Brandenburg: Fünf getötete Babys in sechs Monaten
Familienministerin Ziegler sieht aber keine Versäumnisse beim Kinderschutz Kritiker fordern mehr Babyklappen. Toter Säugling aus Calau obduziert
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Cottbus/Calau - Die kleine Leiche lag ungefähr eine Woche lang nur notdürftig verscharrt im Sand nahe des Gräbendorfer Sees bei Calau (Oberspreewald-Lausitz). Polizisten fanden den neu geborenen Jungen am Donnerstag. Zuvor war ein anonymer Brief bei der Wache eingegangen. Nach der Obduktion gehen die Ermittler von einem Verbrechen aus: „Wir ermitteln wegen Totschlags“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Cottbus gestern. Über die genaue Todesursache wollte sie keine Auskünfte geben. Dazu müsse man den endgültigen Obduktionsbefund abwarten. Der erneute Fall eines getöteten Neugeborenen im Land löst überall in Brandenburg Fassungs- und Ratlosigkeit aus. Fünf getötete Babys, darunter vier Neugeborene wurden innerhalb der letzten sechs Monate gefunden. Sollte sich herausstellen, dass das am 3. Mai an der sächsischen Grenze entdeckte Kind, das an Gewalt, Kälte und fehlender Betreuung starb, aus Brandenburg stammt, wären es sogar sechs Fälle (siehe Kasten).
Die Staatsanwaltschaft in Dresden teilte gestern mit, dass die Ermittler nun freiwillige DNA-Tests durchführen wollen, um die Mutter des kleinen Jakob zu finden – und zwar auch in den brandenburgischen Nachbardörfern. Frauen seien zur Speichelprobe aufgefordert worden, sagte ein Sprecher. Außerdem wurden 5000 Euro Belohnung für Hinweise ausgesetzt, die zur Klärung des Falls führen, der momentan noch in der Statistik des Landes Sachsens geführt wird. Dort waren innerhalb weniger Wochen drei Babyleichen entdeckt worden.
Brandenburgs Familienministerin Dagmar Ziegler (SPD) sieht keine Versäumnisse des Landes. Es gäbe keine Defizite bei staatlichen Hilfsangeboten und „genug Angebote für Frauen in Krisensituationen“, sagte sie gestern in Potsdam.
Das sehen inzwischen viele anders. „Es gibt sehr wohl Defizite“, kritisiert die Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Ska Keller: „Frau Ziegler lehnt beispielsweise eine Initiative zur Legalisierung anonymer Geburten strikt ab. Wir hören oft von Frauen, die das als Ausweg sehen und von Ärzten, die ihnen diesen Ausweg im Interesse des Lebens der Kinder gern ermöglichen würden, aber keine Rechtssicherheit haben.“
Bestätigt sehen sich Kritiker durch den Fall von Nauen. Dort hatte im Dezember 2007 eine 21-Jährige ihr Neugeborenes getötet, weil sie sich schon mit dem ersten Kind überfordert und allein gelassen fühlte. Die junge Frau erzählte den Ermittlern, sie habe das zweite Kind ursprünglich anonym zur Welt bringen wollen. Dazu habe sie nach Berlin gewollt, was sie nicht geschafft habe, weil sie ihren erstgeborenen Sohn versorgen musste.
Die Ministerin geht hingegen davon aus, dass Frauen die ihre Schwangerschaft vor ihrem Umfeld und sogar vor sich selbst verleugnen, durch staatliche Hilfe nicht erreichbar sind und auch die Möglichkeit einer anonymen Geburt daran nichts ändern würde. Außerdem sei die Legalisierung anonymer Geburten rechtlich schwierig. So würde sie Grundrechte der Kinder wie das Recht auf Herkunft oder späteren Unterhalt beschneiden. Deshalb könne der Staat das nicht gesetzlich regeln. Es gebe aber auch in Brandenburg Fälle, wo Frauen in Krankenhäusern anonym entbunden hätten.
Die Polizeigewerkschaft, viele Sozialarbeiter und die Grünen sind hingegen der Ansicht, dass das Leben des Kindes vorgeht. Was nutze das Recht auf Herkunft, wenn der Mensch, der es einfordern soll, unmittelbar nach der Geburt getötet wird, argumentieren sie. Außerdem kritisieren sie, dass es im Land Brandenburg nur eine einzige Babyklappe im katholischen Sankt-Josefs-Krankenhaus in Potsdam gibt: „Das ist für ein Flächenland wie Brandenburg geradezu grotesk“, sagt ein Kriminalist: „Eine Frau, die in Elsterwerda oder Prenzlau ein Kind entbindet, kann sich doch nicht unmittelbar danach ins Auto setzen und mehr als hundert Kilometer zur Babyklappe nach Potsdam fahren“.
Ein Sprecher des Sozialministeriums wies die Kritik zurück. Jeder Fall der Kindstötung sei anders und es lasse sich nicht nachweisen, dass anonyme Geburten oder mehr Babyklappen zu weniger getöteten Babys führen würden, sagte er. In Frankreich, wo anonyme Geburten legal sind, sei die Zahl der Kindstötungen nicht zurückgegangen. Deshalb würde das Land diese Möglichkeiten auch weiterhin weder fördern noch propagieren.
Ein verhängnisvoller Fehler, meint Grünen-Chefin Keller. Schon in der Schule müsse frühzeitig über legale Hilfsangebote, aber auch über die Möglichkeiten anonymer Geburten und Babyklappen informiert werden. „Bislang finde ich solche Angebote nicht einmal im bei meinem Frauenarzt. Und wenn eine Frau ein Kind anonym zur Welt bringen will, kann sie doch nicht vorher alle möglichen Menschen fragen, wie sie das am besten anstellen soll.“
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