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Brandenburg: Forschen für ein besseres Europa
25 Jahre Viadrina in Frankfurt (Oder): Wie die Universität auf die Krise des Kontinents reagieren muss
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Das europäische Projekt, wie es Anfang der neunziger Jahre auch für das Konzept der Europa-Universität Viadrina maßgeblich war, ist im Jahre 2016 in eine schwere Krise geraten. Sie gefährdet den Erfolg der europäischen Integration auf das Äußerste, und das keineswegs nur durch den Brexit. Gerade einer Europa-Universität erwachsen aus dieser Krise außergewöhnliche und nicht zu umgehende Herausforderungen.
Vor 25 Jahren, als die Viadrina in Frankfurt gegründet wurde, war für Europa ein zweiter Frühling angebrochen, für den der Fall der Berliner Mauer und die sich abzeichnende Idee einer Osterweiterung der EU bestimmende Elemente waren. Die Wahl gerade dieses Standorts an der Oder für eine Universität „im Herzen des neuen Europas“ war sinnfälliger Ausdruck für die Hoffnung auf das, was mit der Erweiterung der EU von 2004 Wirklichkeit werden sollte. Die Europa-Universität war von Anfang an bereit und darauf angelegt, das europäische Projekt in dieser seiner neueren und größeren Inkarnation mit Energie, aber auch mit kritischer Aufmerksamkeit zu begleiten.
Inzwischen sind Europa und die Europa-Universität im denkwürdigen Jahr 2016 angekommen. Die Europa-Universität hat sich gut entwickelt in diesen 25 Jahren. Eine ähnlich erfreuliche Bilanz kann man allerdings dem Europa dieser Tage nicht ausstellen. Ist aus dem Aufbruch der neunziger Jahre wirklich ein neueres und besseres Europa geworden?
Der zunächst anscheinend garantierte wirtschaftliche Erfolg der europäischen Einigung ist dabei, von einer übereilt und opportunistisch konstruierten Währungsunion verspielt zu werden; die dabei entstandenen Antipathien und Vorbehalte unter den europäischen Partnern werden noch lange das europäische Klima vergiften. Die Union ist eine bürokratische und technokratische Einrichtung und das Europäische Parlament ein demokratisches Halbblut geblieben. Und wenn es noch einer Bestätigung für die politische Blutarmut des „neuen“ Europas bedurft hätte, dann ist sie in der Verweigerung einer auch nur annähernd gemeinsamen europäischen Bewältigung der heutigen Flüchtlingskrise überdeutlich geworden – ein schlechtes Omen für die Bewältigung noch ganz anderer Migrationsbewegungen, die im Gefolge des Klimawandels zu erwarten sind. Und für diejenigen, die (auch an der Viadrina) an der Öffnung Europas gerade für Polen so intensiv mitgearbeitet haben, ist die Haltung der heutigen polnischen Regierung eine besonders herbe Enttäuschung – auch das muss man unter Freunden offen sagen dürfen.
Das alles wäre an sich schon beunruhigend genug. Es wird aber besonders folgenschwer dadurch, dass die Krise Europas gerade in dem historischen Augenblick akut wird, in dem eine wache und funktionsfähige Präsenz Europas in der Welt entscheidend wichtig wäre.
Denn die Bedrohungen der bestehenden internationalen Ordnung mehren sich: die wirtschaftliche Dynamik – nicht zuletzt in den Schwellenländern – lässt deutlich nach. Wachsende Ungleichheiten unter den Völkern der Welt, organisierter Hass auf die Lebensformen des Westens und ein rasanter internationaler Waffenhandel schüren militanten Terrorismus. Der Klimawandel beschert den Küsten, den Wäldern, den polaren Eisschilden und den Menschen seine ersten katastrophalen Vorboten, und der Menschheit drohen durch knapper werdendes Wasser, schmutziger werdende Luft und aggressiver werdende Epidemien wie Ebola und Zika ernste gesundheitliche Schäden. Wirksame Ansätze zur Bewältigung dieser Aufgaben sind allerdings kaum erkennbar – erst recht nicht in einem Europa, das für ein gemeinsames Handeln in dieser Krise viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist.
All dies kann und darf einer Europa-Universität nicht gleichgültig sein – das Scheitern des europäischen Projekts wäre auch das Versagen eines europäisch konzipierten wissenschaftlichen Programms, wie es diese Universität mit ihrem Gründungsauftrag verkörpert hat. Das Projekt der europäischen Einigung darf nicht scheitern – die Alternative wäre verheerend. Die kritische Diagnose zum Befinden des europäischen Patienten ist kein Grund, den Patienten aufzugeben – im Gegenteil. Sie ist allerdings Grund genug, gerade auch die besten Kräfte einer Europa verpflichteten Wissenschaft aufzubieten, um eine realistische und wirksame Rekonvaleszenz zu konzipieren.
Vor Kurzem ist ein bemerkenswertes Buch erschienen. Dessen Titel verrät einiges über das kritische Ergebnis dieser Analyse: „The End of the Eurocrats' Dream: Adjusting to European Diversity“. Die Kernthese des Buches ist, dass es sich bei der Krise der EU keineswegs allein um eine fiskale Krise handelt, sondern dass sie tiefgreifende Fehler in der Struktur der Union selbst und in den wirtschaftlichen, rechtlichen und politischen Bauelementen der europäischen Integration offenbart. Die Bestandsaufnahme kommt zu dem Schluss, dass „die Zukunft der europäischen Integration ungewisser ist als je“. Sie postuliert jedoch auch, dass die Notwendigkeit einer ganz grundsätzlichen Debatte über die Bedingungen und Möglichkeiten dieser Zukunft unabweisbar ist.
An dieser Debatte wird sich die Europa-Universität in besonders intensiver Weise beteiligen müssen. Von seinem Ansatz her müsste das Forschungszentrum der Viadrina über „B/Orders in Motion“ hier einen besonders wertvollen Beitrag leisten können. Drei Baustellen sind identifizierbar.
Die erste Baustelle müsste sich die vorurteilslose Diagnose der Pathologie der Europäischen Währungsunion zur Aufgabe machen. Bis heute ist die Krise der Europäischen Währungsunion die wohl folgenschwerste Havarie des europäischen Einigungsprozesses. Wenn diese Krise sich überhaupt überwinden lässt, dann wohl nur auf der Basis einer schonungslosen Analyse der strukturellen und politischen Fehlleistungen, die für den Werdegang der Währungsunion kennzeichnend gewesen sind.
Bei den beiden übrigen Baustellen geht es um zwei besonders problematische „Flanken“ der Europäischen Union. Die eine Flanke ist die im Süden der Union, wo sich die in der Tat epochale Aufgabe stellt, das Mittelmeer von einem Massengrab verzweifelter Flüchtlinge zum Knotenpunkt eines von Europa angeführten Projekts internationaler Solidarität zu machen.
Das hat die Dimensionen eines Projekts, gegen das der Marshall-Plan zum Wiederaufbau des im Krieg zerstörten Europas ein Kinderspiel war. Hier gilt es, menschenunwürdiges Dasein in vielen Gegenden Afrikas und Vorderasiens mit vereinten Kräften menschenwürdiger zu machen. Das bedarf riesiger, auch wissenschaftlicher Anstrengungen im Siedlungs- und Verkehrswesen, in der Wasserwirtschaft, im Gesundheits- und Erziehungswesen. Aber diese Welt verfügt – wenn sie denn will – über solche Reichtümer, dass damit enorm viel erreicht werden kann. Entscheidend ist: Wenn Europa seine Würde nicht verspielen will, dann darf Frontex nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Universitäten sind keine Einrichtungen der Entwicklungshilfe, aber sie sind – und heute unabdingbarer denn je – ein Ort des Nachdenkens über die Lösung von schwierigen Problemen. Dazu sind sie erfunden worden, und das zu wollen und zu können hat immer schon zu den vornehmsten Aufgaben von Wissenschaft gehört – auch wenn sich manche ihrer abgehobeneren Vertreter gelegentlich naserümpfend davon abwenden.
Die dritte Baustelle schließlich liegt gleichsam vor der Tür dieser Universität. Sie betrifft die andere problematische Flanke – die östliche – der Europäischen Union. Eine Flanke, die im Selbstverständnis dieser Universität von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt hat, die sich aber im Laufe der letzten 25 Jahre erheblich verändert und gefährdet hat. Die damals von der Viadrina bewirkte Öffnung zu Polen war ein guter Anfang, aber es war nur ein Anfang. Inzwischen hat sich jenseits der polnischen Ostgrenzen ein neues europäisches Spannungsfeld aufgetan, das seinen Zündstoff einem neuen Selbstverständnis Russlands verdankt und in dessen Mittelpunkt das nach wie vor problematische Verhältnis zwischen Polen, der Ukraine, den baltischen Staaten und Russland steht.
Die Viadrina hat bereits begonnen – nicht zuletzt dank der Bemühungen von Alexander Wöll und dem einflussreichen Lebenswerk von Karl Schlögel – sich aktiv um diese verzwickte europäische Baustelle zu kümmern und diesem Spannungsfeld europäischer Interessen und Gegeninteressen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Auch hier gilt es dicke Bretter zu bohren. Aber auch das darf man der Viadrina nicht ersparen.
Der Autor ist Professor Emeritus an der Stanford University. Er war von 1993 bis 1999 der erste gewählte Rektor der Viadrina. Dieser Text ist die stark gekürzte Fassung des Festvortrages, den er unlängst zum 25-jährigen Gründungsjubiläum der Universität gehalten hat. Der Vortrag ist in voller Länge auf seiner Webseite zu finden: http://www.stanford.edu/people/weiler/homepage_deutsch.htm
nbsp;Hans N. Weiler
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