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Jens-Uwe Schade.

© MLUL

Vorwürfe gegen Agrarministerium in Brandenburg: Förderbescheid für den eigenen Lobbyverband

Auch das gehört zur Förderaffäre in Brandenburg: Ein Sprecher des Agrarministeriums übergab einen Förderbescheid an den Lobbyverband pro agro. Doch dort saß er selbst im Vorstand.

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Potsdam - Es war ein ganz besonderer Termin. Am 8. November 2011 lud der Brandenburger Lobbyverband pro agro ins Holiday Inn in Schönefeld (Dahme-Spreewald) zur „Hausmesse mit Heimatgeschmack“. Großhändler und Gastronomen sollten auf die „qualitativ hochwertigen regionalen Produkte“ aufmerksam gemacht werden und Erzeuger aus Brandenburg kennenlernen. Zugleich aber startete pro agro auch ganz feierlich ein neues Projekt, ganz formal hieß es: „Aufbau und Markteinführung einer Kooperations- und Informationsplattform für die Vermarktung regionaler Produkte an Hotels und Gaststätten“. Brandenburgs Agrarministerium förderte das Projekt sogar. Angekündigt war damals eigens der Staatssekretär Rainer Bretschneider im damaligen Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, heute Flughafenkoordinator der Landesregierung. Er sollte den Fördermittelbescheid offiziell übergeben.

Es ging im 137.000 Euro

Doch Bretschneider konnte dann doch nicht kommen und musste kurzfristig absagen. Stattdessen schickte der Staatssekretär den Pressesprecher des Ministeriums, Jens-Uwe Schade, seit 20 Jahren in dieser Funktion und Kenner der Agrarpolitik im Land. Denn Bretschneider, so berichtet es Schade heute, wollte „den Termin nicht platzen lassen“, er spricht von einer „öffentlichkeitswirksamen Übergabe des Bescheids“. Schade war es dann auch, der den Förderbescheid übergab. Es ging immerhin um 137 206 Euro von Europäischer Union und vom Land Brandenburg aus dem Förderprogramm für ländliche Entwicklung.

Der Sprecher übergab faktisch sich selbst den Bescheid

Nach PNN-Recherchen hat Schade als Vertreter des Ministeriums und damit der Landesregierung faktisch sich selbst, ganz konkret seinem Verein, den Förderbescheid überreicht. Denn schon damals war er im Vorstand des Lobbyverbands pro agro, der sich selbst als Verband zur Förderung des ländlichen Raumes versteht. Schade selbst räumte nun auf PNN-Anfrage ein, den Förderbescheid übergeben zu haben. „Hier war ich der Überbringer von Staatssekretär Bretschneider“, teilte er mit.

Einen Interessenkonflikt will der Sprecher nicht sehen

Doch einen Interessenkonflikt will Schade – dessen Ministerium seit Wochen wegen der vom Rechnungshof kritisierte laxen Förderpraxis auf Zuruf für pro agro – nicht sehen. Vor Jahren sei der Wunsch entstanden, den Vorstand breiter aufzustellen. „Neben vielen gesellschaftlichen Gruppen sollte auch jemand vom Land dabei sein, was thematisch bei pro agro für mich naheliegt“, sagte er den PNN. Nach der Satzung von pro agro habe er als Person in den Verband eintreten müssen. „Voraussetzung für die Mitarbeit im Vorstand war von Anfang an, dass ich als Pressesprecher, also als Journalist im Öffentlichen Dienst, keine Entscheidungskompetenz für die Beantragung, Bearbeitung, Bewilligung und Abrechnung von Fördermitteln für pro agro habe“, erklärte Schade. Immerhin war es dem Verband offenbar wichtig, Schade als Vorstandsmitglied ausdrücklich als Sprecher des Agrarministeriums auszuweisen.

Klarer Verstoß gegen das Gesetz

Also doch kein Interessenkonflikt? Der Pressesprecher und Landesbedienstete Schade hätte es besser wissen müssen. Ein Blick ins Brandenburgische Verwaltungsverfahrensgesetz reicht. Dort heißt es in Paragraf 21: „In einem Verwaltungsverfahren darf für eine Behörde nicht tätig werden, wer selbst Beteiligter“ oder auch „Mitglied des Vorstandes“ ist.

Mit der Übergabe des Fördermittelbescheids hat Schade aus Sicht des Fraktionschefs der Grünen im Landtag, Axel Vogel, klar gegen das Gesetz verstoßen. „Niemand darf mit einer Angelegenheit eines Vereins befasst werden, in dem er selbst in einem Organ sitzt“, sagte Vogel. Der Minister, damals wie heute Jörg Vogelsänger (SPD), sei seiner Schutzfunktion gegenüber Untergebenen nicht gerecht geworden. „Aber auch Schade hätte von sich aus selbst Alarm schlagen müssen“, so Vogel. „Offenbar hatte er kein Gefühl dafür.“

Ausdruck des engen Umgangs von Ministerium und Lobbyverband

Schade hat im Zuge der Förderaffäre übrigens Konsequenzen gezogen. Um dem Anschein eines Interessenkonflikts entgegenzuwirken, habe er bereits „im November begonnen, meine Vorstandsarbeit zurückzufahren“. Auch der Mitgliederversammlung sei er fern geblieben. Jetzt lasse er seine Vorstandsarbeit ruhen und will nicht erneut für den Vorstand kandidieren.

Grüne-Fraktionschef Axel Vogel wundert sich aber nicht, dass es überhaupt zu der Bescheid-Übergabe durch Schade kam. Vielmehr sei dies Ausdruck des jahrelangen engen Umgangs des Ministeriums mit den Vereinen im Land und der Förderpraxis. Vogel sagte: „Bei Vereinen und Verbänden, die man als Land selbst gründet und als verlängerten Arm des Ministeriums betrachtet, sind solche Verstöße gegen das Verfahrensgesetz naheliegend.“

CDU sieht "bizarre inhaltliche und personelle Zusammenhänge"

Für den Haushaltsexperten der CDU-Fraktion, Steeven Bretz, ist durch die „immer bizarrer werdenden inhaltlichen und personellen Zusammenhänge“ belegt, wie notwendig die Sondersitzung des Haushaltsausschusses im Landtag zur Förderaffäre um pro agro ist. Der Ausschuss befasst sich am heutigen Dienstag mit unterschiedlichen Fassungen zu einem Förderbescheid aus dem Jahr 2005. Es gibt verschiedene Versionen mit unterschiedlichen Namen, Telefonnummern und Geschäftszeichen. Zudem stützt eine Paraphe eines damaligen Haushaltsbevollmächtigten im Agrarministeriums die Darstellung des Rechnungshofes. Im Ausschuss müsse die Landesregierung endlich Transparenz und Klarheit schaffen. „Statt der bisherigen Salamitaktik erwarten wir widerspruchsfreie Aufklärung“, sagte Bretz. Tatsächlich könnte die jahrelange Förderung für pro agro, der als Dienstleister für das Land auftritt, sich zu einem größeren Problem für die Landesregierung auswachsen. Die EU-Kommission prüft die Förderung für den Verband – wegen möglicher Verstöße gegen das EU-Wettbewerbsrecht.

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