Brandenburg: Immer mehr Kinder wachsen in Armut auf
In Berlin sind inzwischen ganze Kita-Gruppen und Schulklassen betroffen / Brandenburgische Linke fordert Maßnahmepaket
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Berlin/Potsdam - Die hohe Arbeitslosigkeit und steigende Armut in Berlin haben verheerende Folgen: In Innenstadtregionen wie Wedding und Neukölln-Nord bestehen inzwischen ganze Kita-Gruppen und Schulklassen ausschließlich aus Kindern von Haushalten, die von Hartz IV oder anderen Transferleistungen leben. Angesichts dieser Lage werden die Forderungen nach einer besseren finanziellen Förderung der betroffenen Familien immer lauter.
Wie gestern berichtet, leben in Berlin inzwischen 180 000 Kinder in Haushalten, die mit dem Arbeitslosengeld II auskommen müssen. Die Zahl der in Armut aufwachsenden Kinder liegt nach Angaben des Kinderschutzbundes sogar noch deutlich höher. Man müsse auch die Familien berücksichtigen, die aufgrund ihres geringen Einkommens einen Kinderzuschlag erhalten, mahnte gestern Katrin Hentze vom Kinderschutzbund. Auch die Asylbewerber kämen noch hinzu. Insgesamt müsse man deshalb von weiteren 20 000 Betroffenen ausgehen.
Da sich die Arbeitslosigkeit in manchen Bezirken besonders ballt, potenzieren sich dort auch die Probleme. In Nord-Neukölln etwa leben inzwischen drei von vier Kindern in sozial schwachen Familien. „Dort gibt es ganze Schulklassen, in denen kein Elternteil mehr Arbeit hat“, beschrieb gestern Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) den Umfang des Desasters. Nicht umsonst hieß es in dem oft zitierten Rütli-Brandbrief, dass die Schüler oftmals die einzigen in ihren Familien seien, die morgens aufstünden. Selbst wenn man die besser gestellten Neuköllner Ortsteile Buckow, Britz und Rudow, also Süd-Neukölln, hinzunimmt, lebt insgesamt in Neukölln fast jeder zweite Schüler in einer Familie, die Transferleistungen bekommt. Ähnlich ist es in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Durch die Ballung der Problemkinder schon in den Kitas würden sie in ihrer Entwicklung zusätzlich zurückgeworfen, mahnen die dortigen Erzieher. Manche Kinder könnten keine Berufe aufzählen, weil in ihrer gesamten Umgebung niemand mehr arbeitet. In den entsprechenden Familien kommt zur finanziellen Armut auch noch eine extreme Anregungs- und Bildungsarmut.
„Armut ist eine Tragödie für jedes Kind, weil es mit schlechteren Aussichten ins Leben startet als andere Kinder“, sagte Berlins Bildungs- und Jugendsenator Jürgen Zöllner (SPD) angesichts der aktuellen Sozialdaten. Die Bekämpfung von Kinderarmut sei eine „herausragende gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Allerdings habe der Senat in dieser Hinsicht schon vieles getan, etwa „mit der schrittweisen Einführung der Beitragsfreiheit der Kitas, dem Wandel der Kitas zu Bildungseinrichtungen, der vorgezogenen Einschulung und der Ausdehnung der Bildungs- und Betreuungszeiten in den Ganztagsgrundschulen.“
Das geht aber einigen Abgeordneten der Regierungskoalition noch nicht weit genug. Sie fordern etwa eine Subventionierung des Schulessens für alle bedürftigen Kinder. Eine CDU-Forderung besteht überdies darin, die Bedarfsprüfung für Kitas abzuschaffen. Hintergrund sind Meldungen, wonach einige Jugendämter Kindern von Arbeitslosen Betreuungsplätze verweigern.
Die Linke im Landtag Brandenburg hat konsequente Schritte gegen die Armut von Kindern gefordert. „Hartz IV ist nicht nur Armut per Gesetz, sondern Armut von Kindern per Gesetz“, sagte die Fraktionsvorsitzende Kerstin Kaiser gestern. In Brandenburg würden rund 70 000 Kinder unter 15 Jahren in sogenannten Bedarfsgemeinschaften von Sozialgeld (Hartz IV) leben. „Und die Landesregierung überlässt es den Kommunen, im Notfall Abhilfe zu schaffen.“ Kinder bis 15 Jahre bekommen derzeit 208 Euro im Monat, sagte Kaiser. Nach Berechnungen von Wohlfahrtsverbänden stehen 2,27 Euro pro Tag für Nahrung und Getränke eines Kindes zur Verfügung. Die Fraktion der Linken werde darum in der Debatte über den Doppelhaushalt 2008/09 im September ein Forderungspaket einbringen. So soll es einen Zuschuss zum Mittagessen in Kitas und Grundschulen (Kosten 19 Millionen Euro) und eine Beihilfe zu den Kosten der Einschulung (1,1 Millionen Euro) für Kinder aus einkommensschwachen Familien geben. Außerdem fordert die Linke ein Sozialticket (9 Millionen Euro).
(mit dpa)
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