Brandenburg: In Land Brandenburg nur auf Durchreise
Arbeitsmarktforscher: Kaum Auswirkungen durch Arbeitnehmerfreizügigkeit ab 1. Mai zu erwarten
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Potsdam/Berlin - Noch gut anderthalb Wochen, dann gilt auch für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten, was für Franzosen, Portugiesen und Niederländer längst eine Selbstverständlichkeit ist: Sie dürfen in Deutschland arbeiten. Zum 1. Mai fallen für Bürger aus Polen, Lettland, Estland, Litauen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Slowenien die Beschränkungen der sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland weg. Ein Termin, der auch im Land Brandenburg seit Monaten mit gemischten Gefühlen erwartet wird. Während sich etwa die regionale Bauwirtschaft vor der „Billigkonkurrenz“ aus dem Osten fürchtet, werben die Arbeitsagentur und auch die rot-rote Landesregierung immer wieder dafür, die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes als Chance zu begreifen, um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen.
Nach aktuellen Angaben der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit werden jährlich rund 100 000 Arbeitnehmer aus den acht Ländern nach Deutschland einwandern. Demnach könnte der Berliner Arbeitsmarkt mit rund 28 000 zusätzlichen Arbeitskräften pro Jahr rechnen, vorzugsweise aus Polen. Für das Land Brandenburg prognostiziert die Arbeitsagentur gerade einmal 9000 Jobsucher von jenseits der Oder. Wie stark allerdings die Zuwanderung nach Brandenburg tatsächlich ausfällt, lässt sich nur schwer vorhersagen. Am wahrscheinlichsten sei es jedoch, dass weniger kommen als die einen befürchten und die anderen erhoffen, glaubt zumindest Timo Baas vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. „Vermutlich passiert relativ wenig“, meint der Wissenschaftler. Zum einen seien die ländlich geprägten grenznahen Region Brandenburgs für ausländische Arbeitnehmer meist nicht besonders attraktiv. Zum anderen hätten Länder wie Polen, Tschechien, aber auch die baltischen Staaten mittlerweile ebenfalls mit den Folgen der demografischen Entwicklung zu kämpfen. Auch dort seien Fachkräfte deshalb zunehmend gefragt, begründet Timo Baas seine Einschätzung.
Selbst gesetzt den Fall, die jährlich knapp 40 000 Zuwanderer in die Hauptstadtregion würden ausschließlich die Lücken in der hochqualifizierten Beschäftigung auffüllen, bliebe in vier Jahren immer noch ein Fachkräftebedarf von mehr als 100 000 Mitarbeitern abzudecken. Laut der gemeinsamen Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg aus dem vergangenen Jahr können 2015 insgesamt rund 273 000 Jobs mit gehobenem Leistungsprofil nicht besetzt werden. 2020 sollen es bereits 362 000 sein und zehn Jahre später 460 000. Die erleichterten Zuzugsbedingungen nach dem 1. Mai seien zwar „grundsätzlich als Vorteil zu sehen. In der Praxis werden ausländische Fachkräfte jedoch eher in Länder wandern, in denen höhere Löhne als in Brandenburg gezahlt werden“, lautet im März die nüchterne Analyse der brandenburgischen Landesregierung.
Timo Baas geht deshalb davon aus, dass das Land Brandenburg für die meisten Arbeitnehmer aus den neuen EU–Staaten wie Polen und Tschechien etwa „nur Durchreiseland“ in größere Städte vor allem in den alten Bundesländern ist. „Die Nähe zum Herkunftsland spielt kaum eine Rolle, sondern die Arbeitsmarktbedingungen.“ Zudem sei die Wahrscheinlichkeit in Großstädten höher, dass dort bereits eine ausgeprägte Gemeinschaft von Landsleuten existiere, so der Arbeitsmarktforscher.
Vor allem bei den Bauunternehmen in Berlin-Brandenburg ist die Skepsis trotzdem groß. Einer Umfrage der Fachgemeinschaft Bau aus dem März zufolge halten 71 Prozent der Betriebe den zu erwartenden Wettbewerb mit der Billigkonkurrenz für das Hauptproblem des laufenden Jahres. Eine branchenübergreifende Umfrage der Industrie- und Handelskammern der Region dagegen zeigt, die meisten Unternehmen sehen dem 1. Mai gelassen entgegen. Auf die Frage, ob Auswirkungen durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit erwartet werden, gaben 70 Prozent an, gar keine Erwartungen zu haben.
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