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Von Jörn Hasselmann: Gefangene sitzen, bis sie grau werden

Berlins Häftlinge werden immer älter, doch die Justizvollzugsanstalten sind nicht für die Bedürfnisse von Senioren ausgestattet

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Berlin - Die Gesellschaft altert, und die Gefangenen auch. Durch die demografische Entwicklung steigt in den Berliner Justizvollzugsanstalten die Zahl älterer Häftlinge deutlich an.  Der älteste Berliner Gefangene ist derzeit 82 Jahre alt. Horst D. war 2005 zu zehn Jahren wegen mehrerer Sprengstoffattentate auf einen Arzt und ein Autohaus verurteilt worden. Seit langem krank ist auch der 75-jährige Klaus A., der seit Juni 1993 in Tegel einsitzt, mittlerweile in SV. Häftlinge berichten, dass viele ältere Mitgefangene nur noch in der Zelle apathisch auf dem Bett liegen und fernsehen.

Die Justizverwaltung überlegt nun, wie sie künftig mit immer älter werdenden Gefangenen besser umgehen kann. In Baden-Württemberg gibt es seit vielen Jahren ein eigenes Gefängnis für Rentner, die Justizvollzugsanstalt (JVA) Singen. Das Durchschnittsalter dort liegt bei 68 Jahren, der älteste Gefangene ist 80 Jahre alt. Der Justizminister des Landes, Ulrich Goll (FDP), hatte kürzlich mitgeteilt, dass die Erfahrungen äußerst positiv seien.

Ob jedoch auch Berlin ein eigenes Gefängnis baut oder in einem bestehenden eine Abteilung umbaut, ist nach Angaben der Justizverwaltung noch unklar. Kapazitäten für eine Rentnerabteilung wird es in Berlin frühestens 2012 geben, wenn das neue Großgefängnis „Heidering“ für 650 Männer im brandenburgischen Großbeeren fertig sein wird. Der grüne Abgeordnete Benedikt Lux hat nun vorgeschlagen, in der JVA Charlottenburg ein Haus nur für Ältere einzurichten. Dort gebe es mehr Grün und bessere Bedingungen.

Schwierig ist bei Älteren vor allem die medizinische Versorgung. So liegt der älteste Berliner Gefangene nach einem Herzinfarkt seit Wochen im Krankenhaus. Horst D. wurde von der Feuerwehr als Notfall in eine Klinik gebracht. Doch die meisten Kranken werden von der Justiz ins Haftkrankenhaus gebracht – und das kostet Zeit und Personal, das dann an anderer Stelle fehlt. Und die gesetzlich vorgeschrieben Resozialisierung muss für Alte anders aussehen: „Statt einer Berufs- oder Schulausbildung vermitteln wir den Kontakt zu Seniorensportgruppen oder Altentagesstätten“, sagte die stellvertretende Leiterin des Frauengefängnisses, Claudia Köhler.

Doch für die drängendsten Probleme älterer Häftlinge fehlen oft Lösungen: Etwa wenn ein 75-Jähriger nicht mehr in die obere Etage des Doppelstockbettes hineinkommt. Oder weil er mit der Gehhilfe oder dem Rollstuhl nicht mehr die Treppen bewältigen kann.

Tatsächlich sind Alter oder Krankheit keine Entlassungsgründe. Das Gesetz sieht im äußersten Fall nur die Verlegung in ein „normales“  Krankenhaus vor, wenn die Behandlung im Gefängnis oder im Haftkrankenhaus nicht möglich ist. Einige Wissenschaftler und Juristen fordern jedoch, „Alter“ wie „seelische Störungen“ in den gesetzlichen Katalog der Schuldunfähigkeit aufzunehmen.

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