
© Matthias Matern
Brandenburg: „Haltestelle, Acker, Haltestelle“
Cornelia Kienzle und Lena Hahnke absolvieren ihr Lehramtspraktikum in Templin. Die Stadt zahlt die Unterkunft und hofft, die Potsdamer Studentinnen kehren irgendwann als fertige Lehrerinnen zurück aufs Land
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Templin - Seit vier Wochen sind Lena Hahnke und Cornelia Kienzle in Templin. Den ersten Schock haben die beiden jungen Berlinerinnen überwunden. „Wir fühlen uns hier wohl“, versichern sie. Wenn auch der Kontrast bei der Ankunft mit dem Zug groß gewesen sei, räumt Hahnke ein. „Sehr groß sogar“, schiebt die 24-jährige Lehramtsstudentin aus Lichtenberg hinterher. Cornelia Kienzle, 25 Jahre alt und ebenfalls Lehramtsstudentin, nickt: „Haltestelle, dann wieder Acker und dann wieder Haltestelle.“ Noch bis Ende Januar werden die beiden Studentinnen der Universität Potsdam immer montags in die Uckermark fahren, die Woche über am städtischen Gymnasium ihr Praxissemester absolvieren und am Wochenende wieder nach Berlin zurückkehren. Mehr als drei Stunden waren sie an diesem Montagmorgen wegen Bauarbeiten auf der Strecke Berlin-Rostock untewegs. Übernachtet wird unter der Woche in einem Wellnessresort mit Swimmingpool. Die Kosten trägt die Stadt. Sowohl in der Uni als auch bei Templins Bürgermeister Detlef Tabbert (Linke) sind die Erwartungen an das gemeinsame Pilotprojekt hoch.
Während die Hochschule dringend Praktikumsplätze braucht, will Tabbert einem Notstand vorbeugen. „Im Durchschnitt sind unsere Lehrer um die 50 Jahre alt. In fünf Jahren könnten wir ein echtes Problem haben. Dann müssen wir voraussichtlich rund 25 Prozent der Lehrkräfte ersetzen“, berichtet der Rathauschef. Mit dem Angebot der Stadt, für die Unterkunft von Lehramtsstudenten aufzukommen, soll eine wesentliche Hürde für die Wahl eines Praktikumsplatzes fern von Berlin abgebaut werden. Schließlich sei es für junge Studenten kaum bezahlbar, sich neben der eigenen Bleibe noch eine zweite zu mieten, meint Detlef Tabbert. Und wer weiß, vielleicht gefalle es den beiden Berlinerinnen ja so gut in Templin, dass sie sich später in der Stadt niederlassen möchten, hofft der Linke-Verwaltungschef. Immerhin hätte die 17 000-Einwohner-Stadt ja einiges zu bieten, findet Tabbert. „Eine Therme, eine historische Innenstadt, eine einmalige Natur – Und: Das wissen nur wenige, Templin hat die höchste Künstlerdichte im Land.“
Doch wie in vielen anderen Berufen ist auch bei jungen Lehrern ein Arbeitsplatz auf dem Land nicht unbedingt erste Wahl. Einer Studie des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung aus Erkner zufolge ist trotz der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung ab 2015 mit einem zunehmenden Neueinstellungsbedarf in vielen ländlichen Regionen zu rechnen. Doch nach Angaben der staatlichen Schulämter seien Nachwuchspädagogen in der Regel nur dann an einer Einstellung interessiert, wenn eine gute Anbindung über die S-Bahn an Berlin existiert, heißt es in der Studie, die im vergangenen Jahr von der Grünen-Fraktion im brandenburgischen Landtag in Auftrag gegeben worden war. Und die Junglehrer können durchaus wählerisch sein: Insgesamt scheiden den Autoren zufolge bis zum Schuljahr 2020/2021 landesweit 8000 Lehrkräfte altersbedingt aus dem Schuldienst aus. Gleichzeitig werden deutlich weniger Lehrer im Land ausgebildet, als in absehbarer Zeit benötigt werden – zumal mit den entsprechenden Fächerkombinationen. Auch der Lehrerüberschuss, der sich aus dem rapiden Rückgang der Schülerzahlen nach der Wende und der Zahl der vorhandenen Pädagogen in Brandenburg ergeben hatte, ist laut der Studie weitgehend abgebaut. Deshalb müssten besonders Kommunen und Schulen in ländlichen Regionen Anreize schaffen, um neue Lehrer zu gewinnen, die sonst möglicherweise lukrativere Angebote in anderen Bundesländern annehmen könnten. Immerhin rund zwei Drittel aller Lehramtsabsolventen aus Potsdam verlassen Brandenburg. Empfehlenswerte Anreize wären etwa Stipendien, das Bereitstellen von Dienstwohnungen, Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Schulen oder Fahrtkostenzuschüsse, so die Autoren. Erste Probleme bei der Lehrernachfolge sind der Studie zufolge bereits im Kreis Elbe–Elster zu beobachten. Vor allem Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer sind rar. Auch Hahnke (Biologie/Deutsch) und Kienzle (Biologie/Geschichte) wären ohne das Projekt nicht an das Templiner Gymnasium gekommen. „Templin stand gar nicht auf dem Plan. Eigentlich wollten wir etwas in der Nähe von Berlin oder Potsdam“, bestätigt Lena Hahnke. Mittlerweile haben sie die Bedingungen in der Uckermark durchaus schätzen gelernt. „Man ist hier nicht so abgelenkt, kann sich voll auf die Arbeit konzentrieren. Außerdem sind hier alle viel höflicher zueinander als in Berlin; grüßen sich immer“, meint Cornelia Kienzle. Und das Schwimmbad sei natürlich auch nicht schlecht. Beide schmunzeln.
Sollten sich andere Kommunen dem Pilotprojekte anschließen, würde das auch die Arbeit von Karin Köntges erleichtern. Sie ist in der Uni Potsdam für die Praktikavergabe zuständig. Rund 200 Plätze muss sie pro Semester auftreiben. Aufgrund der großen Nachfrage sei es ziemlich schwer, im Umfeld von Potsdam oder Berlin Stellen zu bekommen, berichtet sie. „Für das Gymnasium in Werder zum Beispiel liegen uns 15 Bewerbungen für einen freien Platz vor. Darunter sind vier Sportstudenten“, klagt Köntges. Da müsse man auch Verständnis für die Schulen haben, wenn sie bei einer Anfrage mal weniger begeistert reagieren. „Schließlich haben auch die Schüler in Potsdam den Anspruch, nicht nur von Studenten unterrichtet zu werden“, findet die Unimitarbeiterin.
Die Frage, ob sie sich vorstellen könnten, später in dem Templiner Gymnasium zu arbeiten, steht bei Hahnke und Kienzle noch nicht auf der Agenda. Aber ein Referendariat? Beide nicken bestimmt. „Gerade, weil es hier so friedlich ist und alle so offen sind“, meint Lena Hahnke. Auch die Bahnfahrt wird dann, wenn auch nicht abwechslungsreicher, dafür aber deutlich kürzer sein. Ende April sollen die Bauarbeiten beendet sein.
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