Flüchtlingsrat Brandenburg: Geldbuße für Denkzettel
Persönlichkeitsrecht geht vor Meinungsfreheit: Die Stadt Brandenburg bekam vom Flüchtlingsrat einen Denkzettel für die jahrelange, selbst von einem Gericht gerügte Schikane gegen einen Afrikaner. Nun ging eine Behördenmitarbeiterin gegen den Verein vor und gewann.
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Potsdam - Dieser Fall wird die Brandenburger Justiz noch eine Weile beschäftigen. Das Amtsgericht Potsdam hat am gestrigen Montag zwei frühere Mitarbeiter des Flüchtlingsrats Brandenburg wegen übler Nachrede zu Geldstrafen von jeweils 900 Euro verurteilt. Grund ist ein Negativ-Preis namens Denkzettel, den der Flüchtlingsrat seit 1997 am von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Anti-Rassismustag verleiht. Der Preis geht an Behörden und Verwaltungen, „die strukturellen Rassismus“ befördern. 2010 ging er an eine Mitarbeiterin des Rechtsamtes der Stadt Brandenburg/Havel, im Internet wurde Sabine B. auch namentlich genannt. Obwohl selbst die Staatsanwaltschaft das Vorgehen der Behörde für zweifelhaft und die Kritik des Flüchtlingsrats daran für gerechtfertigt hält, hätten die Mitarbeiter den Namen der städtischen Juristin nicht öffentlich nennen dürfen, sagte Richter Francois Eckhardt. „Das geht ein bisschen zu weit.“ Der Rassismus-Vorwurf sei ehrabschneidend und lasse sich nicht nachweisen. Damit stellte das Gericht das Persönlichkeitsrecht der Beamtin über das Recht des Flüchtlingsrats auf Meinungsfreiheit.
Dabei hat selbst das Verwaltungsgericht Potsdam 2010 das Vorgehen der Stadt Brandenburg gegen den Afrikaner Suleiman C. (32) gerügt und gewarnt, ihn „zum Spielball staatlichen Handelns“ zu machen, der „vollständig integriert“ und ein „faktischer Inländer“ sei.
Der Mann kam 1999 nach Deutschland und gab an, aus Sierra Leone zu stammen und taub zu sein. Sein Asylantrag wurde 2002 abgelehnt, er konnte aber nicht ausgewiesen werden, weil Herkunft und Staatsangehörigkeit unklar blieben. 2001 attestierten ihm zwei Ärzte eine „praktische Taubheit“ und stellten lediglich minimale Hörreize fest. Selbst die für Flüchtlinge bundesweit zentral zuständige Bundespolizei in Koblenz sah nach mehreren Vorführungen bei den Botschaften von Sierra Leone, Gambia und Nigeria keinen Grund mehr, gegen den Afrikaner vorzugehen. Denn durch dessen Gehörlosigkeit ließ sich kein Beleg für seine Herkunft wie etwa Dialekt, Sprache oder Stammeskennzeichen finden. Die Ausländerbehörde von Brandenburg/Havel glaubte dem dennoch nicht und berief sich auf die Hörreize – und das über zehn Jahre lang. Sie verweigerte die Aufenthaltserlaubnis, Suleiman C. wurde nur geduldet.
Die Behörde warf ihm sogar vor, nicht ausreichend bei der Identitätsfeststellung mitzuwirken und seine Gehörlosigkeit vorzutäuschen, um seine Herkunft zu verschleiern. Selbst in einer Stellungnahme für das Verwaltungsgericht, dass der Klage des Mannes auf Aufenthaltsgenehmigung schließlich stattgab, schrieb Sabine B. Anfang 2010, seine „sportlichen Aktivitäten“ in einem Berliner Gehörlosen-Sportclub zeigten, „dass er sich verständigen“ und das „Gesagte bei einer bestimmten Lautstärke“ verstehen könne.
Jetzt räumte Sabine B. vor dem Amtsgericht ein, sich dafür vorwiegend auf die Einschätzung ihrer Kollegen im Ausländeramt und eine unvollständige Akte gestützt zu haben – und „dass es eine Unterstellung war“. Dabei waren selbst die Hinweise auf die Gehörlosigkeit in der rudimentären Akte eindeutig. Die Anwälte des Flüchtlingsrats warfen ihr vor, sie hätte keine Einzelfallbetrachtung vorgenommen, was ihre Pflicht gewesen wäre. B. sah dafür nach eigenen Aussage keinen Anlass, sie habe den Fachkollegen vertraut. Zudem habe sie den Fall in Vertretung betreut und die Erklärung für das Verwaltungsgericht unter Zeitdruck binnen zwei Wochen verfasst.
Den Vorwurf, rassistisch zu sein, wies Sabine B., gestern zurück. Sie fühle sich an den Pranger gestellt. Dass es überhaupt zum Prozess kam, lag auch an ihrer Hartnäckigkeit. Nach ihrer Strafanzeige hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt und erst nach ihrer Beschwerde wieder aufgenommen. B. mahnte dabei sogar an, der Denkzettel-Preis müsse generell strafrechtlich überprüft werden. Dies liege im öffentlichen Interesse, weil der Preis ein Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei. Es bestehe die Gefahr eine Beeinflussung von Verwaltungsmitarbeitern.
Die Anwälte des Flüchtlingsrats sprechen von einem Musterbeispiel für Rassismus in Behörden, dessen sich die Mitarbeiter nicht einmal bewusst seien. Und Rassismus würde stets bestritten. Immerhin sieht das Rathaus den Ruf der Stadt Brandenburg durch den Denkzettel beschädigt. Ein Vertreter der Stadt hatte der Anwältin von Suleiman C. am Rande des Prozesses vor dem Verwaltungsgericht einen Deal vorgeschlagen, nämlich Aufenthaltstitel gegen Rücknahme des Denkzettels.
Noch im Gerichtssaal kündigten die Anwälte des Flüchtlingsrats gestern an, gegen das „empörende“ Urteil Rechtsmittel einzulegen. Je nach den juristischen Feinheiten kommt der Fall vor das Oberlandesgericht oder das Landgericht.
Es ist übrigens nicht das erst Mal, dass der Flüchtlingsrat Ärger bekommt. 2004 erteilte er den Denkzettel an Mitarbeiter des Landkreises Elbe-Elster. Die hatten dafür gesorgt, dass eine kurdische Familie mit drei Kindern aus dem Schutz des Kirchenasyls heraus abgeschoben wurde. Das Verfahren gegen den Flüchtlingsrat wurde eingestellt, die Begründung: Der Denkzettel sei durch den Anspruch auf Meinungsfreiheit gedeckt.
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