Brandenburg: Fehlender Kontrollsinn
Im Prozess gegen ihren Ex-Schatzmeister Goetjes räumen die Grünen-Landeschefs Fehler ein
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Potsdam - Wegen der hohen kriminellen Energie des Ex-Schatzmeisters Christian Goetjes soll nach Ansicht der Brandenburger Grünen-Spitze der Verlust von 267 000 Euro Parteigeld lange unbemerkt geblieben sein. Im Untreueprozess gegen den einstigen Kassenwart der Partei räumten die beiden Landeschefs Annalena Baerbock und Benjamin Raschke am Montag zwar unzureichende Kontrollen der Parteifinanzen ein. Vor allem aber war es laut Baerbock ein System aus Tricks und Fälschungen, wodurch es Goetjes gelungen sei, von Januar 2010 bis Februar 2011 mehr als eine Viertelmillion Euro zu veruntreuen.
Der 34-Jährige ist in 267 Fällen der Untreue angeklagt. Die Große Strafkammer interessierte am dritten Verhandlungstag die Frage, wie Goetjes unbemerkt so viel Geld von mehreren Parteikonten auf sein Privatkonto überweisen konnte. Raschke sagte, dass Goetjes Kontoausdrucke, Rechnungen, Verwendungszwecke sowie Quartals- und Jahresberichte gefälscht und auf Parteitagen manipulierte Bilanzen vorgelegt habe. „Regelungen und Vorschriften hat er gezielt umgangen“, so Raschke. Zudem habe sich Goetjes zunutze gemacht, dass Rechnungs- und externe Wirtschaftsprüfer stets erst im Folgejahr die Bücher der Partei analysierten.
Bei aller kriminellen Energie, die beide Parteichefs dem Ex-Schatzmeister attestierten, konnte der Vorsitzende Richter Jörg Tiemann keinen wirklich ausgeprägten Kontrollsinn bei den Grünen erkennen. Auf die Frage, ob die viel höheren Ausgaben im Vergleich zu den Vorjahren nicht aufgefallen seien, sagte Raschke, dass sich nach dem Einzug der Grünen in den Landtag die Finanzlage durch eine höhere Parteifinanzierung und durch zu zahlende Löhne und Gehälter geändert habe. „Wir hatten kein Gefühl dafür“, sagte Raschke: „Nach unserem Ermessen war das Geld da.“ Tatsächlich hatte Goetjes nach eigener Aussage mehr als eine Viertelmillion Euro für zwei Prostituierte vom Straßenstrich ausgegeben, angeblich um ihnen aus Notlagen zu helfen.
Durch die Aussagen der Parteichefs wurde bekannt, dass Goetjes' Eltern den Grünen angeboten hatten, 45 000 Euro als Wiedergutmachung zu zahlen. Dafür hätten sie ihr Haus verpfändet. Nach einem notariellen Schuldanerkenntnis durch Goetjes hatten sich die Grünen mit dem Ex-Schatzmeister im Juni 2012 auf eine Rückzahlung von 65 000 Euro geeinigt. Grundlage dafür ist Goetjes' eidesstattliche Erklärung, zum Zeitpunkt der Einigung mittellos gewesen zu sein und von Arbeitslosengeld zu leben. Doch daran gibt es nach neuen Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Zweifel. Die Ermittlern gehen davon aus, dass der 34-Jährige in Berlin einen Escortservice mit osteuropäischen Prostituierten betreibt und die Hälfte der Einnahmen für sich verbucht. Laut Potsdamer Staatsanwaltschaft prüfe man daher ein Strafverfahren wegen Sozialbetruges. Die Verhandlung wird am heutigen Dienstag mit der Anhörung einer Zeugin fortgesetzt, die zu Goetjes' Escortservice gehören soll. Peter Könnicke
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