Durchsuchung bei Antifa: Gericht pfeift Beamte zurück
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Linke. Doch Richter haben Zweifel: Eine Razzia war rechtswidrig
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Potsdam - Selbst Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) hatte sich die Akten zu dem Fall kommen lassen. Er fand eine Razzia der Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen das Antifa-Bündnis in Oranienburg wegen einer 40-seitigen Broschüre über rechtsextreme Strukturen in Oberhavel überzogen. Das fand jetzt auch das Landgericht Neuruppin und erklärte die Ermittlungsmaßnahmen für rechtswidrig. Womöglich wird Schadensersatz aus der Staatskasse fällig.
Die Ermittlungen gingen auf die Strafanzeige eines Berliner Anwalts zurück. Er war in der auch im Internet abrufbaren Antifa-Broschüre „Blickpunkt“ als Neonazi-Anwalt tituliert worden. Zudem wurde ein Screenshot seiner Internetseite abgedruckt. Er vertrete weder „in Menge“ Neonazis, noch sei er „in dieser Richtung politisch gebunden“, die Broschüre bausche nur auf, hatte der Jurist erklärt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Verleumdung, übler Nachrede und des Verstoßes gegen das Urheberrechtsgesetz gegen zwei Mitglieder der Antifa-Oranienburg – einen 26-Jährigen und eine 22-Jährige. Das Amtsgericht Neuruppin genehmigte eine Hausdurchsuchung. Zwei Brandenburger Staatsschutzbeamte des Landeskriminalamtes kamen Ende Januar in die Berliner Wohnung der Antifa-Mitglieder. Sie beschlagnahmten ein Netbook, zwei Notebooks, ein Handy, diverse Speichermedien, 108 Ausgaben der Broschüre und Unterlagen. Hinzugezogene Berliner Beamte hinterließen nach Angaben der Betroffenen verwüstete Räume. Sie legten noch am selben Tag Beschwerde ein.
Mit Erfolg, denn das Landgericht Neuruppin stellte nun fest: Der Erlass des Durchsuchungsbeschlusses und die Beschlagnahme waren rechtswidrig. Die Richter halten dieses Vorgehen für unverhältnismäßig. Die Schwere der Taten sei gering, die vorgeworfenen Vergehen zählten zudem zu den Privatklagedelikten, weshalb „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zumindest fragwürdig ist“, so die Richter. Die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, dass sie die beschlagnahmten Gegenstände wieder herausgeben will. Ob sie weiterermittelt, ist offen. Aus dem Justizministerium hieß es, der Vorgang werde kritisch ausgewertet. Oberstaatsanwältin Lolita Lodenkämper sagte, ihre Behörde werde den Beschluss des Landgerichts genau prüfen.
Auf vier Seiten sind darin die Hinweise der Richter eindeutig. Sie halten den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung für „außerordentlich zweifelhaft“. Beim Vorwurf der Verleumdung und üblen Nachrede wegen der Bezeichnung Neonazi-Anwalt weist die Kammer der Ermittlern handwerkliche Fehler nach. Mit Neonazi-Anwalt „wird nichts anderes ausgedrückt, als dass der Rechtsanwalt schon mehrfach Neonazis vertreten hat“ und „daher anzunehmen hat, dass er ständige anwaltliche Kontakte zur rechtsradikalen Szene“ habe, so die Richter. Diese Frage hätte die Staatsanwaltschaft aber zuvor gründlich prüfen müssen, immerhin sei die Durchsuchung ein einschneidender Eingriff in Grundrechte. Tatsächlich hatte die Antifa anhand mehrerer Fälle belegt, dass der Anwalt Neonazis und Mitglieder der NPD-Oberhavel verteidigt hat. Zudem hätte die Staatsanwaltschaft prüfen müssen, ob „andersartige Ermittlungen vorrangig durchzuführen sind“, um den Verdacht zu klären.
„Hier wurde mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt Martin Henselmann, Anwalt der beiden Antifa-Mitglieder. „Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft ein Einsehen hat und das Verfahren einstellt.“ Am Ende könne er auch Schadenersatzansprüche wegen der Razzia geltend machen: „Das kann gut und gerne ein vierstelliger Betrag sein.“
Auch Mitglieder der Bündnisse gegen Rechtsextremismus in Oberhavel vermuten hinter dem Vorgehen der Ermittler andere Ziele. Etwa dies: dass die Polizei mit der Razzia Informationen abgreifen wollte. „Dieses Vorgehen hinterlässt einen unangenehmen Geschmack. Es besteht der Eindruck, dass sie meine Mandanten auf dem Kicker haben“, sagt der Anwalt. „Auch weil sie der Polizei den Rang abgelaufen haben, was Aufklärung und Aktionen gegen rechte Strukturen betrifft.“ In Oranienburg herrsche der Eindruck, die Antifa sei über die rechte Szene besser informiert als Staats- und Verfassungsschutz. Zudem dürfe die Polizei auf Betreiben der Antifa nicht mehr an den Treffen des Bündnisses in Oranienburg teilnehmen, so Henselmann. Den Beamten wurde vorgeworfen, nur Informationen abgeschöpft, aber eigene Erkenntnisse zurückgehalten zu haben.
Die strittige Broschüre erschien bereits Anfang 2011 und sorgte in Oberhavel für einiges Aufsehen, da darin detailliert die rechtsextreme Szene der Region beschrieben wird. Für hochrangige neonazistische Funktionäre war der Süden Oberhavels lange Rückzugsraum – auch für Führungskräfte der NPD, deren Nachwuchsorganisation JN und des 2009 vom Bundesinnenministerium verbotenen Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“. Den lokalen Bündnissen gegen Rechts dient die Broschüre als wichtigstes Nachschlagewerk.
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