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Fahne eingeholt: Geordneter Rückzug vom „Bombodrom“

Im April 2010 hatte die Bundeswehr offiziell auf die Kyritz-Ruppiner Heide verzichtet. Am Freitag wurde die Fahne an der Kommandantur eingeholt. In Berlin soll das Militärgelände nun versteigert werden

Von Matthias Matern

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Wittstock - Es ist mucksmäuschenstill am Baalsee. Hier und da sitzen Angler zwischen dem dichten Schilf und schauen zu, wie ihre Posen träge auf der Wasseroberfläche dümpeln. Nur wenige Meter hinter einem dünnen Kieferngürtel sind verwaiste graue Baracken zu sehen. Es ist die ehemalige Kommandantur der Bundeswehr am Standort Kuhlmühle in der Kyritz-Ruppiner Heide. Bis zu 800 Soldaten wollte die Bundeswehr hier stationieren. Unweit der alten Kaserne aus den späten 60er Jahren hätten Jagdbomber der deutschen Luftwaffe in den Himmel steigen und im Tiefflug über die Landschaft donnern sollen. Doch jahrzehntelanger Protest hat die Pläne für das sogenannte Bombodrom auf der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zunichte gemacht. Am Freitag wurde das letzte Kapitel geschlossen. Mit einer feierlichen Zeremonie wurde die schwarz-rot-goldene Fahne am Wachhäuschen der Kommandantur eingeholt. An diesem Samstag soll das rund 5,6 Hektar große Kasernengelände in Berlin versteigert werden.

Mit drei Soldaten, zwei zivilen Mitarbeitern sowie einigen Wach- und Feuerwehrleuten hat Oberstleutnant Thomas Hering bis zuletzt die Stellung gehalten. Einst waren in der Kaserne 40 Soldaten stationiert. Zusätzlich arbeiteten dort 57 Zivilisten. „Wir haben am 30. März dieses Jahres mit der Auflösung des Standortes begonnen. Zum Schluss hatte ich noch einen Schreibtisch, ein Telefon und einen Stuhl hier“, berichtet Hering. Wehmut kommt bei dem Oberstleutnant nicht auf. 2009 wurde er nach Kuhlmühle versetzt. „Natürlich entwickeln sich über die Zeit auch Bekanntschaften, aber wenn man bei der Bundeswehr ist, gehören Versetzungen eben zum Alltag“, sagt der Berufssoldat aus Stendal, der zuvor in Köln gedient hatte. In der Regel würden Offiziere alle drei und Feldwebel alle fünf Jahre versetzt, erläutert Hering. Zumindest aus militärischer Sicht dürfte ihn der Abschied trotzdem schmerzen. Der Oberstleutnant hatte bis zuletzt immer wieder die Notwendigkeit des geplanten Luft–Bodenschießplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide betont, noch im Januar die hartnäckig ablehnende Haltung der Gegner kritisiert.

In Beschlag genommen hatte die Bundeswehr das Areal Anfang der 90er Jahre nach dem Abzug der Streitkräfte der Russischen Föderation. Rund vier Jahrzehnte lang hatte die Sowjetarmee in der Kyritz-Ruppiner Heide Panzerübungen durchgeführt und im Tiefflug Bombenabwürfe trainiert. Noch heute gilt der Landstrich nahe Wittstock/Dosse (Ostprignitz-Ruppin) als schwer munitionsbelastet. Schätzungen der brandenburgischen Landesregierung zufolge liegen dort nach wie vor zehntausende Tonnen, teils explosives Kriegsgerät.

Bereits im Juni 1992 hatte der damalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU) seine Pläne für die weitere militärische Nutzung vorgestellt. Bis zu 1700 Flugstunden im Jahr sollte die deutsche Luftwaffe dort absolvieren und zusammen mit Bodentruppen komplexe Manöver durchführen. Sogar die Nato-Verbündeten hätten über die Heide düsen dürfen. Immer wieder hatten Bürgerinitiativen zu Protestmärschen aufgerufen, Hotelbetreiber aus der Region gegen die beabsichtigten Tiefflüge geklagt. Am 21. April 2010 hatte die Bundeswehr schließlich den Verzicht auf das Gelände erklärt.

Wie die künftige friedliche Nutzung aussehen wird, steht noch nicht fest. Mit dem endgültigen Abschied der Bundeswehr geht das insgesamt rund 12 000 Hektar große Gelände in den Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) über. Teile der Heidelandschaft sollen renaturiert und zum Nationalen Naturerbe erklärt werden, auf anderen Flächen soll auch eine wirtschaftliche Nutzung in Form von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien möglich sein.

Für das Kasernengelände stellt sich die Stadt Wittstock, zu der Kuhlmühle planungsrechtlich gehört, eine „umgebungsverträgliche Umnutzung in einen Wohn- und Freizeitbereich“ vor. Einige Investoren hätten bereits Projektideen vorgetragen, berichtet Dieter Herm, stellvertretender Bürgermeister von Wittstock. Darunter seien auch abenteuerliche Vorschläge wie eine Motocross-Strecke gewesen. „Das kommt nicht infrage“, sagt Herm. Ein anderer Investor hätte Pläne für einen Kur- und Freizeitkomplex vorgestellt. „Eine Wellness- und Rehaeinrichtung wäre schon eher das Richtige“, findet der stellvertretende Rathauschef. Allerdings macht Herm keinen Hehl daraus, dass es ihm am liebsten gewesen wäre, die Bundeswehr wäre geblieben. „Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr wird uns fehlen. Rund 800 Soldaten am Standort wäre schon ein Pfund gewesen“, meint er. „Aber es ist entschieden und wir müssen nun sehen, wie wir damit klarkommen.“

Mit wem Wittstock „klarkommen“ muss, wird sich am Samstagnachmittag zeigen. Die ehemalige Kommandantur ist das Versteigerungsobjekt 122. Das Mindestgebot ist auf 89 000 Euro festgesetzt. „Ich gehe davon aus, dass die Kaserne gegen 14 Uhr aufgerufen wird“, meint Auktionator Mark Karhausen. Einige schriftliche Gebote habe er bereits bekommen, drei Interessenten hätten fest zugesagt, ebenfalls bieten zu wollen. Aufgrund der mit dem „Bombodrom“ verbundenen Emotionen sei das Objekt natürlich „außergewöhnlich“, findet Karhausen. Aber auch objektiv betrachtet habe es „Charme“. „Das Gelände verfügt über eine eigene Trinkwasserversorgung und zwei Abwassergruben. Außerdem sind die Heizungsanlage sowie die Elektrik fast neu“, schildert der Auktionator. Auch der „fußläufige Zugang zum See“ ist vertraglich geregelt, heißt es im Auktionsexpose.

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