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Kontrollmangel. Bundespolizeibeamte beim Stopp eines Pkw an der A 12 nahe der deutsch-polnischen Grenze.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Brandenburg: „Grenzwertig“

Bundespolizeigewerkschaft fordert 300 zusätzliche Beamte an Brandenburgs Grenze zu Polen. Behörden sind wegen Terrorgefahr von der wachsenden Zahl von einreisenden Tschetschenen alarmiert

Stand:

Potsdam - Die Brandenburger Sicherheitsbehörden sind besorgt über eine zunehmende Zahl von Tschetschenen, die vornehmlich über die polnische Grenze nach Deutschland kommen. Die Zahl der eingereisten Tschetschenen habe sich mit 734 in den ersten vier Monaten des Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdreifacht, teilte das Innenministerium auf Anfrage der AfD-Landtagsfraktion mit. „Das ist insofern bedenklich, als dass der weitaus überwiegende Teil der vom Verfassungsschutz beobachteten rund 70 Islamisten in unserem Land aus dieser Region stammt“, sagte Ministeriumssprecher Wolfgang Brandt. Zumal diese Islamisten dem sogenannten Kaukasus-Emirat angehören, das einen Treue-Eid auf den IS in Syrien und Irak geleistet hat. Von den 70 Islamisten – Tendenz steigend – werden 50 als gewaltbereit eingeschätzt.

Die Daten zur Zugehörigkeit der Bevölkerungsgruppe der Tschetschenen beruhen allerdings laut Ministerium nur auf freiwilligen Angaben der Asylsuchenden. Zudem sind Mehrfachregistrierungen in den Asyl-Datensystemen nicht ausgeschlossen. Insgesamt sind für Brandenburg im vergangenen Jahr 1761 Personen aus der Russischen Föderation registriert worden, 1139 davon waren Tschetschenen. Allein in diesem Jahr sind es schon 983 aus der Russischen Föderation – davon 734 Tschetschenen. Sollte sich der Trend fortsetzen, wäre mit 2000 Tschetschenen in diesem Jahr zu rechnen.

Den steigenden Trend beobachtet auch die Bundespolizei, obwohl die Zahl der illegal eingereisten Menschen nach Angaben der Bundespolizeidirektion Berlin in diesem Jahr gegenüber 2015 leicht gesunken ist. Unter den knapp 350 an der brandenburgisch-polnischen Grenze aufgegriffenen Illegalen stellten Menschen aus der Russischen Föderation mit mehr als 180 die größte Gruppe. „Darunter waren ganz überwiegend Tschetschenen“, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Der Berlin-Brandenburger Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft, Axel Bonitz, hatte jüngst erklärt, jeden Monat würden etwa 100 bis 150 Tschetschenen auf der Autobahn 12 gefasst.

Doch die Aussagekraft der Zahlen ist begrenzt: Denn die Bundespolizei an der Grenze zu Polen ist komplett unterbesetzt. Bonitz fordert deshalb gegenüber den PNN, die Aufstockung der Bundespolizei an Brandenburgs Grenze zu Polen um 300 Beamte, „um ordnungsgemäß die Aufgaben wahrnehmen zu können“. Im Klartext: Die Bundespolizei ist nur noch bedingt einsatzfähig, kann die Sicherheit nicht mehr gewährleisten – insbesondere den Schutz vor der illegalen Einreise von Islamisten. Laut Berlin-Brandenburger Gewerkschaftschef Bonitz verfügt die Bundespolizei entlang der Grenze – in den Inspektionen Forst, Frankfurt (Oder) und Angermünde – nur über die Hälfte der eigentlich vorgesehenen Personals. Zahlreiche Beamte sind an die Berliner Flughäfen beordert worden, ein anderer Teil – aktuell noch 50 – muss deutsch-österreichischen Grenze in Bayern, dem Schwerpunkt der Zuwanderung, trotz sinkender Flüchtlingszahlen Dienst verrichten.

Dabei wächst das Problem an Oder und Neiße. In einem jüngst von der „Welt am Sonntag“ publik gemachten internen Lagebericht der Bundespolizeiinspektion Frankfurt (Oder) ist von einem „deutlichen Signal für weiter steigenden Migrationsdruck an der deutsch-polnischen Grenze“ die Rede. Die Personallage sei „sehr angespannt“ und „grenzwertig“. Trotz des „deutlich verminderten“ Personaleinsatzes seien im Mai 2016 „immerhin noch 114 unerlaubte Einreisen“ erfasst worden. Der Rückgang der Festnahmen sei „auf den deutlich verringerten Personaleinsatz“ zurückzuführen“.

Intern wurde den Beamten in Frankfurt (Oder) von der Bundespolizeidirektion Berlin nun ein Maulkorb verpasst – weil ihnen derlei Beurteilung der Lage gar nicht zustehe, wie es hieß. Beamte vor Ort können darüber nur den Kopf schütteln. Dabei müssten derlei drastische Berichte der Beamten über die Zustände den Vorgesetzten doch gelegen kommen, um den Druck und den offensichtlichen Bedarf nach mehr Personal nach oben – zum Bundespolizeipräsidium in Potsdam und von dort zum Bundesinnenministerium in Berlin – weiterzuleiten. Die Worte von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zur Terrorgefahr in Deutschland, wonach Teile der Antworten die Bevölkerung verunsichern würden, erscheinen vor diesem Hintergrund in ganz anderem Licht.

Aber selbst wenn Tschetschenen aufgegriffen werden, sei ihre Abschiebung in der Praxis kaum möglich, heißt es aus Brandenburger Sicherheitskreisen. Justiz und Innenbehörden arbeiten derzeit an einer Lösung. Das Problem: Die Russische Föderation stellt den Tschetschenen keine Pässe aus, dann können sie nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden. Eine Zurückweisung nach Polen wäre möglich, aber wenig effektiv, weil die Menschen oft nach nur wenigen Tagen wieder in Deutschland seien. Die Mehrheit der aufgegriffenen Personen habe in Polen den Asylantrag gestellt und sei mit Schleusern nach Deutschland weiter gereist, hieß es. (mit dpa)

nbsp;Alexander Fröhlich, Klaus Peters

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