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BRANDENBURG: Feurings Statistiktricks
Innenminister Holzschuher und Polizeipräsident Feuring in Erklärungsnot: Bei der Polizei werden Statistiken geschönt. Erstmals gibt es dafür Belege. Und Brandenburg weicht von den bundesweiten BKA-Richtlinien ab.
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Potsdam - Nach PNN-Recherchen ist die in der vergangenen Woche durch das RBB-Magazin „Klartext“ bekannt gewordene Dienstanweisung der Polizeidirektion West nicht das einzige Indiz für den Versuch, mit dem in Brandenburg systematisch die Kriminalitätsstatistik geschönt werden soll. Wie berichtet räumten Holzschuher und Feuring indirekt sogar ein, von der bundeseinheitlichen Richtlinie des Bundeskriminalamtes zur Erfassung von Straftaten abzuweichen. Laut einer anderen Handlungsanweisung des Polizeidirektion West, die der PNN vorliegt, wird bereits beim Erfassen von kleinsten Delikten bei der Polizei getrickst.
Konkret geht es um die Datenerfassung von Straftaten über das System der „Zentrale Anzeigenbearbeitung“, kurz Zentrab. Hier landen alle Anzeigen und Fälle aus dem Bereich Massenkriminalität – Kellereinbrüche, Diebstähle aus und an Autos, Fahrraddiebstähle, Ladendiebstähle, leichte Sachbeschädigungen oder Tankbetrug. In einer internen Anweisung vom Februar 2012, die Minister Holzschuher trotz versprochener Transparenz dem Innenausschuss des Landtags in der vergangenen Woche nicht zur Verfügung gestellt hat, stehen detaillierte Anweisungen an die Beamten, wann derartige Fälle aufgenommen, aber nicht in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst werden sollen.
Aufgeführt ist auch ein Fallbeispiel: „Ein Bürger vermisst seine Geldbörse. Er vermutet, bestohlen worden zu sein, ohne nähere Angaben zu machen. Er erstattet Anzeige wegen Diebstahls. Konkrete Anhaltspunkte für die Tathandlung selbst kann der Bürger nicht geben.“ Es folgte die Anweisung: „Anzeigenaufnahme, gegebenenfalls Fahndungsausschreibung, aber keine PKS-Freigabe.“ Auch für weitere Delikte heißt es in dem Papier, dass es keine PKS-Freigabe geben soll, obwohl der Anfangsverdacht einer Straftrat gegeben sein kann – etwa beim Verlust eines Mobiltelefons oder des Autokennzeichens. Beides ist erfahrungsgemäß häufig Diebesgut, die Polizeibeamten sollen diese Fälle aber nicht in der Statistik erfassen, nur weil der Verdacht besteht, jemand könnte sein Handy oder Nummernschild auch verloren haben.
In einem anderen Szenario sollen die Beamten bei einer Diebstahlserie bei einer Firma durch einen unbekannten Täter, dessen erste Tat in einem anderen Jahr stattfand, alle weiteren Taten nicht gesondert in der Statistik erfassen. Alle Taten eines mutmaßlichen, aber unbekannten Täters binnen drei Jahren werden nur als ein Fall erfasst.
Die Dienstanweisung vom 21. Februar 2012 galt zwar nur zwei Monate, wurde intern aber nie aufgehoben. Verfasst hat sie ein Mitarbeiter des Führungstabs in der Direktion West. Von diesem stammt eine weitere Weisung vom August 2013, kurz danach wechselte er in den Stab des Polizeipräsidiums und damit direkt zu Polizeipräsident Arne Feuring.
In der - vergangene Woche bekannt gewordenen - Anweisung vom August 2013 ging es laut Feuring darum, die Richtlinien des Bundes zu konkretisieren. Die BKA-Vorgaben, die eine bundesweit einheitliche und damit vergleichende Kriminalitätsstatistik in den Ländern sicherstellen soll, lasse zu viel Interpretationsspielraum zu und bereite den Beamten Probleme bei der Auslegung, hieß es. Etwa bei der Frage, ob bei mehreren Autoeinbrüchen und Diebstählen im selben Straßenzug an einem Tag nur eine Anzeige aufgenommen wird oder mehrere. Im Fachjargon ist dann die Rede von Tateinheit oder Tatmehrheit. Die Polizei müsse für die Statistik entscheiden, ob es sich um eine Serientat oder Einzeltaten handele, sagte Feuring. Die Regeln seien teilweise jedoch sehr kompliziert und seit Jahren Gegenstand bundesweiter Diskussionen. Die Dienstanweisung sei daher als Hilfestellung zu verstehen. Brandenburg will die Dienstanweisung nun landesweit einführen und auch auf Bundesebene entsprechende Änderungen durchsetzen. Demnach sollen in der Statistik mehrere Autoeinbrüchen und Diebstähle im selben Straßenzug an einem Tag als ein Fall gezählt werden.
Entgegen Feurings Aussage sind die BKA-Richtlinien sehr klar und deutlich. Für den genannten Fall von Autoeinbrüchen sind die BKA-Richtlinien zum Erfassen von Straftaten sogar eindeutig.
Dort heißt es: Werden aus zehn Autos unterschiedlicher Halter Gegenstände entwendet, werden zehn Fälle erfasst. Auch andere Beispiele widerlegen Feurings Aussagen. So werden beim Aufbruch von fünf Containern, die erkennbar unterschiedlichen Firmen gehören, fünf Fälle erfasst. Oder Wenn ein Reifenstecher die Reifen an 12 Fahrzeugen – sieben Wagen einer Autovermietung und fünf unterschiedlicher Halter – beschädigt, werden sechs Fälle erfasst. Im Gegensatz zu Feurings Darstellung spielt laut BKA-Richtlinie für die Kriminalitätsstatistik die Zahl der Opfer einer Straftat sehr wohl eine Rolle.
Auch für den Innenexperten der CDU-Landtagsfraktion ist die Sache eindeutig: „Die bundeseinheitliche PKS-Richtlinie braucht keine eigenmächtige Interpretation aus Brandenburg“, sagte er. „Wenn per Anweisung aus mehreren Einzeltaten nur ein in der PKS registriertes Seriendelikt gemacht wird, dann werden damit schlicht die erfassten Gesamtzahlen heruntergerechnet und die Aufklärungsquoten verzerrt. Beides führt zu einer Kriminalstatistik, die eine verfälschte Sicherheitslage widerspiegelt.“
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