Brandenburg: Gericht: Mängel bei Auswahlverfahren für Gesamtschulen Verwaltungsgericht hat „Zweifel“, dass Zugang für beliebte Gesamtschulen fair und gerecht geregelt ist
Potsdam - Im Land Brandenburg werden Gesamtschulen inzwischen ähnlich überrannt wie in Berlin die Gymnasien. Doch jetzt hat das Potsdamer Verwaltungsgericht in einem den PNN vorliegenden Urteil vom 3.
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Potsdam - Im Land Brandenburg werden Gesamtschulen inzwischen ähnlich überrannt wie in Berlin die Gymnasien. Doch jetzt hat das Potsdamer Verwaltungsgericht in einem den PNN vorliegenden Urteil vom 3.August 2012 explizite Bedenken angemeldet, dass das brandenburgische Schulgesetz und einschlägige Verordnungen des Ministeriums bislang ein gerechtes, transparentes und nachprüfbares Auswahlverfahren für den Zugang zu den den beliebten 21 staatlichen Gesamtschulen im Lande gewährleisten, an denen man im Gegensatz zu den 76 Gymnasien weiterhin das Abitur erst nach 13 statt nach 12 Schuljahren ablegen kann. Das Ministerium will, wie Sprecher Stephan Breiding auf Anfrage bestätigte, das Urteil auswerten. „Wir schauen es uns genau an, ob Handlungsbedarf besteht.“
Geklagt hatte eine Familie aus der Landeshauptstadt Potsdam, wo das Problem besonders krass auftritt, da die hier existierenden vier Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe den fünf Gymnasien in der Beliebtheit insgesamt bereits den Rang abgelaufen haben, es im Zuge des so genannten Ü7-Verfahrens für die Übergänge an weiterführende Schulen nach den 6.Klassen alljählich eine Klageflut besonders um Gesamtschulplätze gibt. Eine Rolle spielt, dass für viele Eltern die mit der 10.Klasse endenden Oberschulen weniger attraktiv sind, weil sie ihren Kindern die Option „Abitur“ offenhalten wollen. Und ein Wechsel aufs Gymnasium nach dem Abschluss der 10.Klasse in einer Oberschule gilt als schwierig, zumal dann nur zwei Jahre bis zum Abi bleiben.
Zwar ist im konkreten Fall die betroffener Potsdamer Familie in eigener Sache mit dem ersten Anlauf gescheitert, per Eilverfahren einen Platz für ihren 12-Jährigen an der Neuen Gesamtschule Potsdam einzuklagen. Trotzdem rügten die Richter das Vergabeverfahren der Schule als „fehlerhaft“. Und nicht nur das, Anwältin Alexandra Mebes von der Kanzlei Streitbörger & Speckmann, die die Familie vertritt, sieht sich vor allem auch durch die grundsätzlichen Passagen zu juristischen Grauzonen in Bezug auf das Auswahlverfahren bestätigt.
Konkret bemängelt das Gericht nämlich, dass es mangels Vorgaben im Grunde „den Schulen selbst überlassen“ sei, „für die Auswahl von bis zu einem Drittel der Schülerinnen und Schüler, die an der Gesamtschule aufgenommen werden, die Aufnahmekriterien zu bestimmen.“ Dabei sei es erforderlich, dass die Auswahl „transparent und nachprüfbar“ erfolgt. Zum Hintergrund: Nach dem brandenburgischen Schulgesetz sind an den Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe - andere gibt es in Brandenburg gar nicht - ein Drittel der Plätze für künftige Abiturienten vorbehalten, die nach der 6.Klasse entsprechende Leistungsvorraussetzungen (für den Bildungsgang Allgemeine Hochschulreife) mitbringen müssen, adäquat zum Aufnahmeverfahren an den Gymnasien. Für die restlichen zwei Drittel der Gesamtschulplätze aber erfolgt das Verfahren formal nach den Aufnahmeverfahren der Oberschulen, also für den Bildungsgang Fachoberschulreife/Allgemeine Berufsausbildungsreife. Es ist für Kinder vorgesehen, die eine Zehnte-Klasse-Laufbahn anpeilen. Einige geben dies in der Praxis aber nur taktisch an, obwohl sie die Abi-Voraussetzungen mitbringen, weil sie auf diesem Weg womöglich bessere Chancen auf den Gesamtschulplatz haben. Wer einmal dort ist, kann später immer noch den Weg zum 13-Jahre–Abi wählen. Diese Gesamtschulplätze aber werden neben dem Kriterium Wohnortnähe, klar definierten besonderen Härtefällen, also etwa Kinder mit sonderpädagischem Förderbedarf, bislang zu 50 Prozent nach „besonderen Gründen“ vergeben, die jede Schule selbst bestimmt. Deshalb hat die Kammer „auch unter Berücksichtigung dieses Verfahrens Zweifel“, ob die massgeblichen Bestimmungen des brandenburgischen Schulgesetzes und der Verordnung zur Sekundarstufe I mit dem Verweis auf besondere Gründe „hinreichend bestimmt“ seien, heißt es. Es sei ein „unbestimmter Rechtsbegriff.“ Doch müsse gewährleistet werden, „dass das Auswahlverfahren gegebenenfalls von der Widerspruchsbehörde oder dem Gericht überprüft werden kann“, so das Urteil. „Das ist hier nicht möglich.“ Das deckt sich mit den Erfahrungen von Anwältin Mebes: „Das ist von Schule zu Schule unterschiedlich.“
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