zum Hauptinhalt

Interview: „Ich werde im Land meine eigene Furche ziehen“

Ministerpräsident Platzeck geht - Dietmar Woidke übernimmt am heutigen Montag den SPD-Landesvorsitz, am Mittwoch dann den Posten als Landesvater. Im PNN-Interview spricht er über seinen Aufstieg, ermüdende Flughafen-Debatten und Potsdamer Ansprüche.

Stand:

Viele sind gerade dabei, sich auf Sie als künftigen Ministerpräsidenten einzustellen. Zunächst eine persönliche Frage: Was verzeihen Sie nicht?

Ich bin nicht nachtragend. Ich versuche immer, nach vorne zu schauen. So bin ich in meinem Leben auch mit Höhen und Tiefen umgegangen, im Privaten und Beruflichen. Klar, es gab auch Situationen, mit denen ich nicht glücklich war. Aber persönliche Verletzungen trage ich nicht mit mir herum.

Hilft Ihnen da Ihr Glaube als fröhlicher Evangele, wie Sie sich mal nannten?

Der Glaube hilft. Der gibt schon Kraft in schwierigeren Stunden, in Drucksituationen, bei Enttäuschungen, na klar.

Seit dem angekündigten Rückzug von Matthias Platzeck als Regierungschef sind Sie Noch-Innenminister und Fast-Ministerpräsident. Wie fühlen Sie sich in dieser brandenburgischen Zwischen-Zeit?

Na ja, es ist momentan so, dass meine Tage manchmal einer Abschiedstournee ähneln, wo ich hin und wieder schon eine kleine Träne verdrücke, so wie am Mittwoch vor den Polizeiführern des Landes. Mich bewegt durchaus, dass ich meine Arbeit als Innenminister nicht weiter fortsetzen kann.

Eine kleine Träne? Das ist, wie nicht nur bei der Veranstaltung zu spüren war, eher eine große Untertreibung. Warum fällt Ihnen der Abschied aus dem Innenministerium denn so schwer?

Mir ist hier vieles ans Herz gewachsen, die Polizei, die Feuerwehren, und auch das Team, mit dem ich auch in vielen anderen Bereichen gearbeitet habe. Das hängt auch mit der Krisensituation zusammen, in der wir damals gestartet sind, die wir gemeinsam gemeistert haben .

. Sie meinen die von Ihrem Vorgänger angeschobene radikale Polizeireform, wegen der 2010/2011 Bevölkerung und Polizei in Aufruhr waren, anschließend die Stasi-Enthüllungen .

. ja, es gab viele Befürchtungen, Enttäuschungen, Probleme. In dieser Krise habe ich die Arbeit der Polizei kennen und schätzen gelernt. Und aus dieser Erkenntnis heraus habe ich viele Entscheidungen getroffen, von denen sich aus meiner Sicht die meisten als richtig erwiesen haben.

Was nehmen Sie als Lehre für Ihr neues Amt mit?

Es reicht nicht abzuwarten, dass sich Probleme von selbst lösen. Man ist gut beraten, sich sachkundig zu machen, auch schwierige Entscheidungen dann zu fällen, wenn sie anstehen und sie anschließend gut zu kommunizieren, den Leuten zu erklären. Was ich in dieser Zeit gelernt habe, ist Zuhören. Wenn man das aber ernsthaft tut, dann muss das Gehörte in den weiteren Betrachtungen auch eine Rolle spielen, muss man Entscheidungen, wenn es sinnvoll ist, eben auch korrigieren.

Bei Ihren ersten Auftritten nach der Rückzugsankündigung Platzecks wirkten Sie so, pardon, als seien Sie derjenige, den der Schlag getroffen hat. Haben Sie den Schock verdaut?

Die erste Woche danach war für mich schon richtig schwierig. Mich hat mitgenommen, dass Matthias Platzeck aufhört. Schließlich haben wir fast zwei Jahrzehnte zusammengearbeitet. Danach bin ich mental wieder auf die Füße gekommen. Inzwischen ist es so, dass ich Tag für Tag ein bisschen mehr Vorfreude auf die neue Aufgabe empfinde.

Gehen die Leute eigentlich schon anders mit Ihnen um?

