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Von Hannes Heine: Experten: Zunehmende „Protestkriminalität“ Brennende Autos in Berlin: Nach jüngsten Taten wurden in diesem Jahr 212 Fahrzeuge angezündet
Berlin - Die Bundeshauptstadt kommt nicht zur Ruhe. Nachdem in der Nacht zum Sonntag in Berlin erneut sechs Autos in Brand gesteckt worden sind, hat sich die Zahl der im Jahr 2009 abgefackelten Fahrzeuge auf mindestens 212 erhöht.
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Berlin - Die Bundeshauptstadt kommt nicht zur Ruhe. Nachdem in der Nacht zum Sonntag in Berlin erneut sechs Autos in Brand gesteckt worden sind, hat sich die Zahl der im Jahr 2009 abgefackelten Fahrzeuge auf mindestens 212 erhöht. In den Stadtteilen Prenzlauer Berg und Mitte brannten am Samstagabend mehrere Geländewagen und ein Mercedes – und zwar ungewöhnlich früh zwischen 18 und 22 Uhr. In Kreuzberg brannte wenige Stunden später ebenfalls ein Mercedes. Da ein politischer Hintergrund infrage komme, ermittele „wie üblich“ der Polizeiliche Staatsschutz, hieß es von der Polizei.
An den Weihnachtstagen wurde in Berlin außerdem die dänische Botschaft – aus Protest gegen die Polizeieinsätze beim Klimagipfel in Kopenhagen – mit Farbe besprüht.
Schon im vergangenen Jahr hatte es 135 Brandanschläge auf Fahrzeuge, darunter Autos von Bahn, Behörden und Firmen gegeben.
„Ein bisschen wird man wohl damit leben müssen, dass es solche Angriffe gibt“, sagte Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, dem Tagesspiegel. In diesen „schwierigen Zeiten“ habe sich eine „Protestkriminalität“ herausgebildet, die sich im kommenden Jahr zunächst noch verschärfen wird. Zunehmende Konkurrenz und krassere soziale Konflikte hätten dazu beigetragen, dass junge Menschen den Anschluss verlören. Außerdem gebe es inzwischen einen größer werdenen Bevölkerungsteil in allen Schichten, der mit Anschlägen auf teure Autos sympathisiert.
Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) sieht bei der Hälfte der Autobrandstiftungen einen linksextremen Hintergrund – er hatte Autonome mit „rotlackierten Faschisten“ verglichen. Allerdings gehen Experten davon aus, dass zunehmend als unpolitisch eingestufte Jugendliche in den Innenstadtkiezen Autos anstecken.
Am Samstagmittag in Halensee ausgebrannten Autos sind nach derzeitigen Erkenntnissen jedoch wegen eines technischen Defekts in Flammen aufgegangen.
Der Extremismusexperte Hans-Gerd Jaschke, der als Politikwissenschaftler an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht angehende Polizisten unterrichtet, hatte im Berliner „Tagesspiegel“ den Berliner Senat dafür kritisiert, mit den sozialen Folgen der Umstrukturierung von Innenstadtvierteln nicht sensibel genug umzugehen. Die Politik reagiere vor allem durch Moralisierung und Ächtung, sagt Jaschke, und bezog sich dabei auch auf den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der das Abfackeln von Autos als „pervers“ bezeichnet hatte.
Polizei und Verfassungsschutz wollen nicht zuletzt nach dem Angriff auf eine Hamburger Wache und dem Bau einer Gaskartuschenbombe in Berlin stärker gegen die autonome Szene vorgehen. Die Bundesanwaltschaft warnte sogar vor einer vermeintlichen Terrorgefahr.
Dennoch sei Deutschland im europäischen Vergleich ein ruhiges Land, sagte Polizeigewerkschafter Rainer Wendt. Extremistische Parteien etwa seien hierzulande kaum etabliert, Krisenproteste würden auch durch die „besonnenen und staatsnahen Gewerkschaften“ nicht aus dem Ruder laufen. In Ländern wie Griechenland oder Frankreich gibt es immer wieder tagelange Straßenschlachten. Allein an Silvester vor einem Jahr brannten in den sozial benachteiligten Vororten französischer Städte mehr als 1100 Autos ab. Im Großraum Straßburg – mit 640 000 Einwohnern deutlich kleiner als Berlin – zündeten wütende Jugendliche mehr als 80 Fahrzeuge in einer Nacht an.
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