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Brandenburg: „Es schaukelt sich hoch“
550 Polizisten rückten in Berlin-Friedrichshain an. Die Opposition spricht von einem Rachefeldzug, der Innensenator von nötigem Druck auf die linke Szene
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Berlin - Nach dem massiven Polizeieinsatz am Mittwochabend in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain debattierte am Donnerstag das Berliner Abgeordnetenhaus über das Vorgehen gegen Linksextremisten. Zeitgleich suchte eine Hundertschaft der Polizei am Donnerstag erneut Dächer und Höfe mehrerer Häuser an der Ecke Rigaer- und Liebigstraße nach gefährlichen Gegenständen ab. 550 Polizisten und das Spezialeinsatzkommando waren am Mittwoch in das Haus Rigaer Straße 94 eingedrungen. Dabei wurden kistenweise gefährliche Gegenstände sichergestellt, darunter Pflastersteine, Eisenstangen und Krähenfüße. Krähenfüße sind Metalldornen, die häufig von Linksextremisten verstreut werden, damit sich Polizeiautos die Reifen platt fahren.
Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte am Donnerstag im Parlament: „Ich dulde keine rechtsfreien Räume in der Stadt nach einem feigen, hinterhältigen Angriff auf einen Polizisten.“ Nach Polizeiangaben hatte am Mittwochmittag ein Kontaktbereichsbeamter einen Strafzettel für ein an der Ecke Rigaer- und Liebigstraße geparkten BMW geschrieben, als er von vier Personen attackiert wurde. Er wurde dabei leicht verletzt, konnte aber seinen Dienst fortsetzen. Henkel hatte bereits am Mittwochmittag angekündigt: „Der Rechtsstaat wird diese feige Gewalttat nicht unbeantwortet lassen. Die Polizei hat ihr Einsatzkonzept für die Rigaer Straße in den vergangenen Monaten massiv verschärft. Diesen Druck auf die linksextreme Szene braucht es auch.“
Das sieht die Opposition ganz anders. „Henkel auf Rachefeldzug – zulasten der Sicherheit in anderen Stadtteilen“, twitterte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Benedikt Lux, noch in der Nacht. Der Grünen-Vorsitzende Daniel Wesener schrieb: „Was in der Rigaer 94 läuft, erinnert mehr ans Alte Testament („Auge um Auge“) als an moderne Polizeiarbeit zwecks Aufklärung von Straftaten.“ Der Piratenabgeordnete Oliver Höfinghoff machte sich so lustig: „Im Haus wurden gefunden: Steine, Eisenstangen, leere Flaschen. Ein Terrornest also.“
Mehrere Abgeordnete verfolgten den Einsatz in der Nacht in der Rigaer Straße. Der Pirat Fabio Reinhardt sprach von „einer Kriegserklärung aus Wahlkampfzwecken“. Im Abgeordnetenhaus richtete Christopher Lauer (parteilos) diese Frage an Senator Henkel: „Können die Berlinerinnen und Berliner bis zur Wahl noch mehr politisch motivierte Einsätze der Polizei erwarten?“. Der Friedrichshainer CDU-Abgeordnete Kurt Wansner nannte den Polizeieinsatz „in dem seit Monaten von Linksextremen als Rückzugsort genutzten Haus Rigaer Straße 94 folgerichtig und eine deutliche Antwort des Rechtsstaates.“
Ähnlich wie im Abgeordnetenhaus gehen die Meinungen im Friedrichshainer Kiez weit auseinander. „Die Polizei provoziert doch nur“, diktierte eine Mittfünfzigerin dem Reporter am Vormittag in den Block. Den Satz hört eine jüngere Frau im Vorbeigehen, sie bleibt stehen, es entwickelt sich ein s Streitgespräch zwischen den Frauen genau an der Stelle, an der 24 Stunden zuvor der Polizist angegriffen wurde. „Es muss endlich durchgegriffen werden“, entgegnet die Mittdreißigerin: „Ich wohne seit 2006 hier, es wird immer schlimmer. Brennende Mülltonnen, brennende Autos, Krawall und laute Musik.“ Antwort: „Ich wohne schon seit 2000 hier an der Ecke, mich stört das nicht.“ Es nerve mehr, sagt die ältere Frau, dass man häufig wegen der vielen Polizeiaktionen nicht mehr nach Hause komme. Dem widerspricht die jüngere. „Ich habe die Gewaltbereitschaft der Linksextremisten satt. Die Polizei reagiert doch nur.“
Einig sind sich beide Frauen in einem Punkt: „Es schaukelt sich hier hoch.“ Darauf deuten auch Aussagen auf linksextremistischen Internetseiten: „Die Polizei und der Senat haben einen Krieg angefangen, welchen sie nur verlieren können. Eine Rote Linie wurde überschritten“, heißt es bei „indymedia“, und weiter: „Fakt ist, die Polizei und der Senat werden nun mit mächtigen Gegenaktionen rechnen müssen, ja vielleicht sogar mit bewaffneten Kampfhandlungen.“ Was damit gemeint ist, bleibt unklar.
An anderer Stelle heißt es: „Sowas wird die Szene wieder näher zusammenrücken lassen. Das wird ungemütlich, besonders für Henkel, Schreiber und Müller.“ Mit Schreiber ist der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber gemeint, der in den vergangenen Monaten immer wieder ein hartes Vorgehen gegen Linksextremisten in der Rigaer Straße verlangt hatte. Bewohner behaupten, dass die Polizei am Mittwochabend auch in Wohnungen eingedrungen sei. Die Polizei betonte, dass man nur „in den frei zugänglichen Bereichen“ gewesen sei.
Am 6. Februar will die linksautonome Szene im Friedrichshainer Kiez demonstrieren, unter dem Motto „Für Freiräume“. Der nächste Großeinsatz der Polizei steht bevor. Jörn Hasselmann
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