Das merkt man schon. Ich habe in Babelsberg ja eine kleine Wohnung, gegenüber ist ein Supermarkt, wo ich hin und wieder einkaufe. Dort passiert jetzt häufiger, was früher selten geschah: Ein Ehepaar guckt hinter dem Regal vor, erst er, dann sie, mit diesem Blick: Is er das, oder is er das nicht? Das fällt mir schon häufiger auf, wenn ich jetzt unterwegs bin. Überall erkannt zu werden, auch daran muss ich mich noch ein wenig gewöhnen.

Wie haben Ihre Eltern, die in Naundorf bei Forst leben, auf die Nachricht reagiert?

Sie hatten noch weniger damit gerechnet als ich. Sie freuen sich schon sehr. Ein bisschen Stolz ist da auch, ganz klar.

Wie darf man sich Ihre letzten Vorbereitungen für die neue Aufgabe vorstellen, jeden Vormittag eine Stunde Ministerpräsidentenschulung beim Amtsinhaber?

Nee (lacht). Natürlich hatte ich mehrere Runden mit Matthias Platzeck, um bestimmte Dinge zu besprechen. Ich bin täglich auch drüben in der Staatskanzlei, wo bestimmte Terminvorbereitungen für die Zeit nach dem 28. August gemacht werden müssen. Und es läuft auch so, dass ich mir für eine Reihe von Politikbereichen habe Kurzanalysen schreiben lassen, um schnell reinzukommen, etwa zur Bildung, zur Sozialpolitik, zu Themen also, mit denen ich bisher nicht so direkt konfrontiert war. Ich bereite mich so gut es geht vor.

Wie ist Ihre Rangfolge der Baustellen?

Da steht natürlich der Flughafen, seine Fertigstellung, aber auch der Auftrag des Landtages, für mehr Nachtruhe zu streiten. Dem muss und will ich als Ministerpräsident gerecht werden. Und dann geht es grundsätzlich darum, und das ist nicht innerhalb von Wochen oder Monaten zu lösen, wie das Leben in Brandenburg weiter zu organisieren ist, angesichts der demografischen Verschiebungen, der Bevölkerungszunahme um Berlin, der Abnahme in den ferneren Regionen. Trotzdem muss Schule, Kita, Gesundheitsversorgung, öffentliche Verwaltung, Polizei funktionieren. Das erwarten die Leute. Das wird die Daueraufgabe für die Landespolitik der kommenden Jahre.

Sie gehen nicht in den Aufsichtsrat des Pannen-Airports. Was erwarten, was wünschen Sie sich beim ewig unvollendeten Flughafen-Projekt in Schönefeld?

Mein größter Wunsch ist, dass der neue Flughafen möglichst schnell an den Start geht. Es ist das wichtigste Infrastrukturprojekt für Berlin und Brandenburg. In der Region im Süden des Landes, in der ich groß geworden bin, wird dringend darauf gewartet. Das soll nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag so bleiben. Und da noch nie ein Projekt schneller fertig geworden ist, wenn man viel darüber redet, würde ich mir wünschen, dass weniger über die Eröffnung des Flughafen geredet, sondern daran zielgerichtet gearbeitet wird. Manche Debatte ist mittlerweile doch etwas ermüdend.

Hat Ihnen Matthias Platzeck einen persönlichen Tipp für das neue Amt mit gegeben?

Nicht so oft mit der Presse reden! (lacht) Nein, Spaß beiseite! Ich hatte ja mit der Presse auch immer ein gutes Verhältnis. Natürlich hat er mir Tipps gegeben und die behalte ich für mich.

Müssen Sie Ihren Führungsstil verändern?

Das schon. Ich habe mich bisher immer tief in fast jede Problemlage in meinem Haus eingearbeitet, bin sehr genau hineingegangen, etwa bei der Polizeireform. Die Entscheidungen hat ja dann nicht irgendwer, die habe ich höchstpersönlich getroffen, nachdem ich mir ein Bild gemacht hatte. Das wird angesichts der vielen Bereiche in der Landespolitik, für die ich die Gesamtverantwortung tragen werde, zukünftig anders sein. Dafür gibt es ja Ministerien und ich werde mehr delegieren müssen.

Haben Sie Bammel, an Matthias Platzeck und Manfred Stolpe gemessen zu werden?

