Interview mit Sebastian Edathy: „Ich finde das alles sehr unerträglich“
Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag spricht im PNN-Interview über Brandenburgs V-Mann „Piatto“ und das Versagen des Landes-Verfassungsschutzes in der Affäre um die Neonazi-Terrorgruppe.
Stand:
Herr Edathy, auch der Brandenburger Verfassungsschutz steht im Zuge der NSU-Affäre und der Rolle seines V-Mann "Piatto" in der Kritik. Was werfen Sie dem Dienst nach ihren Erkenntnissen im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages vor?
Vor allem, dass „Piatto“ nicht hätte als V-Mann angeworben werden dürfen. Jemand, der wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist, der sich mit einer Postkarte beim Verfassungsschutz beworben hat. Das ist ein Kaliber, von dem man die Finger lassen sollte. Stattdessen hat der Verfassungsschutz in Brandenburg begünstigt, dass die Haftzeit von Piatto verkürzt wird und gewährleistet, dass die Justizvollzugsanstalt in der Zeit vor der Entlassung nicht mehr die Post kontrolliert hat. Offenkundig hat er zudem aus der Haft eine Neonazi-Zeitschrift publiziert. Das alles ist unvertretbar. Als die vorzeitige Entlassung aufgrund einer positiven Sozialprognose beschlossen wurde, wusste die Strafvollzugskammer nicht, dass die Prognose darauf beruhte, dass Piatto eine Anstellung bei einem rechten Szeneladen der sächsischen Neonazistin Antje Probst vorweisen konnte. Die Kammer wusste nicht, dass das ein einschlägiger Szeneladen ist mit dem nicht ganz einschlägigen Namen „Sonnentanz“. Der Verfassungsschutz wusste das und hat die Information nicht weitergegeben. Es war im Interesse des Verfassungsschutzes, den V-Mann auf freiem Fuß abschöpfen zu können. Um das zu erreichen, ist jedes Maß an Verhältnismäßigkeit gesprengt worden.
Sebastian Edathy
, 43, ist Innen- und Rechtspolitiker und sitzt für die SPD seit 1998 im Bundestag. Er leitet den Untersuchungsausschuss zum Ermittlungsskandal um den NSU.
Dabei gab es in der Behörde selbst ja auch Zweifel. Der damalige Chef des Verfassungsschutzes, der heutige Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster, hatte Bedenken bei Piatto und informierte den damaligen Innenminister Alwin Ziel (SPD). Der holte sich Rat bei einer Vertrauensperson. Bei wem genau, darüber schweigt er. Wissen Sie es?
Das ist eine bislang geheim eingestufte Information. Aber, soviel kann ich sagen, das ist eine absurde Angelegenheit. Ob jemand V-Mann werden oder bleiben kann, dafür muss es in einem Rechtsstaat klare, objektive Kriterien geben. Ich kann als Minister doch nicht einfach einen Außenstehenden konsultieren und von dessen Reaktion meine Entscheidung ableiten. Es ist ja zu begrüßen, dass es Bedenken gab, aber dann hätte der Minister in Eigenverantwortung entscheiden müssen.
Die scheidende Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber verteidigte kürzlich die Beschäftigung von Piatto. In der schwierigen Situation damals – die Behörde war im Aufbau, es gab mehrere von Rechtsextremisten verübte Morde – hätte er mehr als 250 Hinweise zu geplanten Aktivitäten und Konzerten in Brandenburg gegeben, auch zu Gewalttaten, Waffenkäufen und einen Rohrbombenanschlag, der dadurch verhindert wurde. Er sei eine zuverlässige Quelle gewesen. Alles sei mit Wissen der Parlamentarischen Kontrollkommission geschehen. Piatto hätte auch relevante Informationen zum NSU-Trio, also zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, geliefert.
Ja, Piatto hat 1998 Informationen an den Brandenburger Verfassungsschutz geliefert, die sehr relevant waren. Ob man damit angemessen umgegangen ist, bezweifle ich. Piatto lieferte Hinweise, dass Waffen besorgt werden sollten und dass das Trio einen Überfall plante, um Geld für eine Flucht ins Ausland zu erbeuten. Das war der Zweck der Waffenbeschaffung. Schließlich berichtete Piatto, dass Antje Probst, bei der Piatto später eine Anstellung fand, ihren Pass Beate Zschäpe für ein Absetzen des Trios nach Südafrika zur Verfügung stellen wollte.
Und was lief dabei nun schief?
1998 gab es darüber ein Gespräch zwischen dem Verfassungsschutz Brandenburg und Verfassungsschützern aus Sachsen und Thüringen. Dabei hat Brandenburg verweigert, dass wichtige Informationen, die fahndungsrelevant gewesen wären, formal an die Polizei weitergegeben werden.
Brandenburgs Innenministerium dagegen betont, die relevanten Informationen weitergegeben zu haben, nur eben nicht jene zur Identität des V-Manns, um diese zu schützen. Thüringen und Sachsen hätten die Informationen eben nicht richtig ausgewertet, heißt es in Brandenburg.
Da gehen die Zeugenaussagen auseinander. Der maßgebliche Polizei-Fahnder aus Thüringen hat im Ausschuss erklärt, nie von den Hinweisen gehört zu haben. Er hat, und das klingt nachvollziehbar, darauf verwiesen, man hätte – wenn man von einem möglichen Schusswaffenbesitz des flüchtigen Trios gewusst hätte – bei der Fahndung andere Maßnahmen der Eigensicherung betrieben. Fakt ist: Es gab für die Weiterleitung der Informationen Piattos an die Polizei kein geregeltes Verfahren, und das ist nicht akzeptabel. Dass der Quellenschutz für wichtiger gehalten wird als einen Beitrag zur Fahndung von dringend wegen Bombenbaus gesuchten Personen zu leisten, ist ein Muster, das uns schön häufiger aufgefallen ist im Ausschuss. Da hat man manchmal, zugespitzt formuliert, den Eindruck, dass der Verfassungsschutz nicht immer die Demokratie und den Rechtsstaat, aber immer die V-Leute geschützt hat. In einem demokratischen Rechtsstaat ist das sehr problematisch. Hier muss ein anderes Denken einkehren. Und Piatto ist in vielerlei Hinsicht ein Musterbeispiel dafür, wie das V-Mann-Wesen nicht gestaltet werden darf.
Frau Schreiber hatte jüngst Fehler eingeräumt. Dass man etwas von Piattos Hinweisen auf das NSU-Trio hätte ablesen können, der Horizont der Betrachtung aber wohl zu eng war. Zitat: „Wir waren nicht so gut, um solche Morde zu verhindern.“ Piatto war eigentlich in einem bundesweiten Verfahren auf das Neonazi-Netzwerk „Blood and Honour“ angesetzt. Hat man einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen?
Es ergibt sich aus den Akten eindeutig, dass man die Relevanz der Aussagen von Piatto zum Trio – Waffenbeschaffung, Überfall-Planung und beabsichtigte Flucht nach Südafrika – seitens des Brandenburger Verfassungsschutzes erkannt hat, sonst hätte man die Kollegen aus Thüringen und Sachsen wohl kaum zu einer Besprechung darüber nach Potsdam eingeladen. Aber es war schlichtweg fahrlässig, seitens Brandenburgs einer offiziellen Weiterleitung dieser wichtigen Informationen an die zuständigen Polizeibehörden zu widersprechen.
Für den 15. April ist Gordian Meyer-Plath als Zeuge in den Ausschuss geladen. Er ist eigentlich Chef des Referats „Auswertung politischer Extremismus“ beim Verfassungsschutz in Brandenburg, war dort die Nummer zwei. Seit 2012 ist er aber kommissarisch Präsident des Verfassungsschutzes in Sachsen. Und er war in den 90er-Jahren V-Mann-Führer von Piatto. Was erwartet sich der Ausschuss von seiner Aussage?
