Von Thorsten Metzner: „Herr Platzeck, halten Sie gefälligst mal den Mund!“ Brandenburgs Landtag beschließt das Schüler-Bafög – aber vorher geht es hoch her im Parlament
Potsdam - „Herr Ministerpräsident, wir brauchen nicht die Betroffenheitslyrik bourgeoiser Jüngelchen, die gelegentlich Stippvisiten da und dort machen!“ Wer weiß, wen er meint.
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Potsdam - „Herr Ministerpräsident, wir brauchen nicht die Betroffenheitslyrik bourgeoiser Jüngelchen, die gelegentlich Stippvisiten da und dort machen!“ Wer weiß, wen er meint. Er ist völlig außer sich, dieser Ludwig Burkardt, der sonst so ruhige CDU-Abgeordnete, Jahrgang 1946, als er dies Matthias Platzeck am Mittwoch am Rednerpult des Landtages ins Gesicht schmettert, auf einen Zwischenruf des Ministerpräsidenten nachlegt: „Nun halten Sie gefälligst mal den Mund!“ Er selbst habe „mit 17, 18 Jahren im Steinbruch, im Betonwerk arbeiten müssen, um meine Ausbildung zu finanzieren“. Nicht das Geld sei die Frage, sondern die sozialen Umstände seien es, es gehe auch darum, in einem Umfeld aufzuwachsen, „dass Bildung zu Bildung motiviert“, statt wie Platzeck mit „Bakschisch durchs Land zu ziehen“.
Was ihn so erregt, ist das Schüler-Bafög für Abiturienten aus ärmeren Familien, dass Brandenburg in diesen Minuten als erstes Land einführt. Und das, ehe es am Mittwoch nach fast zweistündiger Debatte in namentlicher Abstimmung mit rot-roter Mehrheit beschlossen wird, die Wogen hochschlagen lässt im Parlament wie lange nicht. Auch Platzeck hält es kaum auf der Regierungsbank. Es sei „unerhört“, was Burkardt da gesagt habe, nämlich, dass Kinder aus ärmeren Familien „selbst daran schuld sind“, wenn sie es nicht zu Bildung schaffen. Klar, dass Platzeck selbst in die Bütt geht. Das Schüler-Bafög ist sein ureigenes Projekt. Vor der Wiederwahl im September 2009 hatte er es im Wahlkampf versprochen, auf jedem Marktplatz wiederholt, dass „Bildung nicht vom Geldbeutel abhängen dürfe.“ Den Satz, bei dem es immer den größten Beifall gab, den er im Landtag wieder sagt. Nur, dass Platzeck, dass Rot-Rot, dass die SPD mit dem konkreten Gesetz diesem hohen Gerechtigkeitsanspruch selbst nicht gerecht werden – so lautet die einhellig vorgebrachte Fundamentalkritik der Opposition, die wie selten vorher Experten, Gewerkschaften, Kommunen hinter sich weiß. „Es ist ein hanebüchenes Polit-Placebo“, sagt Marie-Luise von Halem, ebenfalls aufgebracht, hochrot im Gesicht. Rot-Rot habe die Kritik der Fachwelt ignoriert: „Beratungsresistenz“ Wenn man soziale Selektion verhindern will, müsse man „viel früher ansetzen“ mit der Förderung, vor dem Übergang von den Grundschulen auf die weiterführenden Schulen. Freilich, von Halem muss sich vom SPD–Abgeordneten Thomas Günther daran erinnern lassen, dass die Grünen im Wahlprogramm für ein Ausbildungsförderungsgesetz eingetreten waren ... Der FDP–Abgeordnete Andreas Büttner spricht von einem „Chaosgesetz“ mit inhaltlichen und handwerklichen Mängeln. Man sei nicht einmal bereit, die Einführung auf Anfang 2011 zu verschieben, um dann Klarheit zu haben, ob das Landesgeld mit Hartz IV verrechnet wird oder nicht.
Das ist immer noch offen. Und deshalb erhalten Kinder aus den ärmsten Haushalten, so steht es im Gesetz, zunächst das Geld auch nur bis Jahreswechsel. Dann soll zwar ein Anschluss folgen, entweder wird das Schüler-Bafög weitergezahlt – oder der Schulsozialfonds auf die gymnasiale Oberstufe erweitert. Doch Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) ist sichtlich unglücklich. „Es ist ein Versprechen: Wir werden die Kinder aus Bedarfsgemeinschaften nicht im Regen stehen lassen.“ Die Turbulenzen um das Schüler-Bafög werden weitergehen.
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