeguckt habe. Weil man immer vor dem Hintergrund der aktuellen, veränderten Situation neue Entscheidungen treffen musste.

Was macht man, wenn es richtig problematisch wird – telefonieren oder treffen?

Diepgen: Das kommt ganz darauf an. Das meiste klärt man im Seelsorgegespräch. Probleme gibt es, wenn Sachprobleme über parteipolitische Schienen zur Profilierung genutzt werden.

Momper: Das kann es in einer Partei aber auch geben.

Diepgen: Das muss man dann ausgleichen. Dramatisch wird es, wenn Koalitionsausschüsse einberufen werden müssen. Mit aller Zurückhaltung sage ich: Meist ist es der öffentliche Druck und die Lust an einem streitigen Thema, dass irgendeiner erklärt: Jetzt muss der Koalitionsausschuss ran! Der muss dann nicht nur das Sachproblem entscheiden, sondern auch noch die Eitelkeiten der Beteiligten berücksichtigen.

CDU und SPD haben zehn Jahre miteinander regiert – dann erholten sie sich zehn Jahre voneinander. Warum hat die alte große Koalition so einen schlechten Ruf?

Momper: Jedenfalls in der SPD hat sie einen schlechten Ruf. Im Lauf der zehn Jahre gewannen die Sozialdemokraten den Eindruck, dass Teile der CDU nicht zur Sache stünden. Wenn es verabredet war, kenne ich einige, die sich ganz schnell abgeseilt haben und die SPD haben hängen lassen. Das macht bis heute das tiefe Unbehagen und die schroffe Ablehnung der Koalition mit der CDU aus.

Diepgen: Ich sehe das ein wenig anders. Die CDU als sozial engagierte Großstadtpartei ließ der SPD wenig Luft. Kernpunkt ist meiner Ansicht nach: Die SPD hat in der großen Koalition in ihrer Entwicklung mit Blick auf ihre Resonanz in der Stadt keine guten Erfolge gehabt

Momper: Das auch!

Diepgen: Vereinfacht ausgedrückt: Die Union war bei den letzten Wahlen in der Zeit der großen Koalition zu erfolgreich. Die CDU hatte über 40 Prozent, die Sozialdemokratie unter 25.

Momper: Ganz so schlimm war es nicht – aber unter 30 Prozent.

Welche Koalition haben Sie vor dieser Wahl erwartet?

Diepgen: Ich kann mich an keine Wahl erinnern, wo ein Spitzenkandidat oder eine Spitzenkandidatin mit dem großen Anspruch, stärkste politische Kraft und Regierender Bürgermeister zu werden, zehn Tage vor der Wahl die Kapitulation erklärt – nicht in Anbetracht des politischen Gegners, sondern vor dem Hintergrund der eigenen Partei.

Sie meinen Frau Künast und die Grünen.

Diepgen: Deswegen: Nach dem genannten Vorgang war schon klar, dass das Vertrauen in die Kontinuität und Verlässlichkeit einer rot-grünen Koalition in Zweifel stehen wird.

Momper: Das sehe ich auch so.

Was dachten Sie, als sie hörten, dass die Grünen die Koalitionsverhandlungen am Weiterbau der A100 scheitern lassen?

Momper: Ich saß im Plenum des Abgeordnetenhauses, als Volker Ratzmann vor der Wahl erklärte, das Ende der A100 sei – und das hat er in einer Schärfe gemacht! – unabdingbar! Da haben alle ziemlich blöd geguckt, haben gesagt, was soll denn das nun werden? Und: Das kann ja lustig werden.

Diepgen: Die Basis der Grünen hat mit dem Thema A100 die Sorge bestätigt, die offenbar der Regierende Bürgermeister hat. Dass eine noch in den Kämpfen des alten Westberlin verfangene Basis der Grünen erhebliche Schwierigkeiten machen kann. Ich rede ausdrücklich nicht von der Wählerschaft der Grünen, sondern von der Kreuzberger Basis.

Das Interview führte Werner von Bebber

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