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Bedrohte Idylle. Kathrin Voigt bietet Bert Groenstege die Stirn. Auf dieser Weide in Gumtow (Prignitz) will der niederländische Investor eine Hähnchenmastanlage für 400 000 Tiere bauen. Mit ihrer Familie lebt Kathrin Voigt nur rund 750 Meter Luftlinie von der geplanten Anlage entfernt.

© Matthias Matern

Brandenburg: „Irgendeiner muss dem Einhalt gebieten“

In der Prignitz will ein Niederländer eine Hähnchenmastanlage bauen – in seiner Heimat darf er das nicht

Von Matthias Matern

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Gumtow - Wo derzeit noch braun-weiße Kühe grasen, sollen bald bis zu vier Millionen Hühner pro Jahr möglichst schnell dicker werden. Zumindest wenn es nach Bert Groenstege geht. Der Investor aus den Niederlanden will bei Gumtow in der Prignitz eine riesige Hähnchenmastanlage bauen. Aufgeteilt auf zwei eigens gegründete Firmen hat er beim brandenburgischen Landesumwelt eine Genehmigung für insgesamt 400 000 Tierplätze beantragt. In 35 Tagen sollen die Vögel auf knapp zwei Kilogramm gemästet werden. Würde man die Jahresproduktion hintereinander auslegen, würde die makabre Tierparade von Gumtow bis nach Wien reichen, hat Kathrin Voigt ausgerechnet. Seitdem die Pläne vergangenen Herbst vorgestellt wurden, kämpft die 34-Jährige mit ihrem Ehemann gegen die Anlage. „Als Mutter habe ich einfach Angst um die Gesundheit meiner Kinder“, sagt Voigt und zeigt auf die nahe Dorfstraße, über die künftig der Zulieferverkehr für die Hähnchenmast rollen soll.

Zwei Mädchen und einen Jungen haben die Voigts. Ihr Haus liegt nur 750 Meter von der geplanten Anlage entfernt. Sorgen macht sich Kathrin Voigt vor allem wegen der sogenannten multiresistenten Keime, deren Entstehung durch den hohen Antibiotika-Einsatz in der Tiermast begünstigt wird. Außerdem befürchtet sie die Ausbreitung von giftigen Sporen, etwa wenn verendete Tiere aus der Anlage abtransportiert werden. Experten zufolge sterben in den großen Mastbetrieben rund fünf Prozent der Hühner vorzeitig. Selbst wenn man in Gumtow die Todesrate bei nur zwei Prozent ansetzt, seien es immer noch jährlich etwa 64 000 tote Tiere, gibt Kathrin Voigt zu bedenken. Mittlerweile ist sie zu einer Expertin geworden, hat mit ihrem Mann nächtelang Aktenordner gewälzt und die zu erwartende Belastung ausgerechnet. Die Bürgerinitiative, deren Gründung Kathrin und Torsten Voigt maßgeblich angeschoben haben, hat mittlerweile 50 Mitglieder. „Irgendeiner muss dem doch Einhalt gebieten“, sagt Voigt.

Seit rund vier Jahren ist die Massentierhaltung in Brandenburg wie berichtet auf dem Vormarsch. Laut Landesumweltamt hat sich allein bei den Legehennen die Zahl der neu genehmigten Tierplätze seit 2009 mehr als verdoppelt. Bei den Masthähnchen stieg die Zahl sogar von 48 000 auf aktuell 162 000 Plätze. Für mehr als eine Million neue Plätze liegen noch Anträge vor. Insgesamt gibt es der Behörde zufolge derzeit rund 5,5 Millionen genehmigte Tierplätze für Masthähnchen. Schätzungen zufolge könnten es bald knapp acht Millionen sein.

Grund für den Anstieg ist der wachsender Widerstand der Bevölkerung in deutschen Hochburgen der Massentierhaltung wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, aber auch in den Niederlanden. Wegen der Ablehnung zu Hause suchen Investoren zunehmend alternative Standorte in den neuen Bundesländern. Ein Umstand, der offensichtlich auch auf Groenstege zutrifft. Eigentlich wollte der Niederländer einen Betrieb in seiner Heimat erweitern, was ihm allerdings untersagt worden sein soll. „Das wurde uns zumindest so auf einer Informationsveranstaltung Mitte April erzählt“, sagt Kathrin Voigt, die wie ihr Mann in der Prignitz geboren wurde. Groenstege selbst war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Zu beiden seiner Firmen ist im Internet weder eine E-Mail-Adresse noch eine Telefonnummer zu finden.

Umstritten ist die Massentierhaltung auch wegen der Haltebedingungen. Einer Studie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zufolge haben sich die Umstände kaum verbessert. Ein weiterer Kritikpunkt sind die negativen Folgen für die Umwelt durch die anfallende Gülle, die häufig auf nahegelegenen Äckern als Dünger verteilt wird. In besonders von der Massentierhaltung heimgesuchten Regionen Niedersachsens soll das Grundwasser schon so mit Stickstoff belastet sein, dass Trinkwasser über mehrere Hundert Kilometer aus dem Harz herangeschafft werden muss.

Außer in Gumtow regt sich in Brandenburg auch an anderen Stellen Protest. Im Juni aber mussten die Aktivisten einen herben Rückschlag einstecken. Trotz zehnjährigen Widerstands erteilte das Landesumweltamt die Genehmigung für eine Schweinemastanlage in Haßleben (Uckermark). Der Kampf war vielen zum Symbol geworden. Rund 36 000 Schweine will der ebenfalls aus den Niederlanden stammende Investor Harrie van Gennip in Haßleben unterbringen. Mit dem Bau beginnen darf er aber erst, wenn die Gerichte über die angekündigten Klagen entschieden haben. Ende August hatten aus Protest mehrere Tierschutzorganisationen Brandenburgs Umweltministerin Anita Tack (Linke) und dem neuen Ministerpräsidenten des Landes, Dietmar Woidke (SPD), eine Liste mit 47 000 Unterschriften übergeben. „Die Genehmigung für Haßleben hat uns total geschockt“, gibt Kathrin Voigt zu. „Da strampelt man sich ab und nachher war alles umsonst.“

Die Behörden behaupten gerne, dass ihnen die Hände gebunden sind. Liegt ein nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz genehmigungsfähiger Antrag vor und kann der Investor genügend Flächen ausweisen, haben sie kaum eine Handhabe. Bert Groenstege hat die notwendigen Flächen in Gumtow von einem dort ansässigen Landwirt gepachtet. Laut Vertrag bekommt der Gumtower Bauer dafür jährlich knapp 200 000 Euro – in Bar vor Ort.

Wann über den Genehmigungsantrag entschieden wird, ist laut Landesumweltamt noch nicht absehbar. Derzeit liegt das Verfahren quasi auf Eis – nicht zuletzt deshalb, weil die Bürgerinitiative beim Erörterungstermin Anfang August zahlreiche Fehler und Ungereimtheiten in den Papieren nachgewiesen hatte. „Die Antragsunterlagen werden derzeit noch überarbeitet und ergänzt, da beteiligte Fachbehörden Nachforderungen erhoben haben. Erst nach dem Eingang der nachgeforderten Unterlagen kann das Genehmigungsverfahren weitergeführt werden“, heißt es auf PNN-Nachfrage.

Bei der Behörde haben die Voigts und ihre Mitstreiter mittlerweile einen guten Ruf. Die Mitglieder der Bürgerinitiative seien sehr gut informiert und argumentieren weitgehend polemikfrei, heißt es. Dennoch hat Haßleben den Optimismus der Voigts gedämpft. Von der Politik fühlen sie sich allein gelassen. Inzwischen sind sie für den GAU vorbereitet. „Falls die Genehmigung kommt, legen wir Widerspruch ein. Das Geld haben wir zusammen – auf unserem Spendenkonto“, sagt Kathrin Voigt. Matthias Matern

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