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Brandenburg: Jubiläum in der Krise

Vom Deichgraf zum Landesvater: Heute vor zehn Jahren wurde Matthias Platzeck Ministerpräsident von Brandenburg

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Rostock/Potsdam - Genau in dem Moment, als er zu sprechen begann, schüttete es wie aus Kübeln. Und der Unglücksrabe stand da im grauen Anzug, ohne Mantel, ohne Schirm. So überreichte Matthias Platzeck, Ministerpräsident von Brandenburg, mit verklebten Haaren und durchnässtem Anzug am Montagmorgen an der Pier von Rostock–Warnemünde dem Kommandanten der Paten-Fregatte „Brandenburg“ das rot-weiße Fahnenband, die höchste zivil-militärische Auszeichnung, die sein „Ländchen“ zu vergeben hat. Anmerken ließ sich der Gast aus Potsdam nichts. Er hielt seine Rede zu Ende, sodass ihm Manfred Stolpe, der mit Frau Ingrid und Enkel Felix die Zeremonie vom Zelt aus verfolgte, später anerkennend auf die Schulter klopfte. Das sei ja „eine richtige Tapferkeitsübung“ gewesen.

Da lachte Matthias Platzeck nur. Was ist schon ein bisschen Unwetter! Er, der dieser Tage von Pleiten, Pech und Pannen verfolgt wird, hatte sichtlich Vergnügen am Termin fernab der Heimat. Er ließ sich das Schiff zeigen, nach oben auf die Kommandobrücke führen, allein. „Ist das der Gefechtsstand?“ Nein, der sei eine Etage drunter. Platzeck plauderte mit dem scheidenden Fregattenkapitän Lutz-Michael Lorentzen, der nach Berlin versetzt wird und mit seiner Familie nach Werder (Havel) zieht. Platzeck erkundigte sich nach der künftigen Schule seiner Kinder. „Das passt doch alles perfekt!“ Ja, hier war er wieder ganz der alte, der trotz grauer, zudem gelichteter Haare noch immer jungenhaft wirkende „Landesvater“, der Menschenfänger, der Zuhörer, neugierig auf Menschen. Die zwei Stunden auf der „Brandenburg“ taten ihm offenkundig gut, weit waren sie weg, die Potsdamer Hiobsbotschaften am Vortag seines Jubiläums.

Heute auf den Tag genau zehn Jahre ist es her, dass der damals 48-jährige Platzeck in Brandenburg von Manfred Stolpe das Kommando übernahm, damit längst einer der dienstältesten Regierungschefs in Deutschland ist. Doch just zum Jubiläum hat er mit dem Fiasko um den Flughafen Schönefeld die wohl schwerste Krise seiner Amtszeit zu bewältigen, eine, durch die er bereits gehörig Glaubwürdigkeit einbüßte und die ihn womöglich sogar das Amt kosten könnte, obgleich Genossen das Undenkbare bisher nicht auszusprechen wagen.

Doch an dem von Manfred Stolpe geerbten Flughafen, dessen Standort er einst als Umweltminister bekämpfte und sich dann zu eigen machte, fliegt Platzeck alles um die Ohren: der Eröffnungstermin, die explodierenden Kosten, die den Landeshaushalt sprengen können. Vor allem aber ist es der fehlende Schallschutz, bei dem er entweder als gegenüber Klaus Wowereit und Peter Ramsauer nicht duchsetzungsstarker Regent dasteht – oder, schlimmer noch, als kalter, herzloser Ministerpräsident, der Tausende Anwohner im Stich lässt und den selbst eigene Genossen in dieser Frage nicht mehr verstehen. „Warum macht er das nur?“ Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera, eine gefährliche Mischung für Platzeck. Nein, die Staatskanzlei hat zum Jubiläum nichts geplant. Und die CDU-Opposition verschickte am Montag prompt eine bissige Grußbotschaft von Generalsekretär Dieter Dombrowski: „Die Brandenburger müssen feststellen, dass Ministerpräsident Platzeck in den letzten Jahren nicht mehr zum Regieren kommt. Stattdessen ist die rot-rote Landesregierung nur mit sich selbst beschäftigt. Platzeck vermittelt den Eindruck, dass ihm die Kraft ausgegangen ist.“

Am 26. Juni 2002 war er im Landtag als Ministerpräsident vereidigt worden, damals als „Hoffnungsträger“ gefeiert, nach einem wahrlich ungewöhnlichen Aufstieg: Der ostdeutsche Arztsohn aus Potsdam, der Biokybernetik studiert hatte, zu DDR-Zeiten als Umweltinspekteur das Gift in der Luft und der Havel maß, hatte sich in den achtziger Jahren in der Potsdamer Bürgerbewegung Argus engagiert, die sich gegen den Verfall der barocken Innenstadt starkmachte. Das politisierte ihn, ließ ihn nicht los. Seinen Machtinstinkt versteckte er seitdem hinter Charme und Fröhlichkeit. Er wurde Umweltminister in der Ampel-Regierung Stolpes, als „Deichgraf“ beim Oderhochwasser 1997 deutschlandweit populär, wechselte ein Jahr später als Oberbürgermeister ins krisengeschüttelte Potsdam, ein nur scheinbarer Abstieg, der ihm dann den Weg zur Stolpe-Nachfolge ebnete. Und selbst Kritiker bescheinigen ihm, dass er das Land seitdem nach oben gebracht hat. Brandenburgs Wirtschaftsdaten sind heute so gut, die Arbeitslosigkeit so niedrig wie nie, in diesen Rankings ist Brandenburg am Rivalen Sachsen vorbeigezogen, auch beim Ausbau erneuerbarer Energien. Bei den Schulen, heute kaum besser als 2002, freilich nicht. Bundespolitische Ambitionen hat er nach seiner Kurzzeit–Lektion als SPD-Bundesvorsitzender, wo er 2005 nach nur fünf Monaten teils überfordert, vor allem aber gesundheitlich am Ende, das Handtuch warf, ohnehin keine mehr. Und in den Umfragen liegt seine SPD ja nach wie vor um  Längen vorn, fährt selbst im Deutschland-Vergleich Traumwerte ein. Es gibt in der eigenen Partei keine ernsthaften Konkurrenten. Berliner Verhältnisse? Undenkbar.

Und doch rückt das Ende der Ära Platzeck näher, läuft es für ihn seit der Landtagswahl 2009 schlecht wie nie zuvor. Erst geriet Brandenburg nach den Stasi-Enthüllungen bei den Linken bundesweit in Misskredit, zerbrach beinahe die umstrittene rot-rote Koalition, dann verlor er mit dem über eine Alimenten-Affäre gestürzten Innenminister Rainer Speer den engsten Vertrauten, der sein Strippenzieher, aber eben auch sein Schutzschild war. Die Partei hat sich neu ausbalanciert, Jüngere rückten vor. Und es ist spürbar, wie angreifbar, verletzbar Platzeck geworden ist. Als er an Bord der „Brandenburg“ auf seinen mangelnden Durchsetzungswillen beim Schutz der BER-Anwohner angesprochen wird, wehrt er ab, versucht zu erklären. Seine Regierung sichere einen „exzellenten Schallschutz“, unterstütze eben nicht das vom Flughafen, von Berlin und dem Bund favorisierte niedrigere Niveau. Das wiederholt er, offenbar selbst davon überzeugt, obwohl er vor Ort das Gegenteil erleben könnte. Eine typische Szene für den veränderten Platzeck, den selbst härteste Vorwürfe nicht mehr treffen, der abgeklärter ist, in sich ruht, Kritik abprallen lässt, oder eben von der zehnjährigen Mühle abgestumpft ist, sie nicht mehr aufnimmt wie früher, ein Stück abgehoben ist. Vielleicht hat er das Stoische von seinem Vorgänger Manfred Stolpe übernommen, dem er immer ähnlicher wird. Der erzählt in Rostock freimütig, dass ihn das Dilemma mit dem nicht fertig werdenden Flughafen an sein Debakel bei der Einführung der Lkw-Maut erinnere. „Da haben mir auch alle Firmen immer hoch und heilig versichert, dass der Termin gehalten wird, da wurde ich schief angeguckt: Wie können Sie so etwas fragen.“ Allerdings habe er, das klingt nach einem versteckten Seitenhieb, sich bei „unabhängigen Leuten“ erkundigt. Entscheidend aber sei: „Der Flughafen wird kommen.“ Und damit hoffentlich auch das Ende der Regierungskrise.

Matthias Platzeck will es offenbar noch einmal wissen. Er hat seine Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2014 angekündigt. Aber selbst in Brandenburg ist nichts unmöglich. Und auch ein Matthias Platzeck ist nicht so abgebrüht, als dass er nicht auch für Überraschungen gut wäre – wer weiß.

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