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Von Matthias Matern: „Jetzt ist es eben da“

Seit 2008 pressen Experten des Potsdamer Geoforschungszentrums in Ketzin Kohlendioxid unter die Erde. Während Bürgermeister Lück begeistert ist, haben sich die Anwohner damit abgefunden

Von Matthias Matern

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Ketzin - Die alte Knoblaucher Chaussee führt ins Nirgendwo. Rechts und links der holprigen Pflasterstraße wuchern Brombeersträucher und verwilderte Pflaumenbäume. Die Ruine einer alten Scheune lugt noch durch dichtes Laubwerk, doch Knoblauch gibt es nicht mehr. 1965 wurde der Ketziner Ortsteil nach einer Havarie im ersten unterirdischen Erdgasspeicher der DDR vollständig evakuiert, eingeebnet und die Einwohner umgesiedelt, samt ihrer Vorfahren. „Sogar der Friedhof wurde umgebettet“, erinnert sich Bernd Lück. Als die Knoblaucher ihre alten Häuser verlassen mussten und in eigens errichtete Neubaublöcke im Ketziner Stadtzentrum umzogen, war Lück gerade mal knapp zehn Jahre alt.

Heute ist er Bürgermeister von Ketzin (Havelland) und wieder wird in unmittelbarer Nähe der Stadt Gas unter die Erde gepumpt. Kein Erdgas zwar, aber Kohlendioxid. Seit 2005 betreibt das Potsdamer Geoforschungszentrum (GFZ) dort seine CCS-Forschungsanlage (Carbon Capture and Storage). Rund 37 000 Tonnen reines CO2 wurden in den vergangenen zwei Jahren eingelagert. Zwischenfälle gab es bislang nicht, sagen die Wissenschaftler. Nun soll das Projekt erweitert werden. Statt lebensmittelreinem Kohlendioxid soll Rauchgas verpresst werden. Jenes mit teils giftigen Stoffen verunreinigte Kohlendioxid, das etwa bei der Verstromung von Braunkohle anfällt. Allerdings, betonen die Experten, werde das Rauchgas vorher durch die Verflüssigung des Kohlendioxids nahezu vollständig von den Schadstoffen gereinigt. Ein weitaus größeres CCS-Projekt plant der Energiekonzern Vattenfall derzeit bei Neutrebbin im Kreis Märkisch-Oderland und nahe der Stadt Beeskow (Oder-Spree). Etwa zwei Millionen Tonnen CO2 will Vattenfall jährlich im Osten Brandenburgs einlagern.

Doch während es dort seit Jahren massiven Widerstand gegen die Pläne gibt, sind die CCS-Forscher in Ketzin willkommen, zumindest bei Lück. Der FDP-Mann hat sich sogar maßgeblich dafür eingesetzt, dass das GFZ sein Vorhaben dort verwirklicht. „Ich hatte von Anfang an nicht die geringsten Bedenken“, versichert Lück. Die Experten des GFZ hätten sich sowohl in der Stadtverordnetenversammlung als auch auf mehreren Bürgerversammlungen allen „kritischen Fragen“ offen gestellt. „Von vornherein galt die Abmachung, dass die Bevölkerung bei jedem neuen Schritt umfassend informiert werden muss“, berichtet der Bürgermeister. Als das GFZ zum Auftakt der Erkundungsarbeiten die Bürger einlud, sei sogar fast „Volksfeststimmung“ aufgekommen, erinnert sich Lück. „Die Feuerwehr hat die Verpflegung gestellt. Es gab Erbsensuppe und Bratwurst.“

Zusätzliche Gewerbesteuer fließt durch das Forschungsprojekt zwar nicht, doch würden die vielen internationalen Besuchergruppen nicht nur Geld in der Gastronomie lassen, sondern auch für Tagungen Übernachtungen buchen, erzählt Bürgermeister Lück. „Wir hatten schon Finnen, Kanadier und Franzosen hier.“

Auch in den 60er Jahren waren die Speicher-Experten beliebt. „Vor allem bei jungen Frauen“, erinnert sich Lück. Die sogenannten „Bohrer“ seien meist gut bezahlt gewesen und hätten auch ihr Geld oft in den Gaststätten und Pensionen gelassen. Fertiggestellt wurde das DDR-Prestigeprojekt 1964, also nur ein Jahr bevor Anwohner in Knoblauch über anhaltende Übelkeit klagten und im Keller eines Hauses ausströmendes Erdgas entdeckt wurde.

Heute ist die Freude über einen Gasspeicher nicht mehr ganz so groß. Ohne die Erfahrung mit dem Erdgasspeicher, glaubt zumindest Eckhard Sieg, hätte es mehr Aufregung gegeben. Wenige Meter vom Rathaus entfernt betreibt der 56-Jährige ein Immobiliengeschäft. Auch er hat als Kind die Havarie am Erdgasspeicher miterlebt. Die Evakuierung damals sei wohl etwas übertrieben gewesen, meint er. „Als ich das erste Mal davon gehört habe, dass bei uns jetzt CO2 eingelagert werden soll, habe ich gedacht: Na toll, neben der nahen Deponie und den vielen Windrädern noch ein drittes negatives Image“, sagt der Immobilienmakler offen. Aber irgendwie habe man sich im Ort damit arrangiert. „Jetzt ist es eben da.“ Auf das Immobiliengeschäft hat die CCS-Anlage laut Sieg bislang keine Auswirkungen gehabt. „Ich hatte in den vergangenen zwei Jahren dazu vielleicht eine oder zwei Nachfragen. Mehr Bedenken gibt es wegen der Deponie.“

Auch Klaus-Dieter Schmidt ist der Kohlendioxidspeicher bestenfalls egal. Im grünen Overall radelt er zusammen mit seinem Sohn Nicklas die hübsch sanierte Rathausstraße entlang. „Der Speicher stört mich nicht. Wenn es zum Knall kommt, bekomme ich das sowieso nicht mehr mit“, sagt er.

Zwar ist eine Explosion von Kohlendioxid wissenschaftlich ausgeschlossen, doch so recht traut Bürgermeister Lück der noch jungen Technologie dann doch nicht über den Weg. Ein CO2-Endlager im industriellen Maßstab, wie es bei Beeskow und Neutrebbin geplant ist, will er in Ketzin dann lieber doch nicht haben. „Ob auch wirklich bereits alle Risiken abgeklopft worden sind, weiß ich nicht.“

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