Nein, es ist automatisch so, dass man an beiden gemessen wird. Es sind zwei Ministerpräsidenten, die beide sehr, sehr tiefe Spuren hinterlassen haben, nicht nur in Brandenburg, auch bundesweit. Brandenburg war immer die starke Stimme für den Osten, nicht nur in der SPD, sondern insgesamt. Ich kann keinen kopieren, selbst wenn ich es wollte. Ich bin bisher immer meinen eigenen Weg gegangen und werde auch als Ministerpräsident meine eigene Furche ziehen.

Sie werden auch Vorsitzender der Landes-SPD. Werden Sie im Herbst auch für den SPD-Bundesvorstand kandidieren?

Ja, ich werde antreten. Und zwar mit diesem Anspruch, im Bundesvorstand der SPD eine starke Stimme für das Land Brandenburg zu sein, um damit auch Probleme, die hier und im ganzen Osten bestehen, zur Sache der Bundespolitik der SPD zu machen.

Noch vor vier Jahren hätte Sie in Brandenburg niemand auf der Rechnung für die Nachfolge von Matthias Platzeck gehabt. Damals gab es ein anderes Machtgefüge, regierte der Ministerpräsident mit seiner „Troika", mit Rainer Speer, mit Günter Baaske, ohne Woidke. Warum blieben Sie übrig?

Ich denke, weil ich immer versucht habe, einfach meine Arbeit für die Brandenburgerinnen und Brandenburger vernünftig zu machen, egal, wo ich hinkam. Das war mein erster Anspruch. Auf Etikette habe ich nie besonders Wert gelegt. Und die sogenannte Karriereplanung im politischen Geschäft, laut zu sagen, ich will dahin, ich will jenes, ich strebe das an, die hat bei mir auch nie eine große Rolle gespielt.

Gibt es Momente, wo Sie sich wundern, wie ruhig der Wechsel an der Spitze Brandenburgs über die Bühne geht?

Ich bin froh, dass es so läuft, dass das Echo bisher überwiegend positiv ist. Natürlich weiß ich, dass andere Zeiten kommen werden, andere Kommentare von den Oppositionsparteien, von den Journalisten. Das ist ganz normal.

Nächsten Mittwoch ist die geheime Wahl im Landtag. Kalkulieren Sie Fehlstimmen aus den Koalitionsreihen von SPD und Linken ein?

Es ist eine Wahl, eine geheime. Entweder man wird gewählt oder nicht, Punkt.

Ab wie vielen Abweichlern würden Sie sich ärgern?

So gehe ich nicht heran. Grundsätzlich halte ich es so: Ich ärgere mich nur, wenn ich mich ärgere.

Das müssen Sie erklären!

Über die Dinge, die ich hätte ändern können, aber nicht geändert habe, ärgere ich mich. Und über die anderen, die man sowieso nicht ändern kann, brauche ich mich auch nicht zu ärgern. Aber seien Sie sicher, die Koalition steht.

Lausitzer haben den Ruf, über Parteigrenzen hinweg zusammenzuhalten. Stimmt es, dass für Sie gerade vorsorglich ein paar Reservestimmen aus den Oppositionsreihen organisiert werden?

Ich habe davon nichts gehört. (lacht) Ich freue mich natürlich über jede Stimme. Und man kann ja hinterher auch nicht nachvollziehen, wo sie herkommt.

Sie wollen in Forst wohnen bleiben. Geht das überhaupt bei dem künftigen Amt, dessen Pensum Matthias Platzeck mit einer 80-Stunden-Woche beschrieb?

Das geht. Und es ändert sich da nicht so viel, meine Frau ist da auch Kummer gewöhnt. Drei, vier Tage pro Woche habe ich auch bisher schon in Potsdam übernachtet. So will ich es auch weiter halten. Knappe 180 Kilometer sind ja auch kein Katzensprung.

Ist es Zufall, dass es auf dieser Strecke fast keine Tempolimits gibt?

Für Geschwindigkeitsbegrenzungen ist das Verkehrsministerium zuständig. Aber zu den Zeiten, zu denen ich fahre, ist die Autobahn ohnehin voll. Da kann man nicht mit zweihundert durch die Gegend brettern. Ich komme lieber sicher an. Ich hatte 2009 einen Verkehrsunfall, das muss ich nicht noch einmal erleben. Das war knapp genug. Ich fahre lieber sicherer, und etwas langsamer. Das wissen auch die Fahrer.

Sie wollen die Zeit im Auto von und nach Forst zum Arbeiten nutzen?

Das mache ich sowieso. Ich arbeite im Auto, ich lese, höre auch Musik, und manchmal nicke ich sogar ein paar Minuten ein auf der Fahrt. Kurzzeitschlaf gibt Energie. Auch das klappt inzwischen.

Wie oft werden die Brandenburger die künftige First Lady erleben?

Es wird keine First Lady geben, aber natürlich eine Reihe von offiziellen Terminen, wo es dann auch vernünftig ist, dass der Ministerpräsident mit seiner Frau erscheint. Meine Frau wird selbstverständlich bei der Wahl am 28. dabei sein. Ansonsten geht sie ganz normal weiter arbeiten. Meine Frau, meine Tochter und ich werden versuchen, das Familienleben weiterhin normal zu gestalten, und den ganzen Trubel von Forst möglichst fernzuhalten.

Sie sind Lausitzer, aber seit einigen Jahren auch "Neben-Potsdamer" .

. ich bin Hilfs-Potsdamer, vor allem aber Babelsberger.

Wie nehmen Sie die permanenten Forderungen Potsdams an das Land auf, die Anspruchshaltung. Verliert die boomende Landeshauptstadt das Gespür für das in weiten Teilen ärmere Land?

Potsdam hat sich hervorragend entwickelt. Das ist vom damaligen Oberbürgermeister Matthias Platzeck eingeleitet, von Jann Jakobs und seinem Team weitergeführt worden. Ich habe zum Oberbürgermeister ein sehr, sehr gutes Verhältnis. Wir sind befreundet. Potsdam ist für Brandenburg das Aushängeschild. Das ganze Land ist wiederum stolz auf sein Potsdam. Ich sage ganz deutlich: Ein starkes Potsdam ist ein Plus für Brandenburg, und kein Malus. Den Ruf, dass man mehr will, den gibt es aus allen Ecken des Landes, nicht nur von hier. Die Landespolitik muss aber versuchen, mit weniger finanziellen Mitteln die sich auseinanderentwickelnden Lebenswelten zwischen dem Berliner Umland mit der Landeshauptstadt und Regionen wie der Prignitz oder Elbe-Elster weiter zusammenzuhalten. Am Ende ist Brandenburg nur durch beide Teile stark.

Gibt es etwas im politischen Alltag, was Sie stört?

Termindruck. Ich bin gern draußen im Lande unterwegs. Wenn es zu viele Termine an einem Tage sind, dann habe ich keine Zeit, mich mal an einen Tisch zu setzen, mit Leuten zu reden. Irgendwo hinzukommen, eine Rede zu halten und dann gleich weiter zu müssen, das nervt mich wirklich.

Sind Sie hart genug für den künftigen Job?

Ich glaube ja. Ich habe die nötige Erfahrung, ich habe auch Härte zeigen müssen bei den Aufgaben bisher. Nehmen Sie nur die letzten drei Jahre im Innenministerium. Aber was jetzt wirklich auf mich zukommt, werde ich ja erst erfahren, wenn ich Ministerpräsident bin. Noch gucke ich ja manchmal in die Staatskanzlei wie einer in ein Goldfisch-Aquarium. Aber ich weiß aus Erfahrung, ich treffe dort auf ein hochprofessionelles, motiviertes, qualifiziertes Team, das wird gut laufen, auch in der Regierungskoalition. Und ich bin Teamspieler.

Das Interview führte Thorsten Metzner

Kindheit

Dietmar Woidke wurde 1961 in Naundorf bei Forst geboren. Seine Eltern, christlich geprägt, waren Bauern. Er machte in Forst sein Abitur.

Karriere

Er studierte von 1982 bis 1987 Landwirtschaft an der Humboldt-Universität, war bis 1990 dort wissenschaftlicher Assistent. Danach ging er zu einer Mineralfutterfirma nach Bayern. 1993 wurde er Agraramtsleiter im Kreis, machte den Doktortitel

Politik

1993 trat er in die SPD ein, seit 1994 ist er im Landtag, parallel war er Kommunalvertreter. 2004 bis 2009 war er Agrar- und Umweltminister, dann SPD-Fraktionschef im Landtag. Seit 2010 ist er Innenminister.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })