Von Peter Tiede: Fall Jennifer: Auch Schule ließ sich täuschen
Direktorin glaubte den Legenden der Eltern und informierte andere Ämter nicht / Ministerium: Fall wäre heute nicht mehr möglich
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Potsdam/Prenzlau - Im Fall der 13-jährigen Jennifer aus Lübbenow in der Uckermark, die über Jahre hinweg von den Eltern im Haus von der Außenwelt abgeschottet worden war, hat nach dem Landkreis Uckermark auch das brandenburgische Bildungsministerium folgenschwere Fehler eingeräumt. Zudem haben nach PNN-Informationen die Eltern die Behörden über Jahre hinweg gezielt getäuscht. Es sei nicht auszuschließen, dass schon der Umzug der Familie vor neun Jahren von Berlin in das Dörfchen am nordwestlichen Zipfel Brandenburgs dem Verstecken des Kindes gedient habe, hieß es gestern aus der Kreisverwaltung in Prenzlau.
Die Leiterin der Grundschule Werbelow, in die Jennifer im Jahr 2001 hätte eingeschult werden müssen, habe es versäumt, das staatliche Schulamt über die Nichteinschulung des Kindes an ihrer Schule zu informieren, sagte der Sprecher des Bildungsministeriums, Stephan Breiding, am Donnerstag den PNN: „Der Fehler lag bei ihr, sie hätte misstrauisch werden müssen.“ Daher habe das Schulamt nach den damals geltenden Regularien nicht prüfen können, ob das Kind dann an einer anderen Schule eingeschult wurde.
Die Eltern seien damals zwar in der Schule zum Vorstellungstermin erschienen, hätten aber Jennifer nicht wie vorgeschrieben bei sich gehabt. Der Schulleiterin hätten sie erklärt, ihre Tochter habe förderpädagogischen Bedarf, daher hätten sie bereits versucht, Jennifer an der privaten Waldhofschule in Templin, die Integrationsangebote hat, anzumelden. Dazu hätten sie, so Breiding, ein Schreiben der Templiner Schule vorgelegt. Ob dieses Schreiben echt war, sei noch offen. Die Templiner Schule erklärte gestern, das Schreiben und Jennifer oder deren Eltern nicht zu kennen (Seite 1).
Die Eltern, so Ministeriumssprecher Breiding, hätten damals erklärt, da sie in Templin keinen Platz bekommen hätten, solle das Kind in eine ähnliche Einrichtung im angrenzenden Mecklenburg-Vorpommern eingeschult werden. Auch das wurde nicht überprüft. In Templin waren zudem Integrationsplätze frei.
Breiding verwies drauf, dass Fehler wie der der Schulleiterin heute nicht mehr solche dramatische Auswirkungen haben könnten. Nach dem Fall des im Jahre 2001 in Cottbus in einer Tiefkühltruhe entdeckten, verhungerten sechsjährigen Dennis seien die Regularien geändert worden. Auch bei Dennis war dem Schulamt nicht gemeldet worden, dass der Junge nicht eingeschult worden war. Heute, so Breiding weiter, habe nicht nur die zuständige Schule die Liste der Kinder, die aus ihrem Einzugsgebiet eingeschult werden müssen, sondern auch das staatliche Schulamt. Gebe es heute zu einem Kind keine Rückmeldung über Einschulung/Nichteinschulung aus der Grundschule, werde das Schulamt von sich aus aktiv.
Bei Jennifer sei die Direktorin nach den Ausführungen der Eltern zudem davon ausgegangen, dass für das Kind bereits ein sogenanntes förderdiagnostisches Verfahren laufe, bei dem der genaue Förderbedarf für das geistig und körperlich behinderte Kind überprüft wird. Das war aber nicht der Fall. Die Eltern, die schon ein Kind auf dieser Schule hatten, seien als durchaus engagiert und kooperativ eingeschätzt worden, so Breiding. Daher habe die Schulleiterin ihnen auch getraut.
Die Rektorin war mit diesem Irrtum nicht allein. Nachdem die Ortsbürgermeisterin der Gemeinde im Jahr 2005 das Jugendamt auf Jennifer und deren Nichteinschulung aufmerksam gemacht hatte, hatte ein Mitarbeiter des Amtes die Familie aufgesucht. Als die Eltern ihm erzählten, Jennifer sei wegen ihrer Behinderung von der Schulpflicht befreit, glaubte er dies ungeprüft. Die Kreisverwaltung legt dazu am heutigen Freitag in Prenzlau intern einen Untersuchungsbericht vor, der bis zum 27. August nicht veröffentlicht werden soll. Nach einer Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses am 27. August soll die Öffentlichkeit über alle Konsequenzen informiert werden. Personalrechtliche Konsequenzen für den zuständigen Jugendamtsmitarbeiter wurden bereits angekündigt.
Derzeit befindet sich das Mädchen, das zuvor nie bei einem Arzt war, in der Kinderklinik in Eberswalde. Die Eltern seien derzeit sehr kooperativ und hätten ständig Kontakt zu dem Kind, sagte ein Sprecher der Kreisverwaltung. Für Jennifer habe der Kreis bereits einen Platz in einem Therapiezentrum reserviert.
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