Brandenburg: Irreführende Sicht auf Westdeutschland
Als Integrationsbeispiel führt Platzeck die Nachkriegs BRD an. Was ist da dran?
Stand:
Von Johann Legner
Die jüngsten Erklärungsversuche des brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck zur seiner beabsichtigten Regierungsbildung in Potsdam offenbaren leider eine erschreckende Unkenntnis der Geschichte der Bundesrepublik. Das was er als Integrationsleistung und Befriedung in der Nachkriegszeit unterstellt, fand so nie statt. Zu den Fundamenten der Demokratie in unserem Lande gehört vielmehr eine jahrzehntelange, bis heute nicht abgeschlossene, schmerzliche und stetige Auseinandersetzung um die Verbrechen des Nationalsozialismus. Die tatsächlich beklagenswerte Restauration eines Teils der alten Machteliten zu Beginn der fünfziger Jahre, an der auch die SPD Mitschuld trägt, hatte Westdeutschland ganz im Gegensatz zu den Ansichten von Platzeck von keiner Last befreit.
Zehn, zwanzig Jahre danach brach die Vergangenheit mit einer unwiderstehlichen Urgewalt über die westdeutsche Gesellschaft, trennte und spaltete. Als 1964 die Auschwitz-Prozesse begannen, als 1985 Richard von Weizsäcker seine berühmte Rede darüber hielt, dass viel zu viele weggesehen hätten, als vor wenigen Jahren endlich Günter Grass preisgab, dass er auch einmal die Uniform der Waffen-SS getragen hatte – in all den Jahrzehnten nach dem Kriegsende gab es aus guten Grunde nicht, was Platzeck einen überfälligen Prozess der Versöhnung nennt. Die bohrenden Fragen, die Anklagen wurden schärfer und die Demokratisierung Westdeutschlands ist nur denkbar, weil es kein Vergessen und auch kein Vergeben gibt.
Es ist vielmehr ein bemerkenswertes Phänomen, dass mit jeder neu heranwachsenden Generation die Fragen bohrender, die Antworten härter und die Sicht auf die Vorfahren kritischer wird. Eine Zeit lang, im Zuge der zugespitzten gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu Beginn der siebziger Jahre schien es so, als ob der Reflex der Nachgeborenen auf die Verbrechen seinerseits wieder zu einer Gewaltorgie führen könnte. Denn die Empörung über die Nazis in Amt und Würden war eine der wesentlichen Triebfedern des westdeutschen Terrorismus. Inzwischen aber und mit zunehmender Distanz zu den Tätern von einst, ist diese von blutigen Exzessen geprägte Reaktion einer beharrlichen Neugier und einer oft stillen Trauerarbeit gewichen.
Die Fehler, die zu Beginn der fünfziger Jahre mit der oft all zu großen Milde gegenüber den NS-Verstrickten gemacht wurden, sind aus vielen Gründen erklärlich. Da spielte der Mangel an Verwaltungsfachleuten genau so eine Rolle wie der Wunsch vieler direkt Unbelasteter, die sich aber dennoch ihrer Zeugenschaft schämten, eine Rolle. Da war vor allem auch der Umstand von erheblicher Bedeutung, dass auch Westdeutschland faktisch weiterhin von den Siegermächten besetzt war, die sich nicht scheuten ganz direkt einzugreifen und beispielsweise gegen Parteien vorzugehen, die – wie damals die rheinländische FDP – zu Nachfolgeorganisationen der verbotenen Nazi-Partei zu werden drohten.
In diesem Umfeld wird auch der – von Platzeck angeführte – Versuch des damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher erklärlich, Angehörige der Waffen-SS auf seine Seite zu ziehen. Schumacher positionierte sich dabei auch gegen die schnelle Westintegration der Bundesrepublik. So protestierte er beispielsweise gegen die Todesurteile der Alliierten, die gegen die Verantwortlichen der Verbrechen auf dem Gebiet der Sowjetunion verhängt wurden, die Chefs der so genannten Einsatzgruppen, die auch den Mord an weit über einer Million Juden zu verantworten hatten. Nach dem Grundgesetz dürfe keiner mehr hingerichtet werden, sagte damals der SPD-Chef. Die Alliierten kümmerten sich nicht darum und hängten 1951 vier dieser Männer auf. Die SPD scheiterte im Übrigen ganz schrecklich mit dieser Anbiederung an die einstmals braune Jugend und brach 1953 bei der Bundestagswahl ein. Es folgte dann ein radikaler Kurswechsel, der es der Partei schließlich ermöglichte, auch zum Hoffnungsträger all derer zu werden, die sich empörten über die Integration der einstigen Nazi-Elite.
Zwanzig Jahre nach Kriegsende jedenfalls sah der von Platzeck geforderte „tätige Neubeginn“ eher so aus, dass in eine erbitterte Auseinandersetzung begann, ob ein ehemaliges NSDAP-Mitglied als Bundeskanzler amtieren könne. Und mit dem Amtsantritt Willy Brandts 1989 – mit dem „mehr Demokratie wagen“ als Motto – war auch die Absage an diese Form der Integration der Mitläufer verbunden. Zwanzig Jahre danach war in Westdeutschland Schluss damit, den braunen Kadern noch einen Persilschein auszustellen.
Der Autor, Diplom-Politologe, war von 1996 bis 2000 Pressesprecher des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, arbeitete davor bei der ARD, der taz und n-tv und ist Chefkorrespondent der Lausitzer Rundschau
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: