Von Alexander Fröhlich: Fahndung mit dem Wattestäbchen
Massengentest soll Mord an Mädchen von 1991 aufklären helfen. 2308 Männer aus der Uckermark zum Screening aufgefordert
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Greiffenberg – Dirk Jung (45) hat sich extra einen Tag freigenommen, um nach Greiffenberg (Uckermark) zu kommen. Er wohnt in einem der Nachbardörfer, meistens aber ist er in Berlin, dort arbeitet er als Hauswart. „Wenn dadurch der Fall geklärt werden kann, dann ist das schon in Ordnung“, sagt er. Es geht um den Sexual-Mord an einer 15-Jährigen, der nun schon 20 Jahren zurückliegt. Dirk Jung ist einer von 2308 Männern aus der Umgebung, die seit gestrigem Mittwoch eine Speichelprobe abgeben können. Für die Staatsanwaltschaft Neuruppin ist der Massengentest die Ultima Ratio, sie erhofft sich dadurch, einen entscheidenden Schritt bei den Ermittlungen voranzukommen.
Andrea S. war am 15. April 1991 vermisst gemeldet worden, sie lebte damals in einem Kinderheim in Neubrandenburg und war ausgerissen. Wenige Tage später, am 19. Mai 1991, fanden Spaziergänger die Leiche in einem Wald in der Nähe der A11 bei der Autobahnabfahrt Warnitz. Axel Hetke, Chef der Mordkommission in Eberswalde, glaubt, dass das Mädchen, eine Dauerausreißerin und schon zuvor in einigen anderen Heimen untergebracht, als Tramperin unterwegs war. Sicher sind sich die Ermittler, dass Andrea nicht am Fundort getötet wurde und dass der Täter sich dort auskannte. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft entschieden, einen DNA-Massentest bei allen Männern durchzuführen, die damals in einem Umkreis von 40 Kilometern um den Fundort gelebt haben und 18 bis 65 Jahre alt waren.
Lange Jahre ruhten die Ermittlungen, der Fall wurde 1992 zu den Akten gelegt, das Verfahren vorläufig eingestellt. Dann übernahm Axel Hetke 2002 die damals neue Mordkommission in Eberswalde und prüfte die alten, liegengebliebenen Fälle, auch den Mord an Andrea S. Nun setzt er alles auf diesenGentest.
Greiffenberg ist die erste von fünf Stationen, bis MitteApril läuft das Massenscreening noch in Warnitz, Prenzlau, Gramzow und Gerswalde.Es ist das erste dieser Art in Brandenburg. Fast hätte es bereits 2001 einen weitaus größeren Massentest mit 40 000 Männern gegeben. Damals fahndete die Brandenburger Polizei in ihrer bis dahin größten Suchaktion fünf Wochen lang nach dem Mörder der 12-jährigen Schülerin Ulrike aus Eberswalde. Ulrike war verschleppt, dann sexuell missbraucht und erwürgt worden. Spaziergänger fanden die Leiche zwei Wochen später in einem Waldgebiet. Der bereits geplante Gentest wurde abgesagt, die Polizei fasste einen 25-jährigen Sozialhilfeempfänger, er hatte am Tatort auf einer Flasche einen Fingerabdruck hinterlassen. Nun hat die Polizei Greiffenberg ihren Stützpunkt im Haus der Freiwilligen Feuerwehr eingerichtet, an der Tür prangt ein gelber Zettel, DNA-Entnahmestelle steht darauf. 180 Männer aus der Umgebung können von 13 bis19 Uhr an zwei Tagen ihre Speichelprobe abgeben. Die ersten kommen schon kurz nach 13 Uhr – und sie kommen freiwillig. Das Schreiben der Polizei machte Eindruck: „Da zuckt man erstmal zusammen“, sagt Lothar Thom (52). „Aber so gibt es wenigstens eine kleine Chance, die Nadel im Heuhaufen zu finden.“ Mit dem Brief der Polizei geht er ins Dachgeschoss der Feuerwache, ein großer Raum, wo an mehreren Tischen eigens von derLandeseinsatzeinheit abgestellte Beamte warten. Diese vergleichen Thoms Daten mit ihren Unterlagen. An einem anderen Tisch dann öffnet Thom seinen Mund ganz weit, junge Polizisten entnehmen mit einem sterilen Wattestäbchen einen Abstrich von der Schleimhaut und belehren ihn: „Wenn alles in Ordnung ist, werden ihre Daten gelöscht.“Wer nicht hingeht, muss damit rechnen, dass ihn die Staatsanwaltschaft unter die Lupe nimmt. Im Einzelfall und bei entsprechenden Verdachtspunkten kann eine Speichelprobe gerichtlich angeordnet werden. Die Ermittler aber glauben, dass ihre Öffentlichkeitskampagne gewirkt hat – und an den sozialen Druck in der Bevölkerung. Wer fernbleibt, macht sich verdächtig.Erste Ergebnisse könnten im Mai vorliegen. Bislang hat diePolizei schon 700 Personen genetisch untersucht, aber ohne Erfolg. Sie kamen aus dem Umfeld des Opfers oder sind seit der Tat aus der Uckermark weggezogen. Deshalb ließ die Polizei auch in allen Bundesländern, in der Schweiz, Dänemark, Österreich und Belgien Speicheltests machen. Nur einer aus Australien ist noch nicht zurück.
Die meisten Männer in Greiffenberg und den umliegenden Dörfern können sich an den Mord aber gar nicht mehr erinnern. „Das liegt wohl daran, dass das Opfer nicht aus der Gegend kam“, sagt Axel Hetke, der Chef der Mordkommission. Thom sagt: „Wissen Sie, wir hatten damals andere Sorgen, 1991, kurz nach der Wende.“ Dirk Jung, der sich einen Tag frei genommen hat, weiß noch, was er damals getan hat: „Ich war als Maurer in Berlin auf Montage.“
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