Er war der Auswerter der Meldungen von Piatto und insofern ganz dicht dran. Für uns ist die Führungspraxis von Interesse. Bei der Besprechung zu Piattos Hinweisen zu dem untergetauchten Trio mit Thüringen und Sachsen in Potsdam war Meyer-Plath zwar nicht anwesend. Aber mich interessiert die Meinungsbildung im Vorfeld.
Der Verdacht steht im Raum, Piatto könnte ein doppeltes Spiel gespielt haben mit dem Verfassungsschutz - ein paar Hinweise gegeben und dann vielleicht dennoch dem Trio geholfen haben. Er selbst hatte mit Waffen gehandelt.
Dass kann man nicht ausschließen, dafür gibt es aber bislang keine Anhaltspunkte. Für mich ist relevant, dass wir künftig sicherstellen müssen, dass solche Leute, die wegen versuchten Mordes verurteilt worden sind, nicht als V-Mann in Betracht gezogen werden dürfen. Dass der Verfassungsschutz keinen aktiven Beitrag leistet, damit solche Leute vorzeitig aus der Haft entlassen werden oder aus der Haft munter weiter neonazistische Propaganda betreiben. Ich finde das alles sehr unerträglich. Ein Intensivstraftäter ist als V-Mann von vornherein disqualifiziert, mit solchen Leuten arbeitet man nicht zusammen.
Das Interview führte Alexander Fröhlich
Der NSU
Der „Nationalsozialistische Untergrund“, oft auch auch Zwickauer Terrorzelle genannt, war im November 2011 bekannt geworden. Zum NSU gehörten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nach ihnen fahndete die Polizei seit 1998, nachdem in Jena deren Bombenwerkstatt und Rohrbomben gefunden wurden. Das Trio tauchte unter – für fast 14 Jahre. Ihm wird eine Mordserie in den Jahren 2000 bis 2006, das Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 und ein Polizistenmord 2007 in Heilbronn zugerechnet. Im November 2011 töteten sich Mundlos und Böhnhardt selbst, Tschäpe stellte sich. Am Mittwoch in einer Woche beginnt vor dem Oberlandesgericht in München der Prozess gegen sie. Die Anklage lautet Beteiligung an den Mord- und Sprengstoffanschlägen des NSU, Bildung einer terroristischen Vereinigung, schwere Brandstiftung und Beihilfe zum Raub.
Das Behördenversagen
In das Umfeld des Trios waren gerade in den ersten Jahren nach dessen Untertauchen mehr als 20 V-Männer angesetzt, die für das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Landesämter in Thüringen und Sachsen, das Berliner Kriminalamt und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) tätig waren. Genau ein V-Mann war für den Brandenburger Verfassungsschutz tätig: Er trug den Decknamen Piatto und war 1998 im direkten Unterstützerkreise des NSU-Trios im Raum Chemnitz aktiv, als die drei Neonazis damals dort untertauchten. Fest steht, dass Piatto eine der wenigen Quellen überhaupt bundesweit war, die Hinweise auf das Trio gab.
Der V-Mann
Carsten S. war in der Neonazi-Szene in Brandenburg eine Führungsfigur und international vernetzt. 1995 wurde er wegen versuchten Mordes an dem nigerianischen Asylbewerber Steve Ereni zu acht Jahren Haft verurteilt. Während der Untersuchungshaft bot er sich dem Verfassungsschutz an. Er galt als wichtigste Quelle aus der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg und darüber hinaus. Durch seine Hinweise wurden Anschläge gegen jüdische Einrichtungen und ein Bombenattentat vereitelt sowie die für die Szene wichtigen Neonazi-Konzerte verhindert. Er kam in den Genuss großzügiger Haftlockerungen und 1999 vorzeitig frei – weil er einen Job im NSU-Umfeld bekam. 2000 wurde er enttarnt und lebt mit neuer Identität unter polizeilichem Zeugenschutz.
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