Brandenburg: Fanatisiert und gewaltbereit
Experten warnen vor wachsender „Reichsbürger“-Bewegung und raten zu konsequentem Einschreiten
Stand:
Brandenburg/Havel - Experten vom Verfassungsschutz und der Polizei haben vor einem Anwachsen der „Reichsbürger“-Bewegung gewarnt. „Die Ideologie selbst ist nicht neu, aber sie erfährt im aktuellen Zeitgeist um Fakenews-Debatten, einer diffusen Verbitterung über die Demokratie und dem weltweiten Rechtspopulismus einen regen Aufschwung“, warnte der Kriminalpsychologe Jan-Gerrit Keil vom Landeskriminalamt am Donnerstag auf einer Fachtagung der Polizeidirektion West in Brandenburg/Havel. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) hatte die Zahl der „Reichsbürger“ in Brandenburg zuletzt mit 470 beziffert, gegenüber rund 300 im Vorjahr.
Die „Reichsbürger“ erkennen den deutschen Staat nicht an und widersetzen sich oft staatlichen Maßnahmen. „Sie lehnen die Macht des Staates ab und wollen sie durch ihre eigene Macht ersetzen“, erläuterte der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, Bernd Palenda. Viele „Reichsbürger“ seien fanatisiert und hätten eine hohe Affinität zu Waffen, sagte Palenda. „Sie sind extremistisch, aber nicht immer rechtsextremistisch.“ Von den rund 400 „Reichsbürgern“ in Berlin sei ein Viertel der rechtsextremen Szene zuzuordnen. „Die hohe Dynamik innerhalb der Szene, ihre Unberechenbarkeit und die potenzielle Bereitschaft, mit Gewalt gegen andere Menschen – vor allem Behördenvertreter – vorzugehen, machen sie so gefährlich“, sagte Palenda.
„Den „Reichsbürger gibt es eigentlich gar nicht, wir reden hier über ein heterogenes Sammelbecken, in dem sich Schuldner, Steuerverweigerer, Mitläufer, Querulanten, Antisemiten, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Mikrostaatengründer und Selbstverwalter sowie klassische Rechtsextremisten wiederfinden“, sagte Kriminalpsychologe Keil. „Manche davon, aber bei weitem nicht alle, sind auch noch psychisch ernsthaft krank.“ Zuweilen gebe es selbsternannte Führer, die Gewinn und Geschäfte machen wollten und die Verführten.
„Noch vor wenigen Jahren waren Vollstreckungen auch bei ’Reichsbürgern’ in der Regel ohne Unterstützung der Polizei möglich“, sagte Dirk Scharner, Obergerichtsvollzieher am Amtsgericht Brandenburg. Inzwischen würden Gerichtsvollzieher und ihre Familien persönlich bedroht, wegen angeblichen Diebstahls oder Freiheitsberaubung angezeigt oder mit massiven Gegenforderungen eingeschüchtert. „Doch ob ’Reichsbürger’ oder nicht, vor dem Gesetz sind alle gleich und wir wenden geltendes Recht an“, erklärte Scharner. Bei potenziell gefährlichen Einsätzen müssten Gerichtsvollzieher auch mit Schutzwesten ausgerüstet werden.
Palenda riet den Beamten und Angestellten in den Behörden, sich nicht auf inhaltliche Diskussionen einzulassen. „Das macht keinen Sinn – stattdessen sollten Sie konsequent und streng nach dem Dienstweg handeln.“ Über Widerstand, Beleidigungen oder Schlimmeres sollten Mitarbeiter der Behörden keineswegs hinweggehen, mahnte er. „Zeigen Sie diese ’Reichsbürger’ an – damit unterstützen Sie auch Ihre Kollegen.“
Michael Hüllen vom Verfassungsschutz Brandenburg, ein bundesweit gefragter Experte, mahnte, noch zu selten sei der Druck, den „Reichsbürger“ und Selbstverwalter in der Kommunalverwaltung und vielen anderen Behörden in Brandenburg auslösen, öffentlich wahrnehmbar. Wenn „Reichsbürger“ und Selbstverwalter Verwaltungsmitarbeiter bedrohen, gefährde das die Basis unseres Zusammenlebens. Brandenburgs Verfassungsschutz war einer der ersten im Bund, der die Reichsbürger ins Visier nahm. Klaus Peter/Alexander Fröhlich
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: