Von Claus-Dieter Steyer und Alexander Fröhlich Von Tanja Buntrock und Jörn Hasselmann: Geschlagen, gequetscht und getreten Jahrelanges Mobbing in Luckenwalder Schule beschäftigt Justiz und den brandenburgischen Landtag
Luckenwalde - Es ist der Alptraum aller Eltern. Sie schicken ihr Kind am Morgen mit den besten Wünschen für einen erfolgreichen Tag in die Schule und erhalten wenig später die erschütternde Nachricht, dass es mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer ernsten Augenverletzung mit dem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden musste.
Stand:
Luckenwalde - Es ist der Alptraum aller Eltern. Sie schicken ihr Kind am Morgen mit den besten Wünschen für einen erfolgreichen Tag in die Schule und erhalten wenig später die erschütternde Nachricht, dass es mit einem Schädel-Hirn-Trauma und einer ernsten Augenverletzung mit dem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden musste. So wie beim zwölfjährigen Florian K. in Luckenwalde. Er war in der Vorwoche nicht etwa unglücklich gestürzt, sondern von vier Mitschülern zusammengeschlagen worden. Die Prügelorgie mit Tritten und Schlägen fand während der Pause auf dem Schulhof, wo Lehrer eigentlich die Aufsicht führen müssten, statt. Wie Schulleiterin Evelin Bendel in einem Interview mit den PNN sagte, geschah der Vorfall in einem „schlecht einsehbaren Bereich“, die Lehrer seien „in dem für sie vorgesehenen Aufsichtsbereich gewesen“.
Inzwischen befindet sich der erheblich verletzte Florian K. nach Angaben seiner Mutter wieder zu Hause. Eine Berliner Augenklinik kämpft um die Erhaltung der Sehkraft des Jungen. Die Familie hat sich zurückgezogen.
Mit den genauen Umständen beschäftigen sich nun Polizei, Staatsanwaltschaft und der brandenburgische Landtag. „Wir prüfen die Aufnahme von Ermittlungen wegen möglicher Verletzung der Aufsichtspflicht gegen das Lehrerpersonal“, hieß es am Montag von der Staatsanwaltschaft. Allerdings sei bislang kein Anhaltspunkt dafür erkennbar.
Fest steht, dass Florian schon drei Jahre an der Friedrich-Engels-Schule drangsaliert und angegriffen worden war. Durch einen Stoß vom Fahrrad erlitt er einen Beckenbruch und einmal wurde ihm der Arm an der Toilettentür gequetscht.
Schulleiterin Bendel hatte Ende vergangener Woche erklärt, von diesen Fällen „wissen weder wir, noch die Polizei, noch andere Behörden etwas“. Aus der Lehrerschaft hieß es, die Schule sei von der Mutter nie über die Vorfälle informiert worden, zum Teil hätten diese sich außerhalb des Schulgeländes zugetragen, was sich im Nachhinein herausgestellt hätte.
Bekannt war der Schulleiterin, dass Florian oft fehlte, „offensichtlich Schulangst und seelische Probleme hat“. Das Angebot, Florian von einem Schulpsychologen behandeln zu lassen, habe die Mutter abgelehnt. Die Mutter dagegen warf denLehrern vor, sie hätten die psychischen und physischen Verletzungen ihres Sohnes nicht ernst genommen. Regelmäßig sei er am Sonntagabend krank geworden – aus Angst vor dem nächsten Tag in der Schule, klagte seine Mutter.
Warum die Frau ihren Sohn auf dieser Schule ließ und keinen Alarm schlug, blieb ebenfalls unklar.
„Der Vorfall in Luckenwalde ist so schockierend, dass sich der Bildungsausschuss des Landtages damit beschäftigen wird“, kündigte der jugendpolitische Sprecher der Linken, Torsten Krause, an. „Es ist nicht zu verstehen, warum das Pausenpersonal der Schule die Attacke nicht bemerkt hat“, sagte Krause. „Gerade an Grundschulen muss von den Lehrern eine große Aufmerksamkeit für das Geschehen in den Pausen verlangt werden.“ Konsequenzen dürfe es deshalb nicht nur für die Täter geben. „Wir müssen nach den tieferen Ursachen forschen und nachhaltige Schlussfolgerungen ziehen.“
Nach seinen Angaben würden pro Jahr 750 bis 800 Delikte an Schulen bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Die Tendenz zeige nach unten, was aber an den zurückgehenden Schülerzahlen liege. „Die Dunkelziffer dürfte bedeutend höher liegen, weil sich Kinder beim Mobbing zuerst an ihre Lehrer und erst viel später an die Polizei wenden.“ Deutschlandweit mache immerhin jeder fünfte Schüler Erfahrung mit Gewalt an der Schule.
In Luckenwalde wurden die vier mutmaßlichen Schläger an andere Schulen versetzt, nachdem Eltern heftig protestiert hatten. „Bleiberecht für Prügler? Wer schützt unsere Kinder?“ lauteten Aufschriften auf Plakaten in der Stadt. Die Leitung der Friedrich-Engels-Schule hält sich inzwischen mit öffentlichen Erklärungen mit Hinweis auf mögliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zurück. In der Schule kommen inzwischen Drohschreiben an.
Das Bildungsministerium spricht von einem „höchstproblematischen Fall“, es sei noch völlig unklar, was passiert sei, ob sich die Gewalt aus einem Spiel heraus aufgeschaukelt habe, oder ob die Schüler Florian von Beginn an fertigmachen wollten. Eine mögliche Verletzung der Aufsichtspflicht sei in jedem Fall „inakzeptabel“, ebenso Vorwürfe, dass die Lehrer nicht schon früher gegen das Mobbing eingeschritten seien. „Ob das stimmt, ist aber völlig unklar“, sagte ein Ministeriumssprecher.
Als der Junge nach einem früheren Angriff in der Schule ins Krankenhaus musste, hatten sich die Lehrer nach Darstellung der Mutter nur danach erkundigt, ob er denn wirklich stationär behandelt werde oder er die Schule nur schwänzen wolle. Denselben Vorwurf – aber zur jüngsten Prügelei – erhob die Mutter nun in der Bild-Zeitung: Die Schulleiterin hätte sich in der Klinik erkundigt, ob Florian wieder schwänze. Dem widersprach die Direktorin: Sie selbst habe die Polizei eingeschaltet.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: