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Von Markus Hesselmann und Lars von Törne: Kaffeetischgespräche

Unter den nun veröffentlichten US-Geheimpapieren findet sich auch Kritisches zu Berliner Politikern

Stand:

Berlin - Das Urteil ist vernichtend. „Der Zustand Berlins lässt viel zu wünschen übrig“, das Schulsystem sei „schwach“, das Wirtschaftsklima „im besten Fall stagnierend“ – so beginnt eine Einschätzung der US-Botschaft über die politische Lage der Hauptstadt, verfasst im Wahljahr 2006. Bis vor Kurzem war der Bericht an die US-Regierung geheim. Aber seitdem am Wochenende die Internetplattform „Wikileaks“ zahlreiche Dokumente aus US-Regierungsquellen öffentlich gemacht hat, kann jeder nachlesen, was der wichtigste internationale Partner der Bundesrepublik über Berlin denkt.

Schmeichelhaft ist es nicht. Aber es erlaubt interessante Einblicke in die Außenwahrnehmung der Stadt. Und es zeigt, wie sich wichtige politische Akteure Berlins vor der vergangenen Abgeordnetenhauswahl positionierten – in einigen Fällen wurde beim Kaffee mit amerikanischen Diplomaten mehr Klartext gesprochen als gegenüber der Öffentlichkeit.

So wird SPD-Landesgeschäftsführer Rüdiger Scholz mit der Einschätzung zitiert, dass es „wahrscheinlich besser für die Stadt und für Wowereit“ wäre, wenn die Sozialdemokraten nach der Wahl 2006 eine Koalition mit den Grünen eingingen. Gerade angesichts Wowereits damaligen bundespolitischen Ambitionen wären die Grünen „vorzeigbarer“. Offiziell hielt sich die SPD damals jedoch alle Koalitionsoptionen offen – und sollte ja später dann auch auf die Fortsetzung des Bündnisses mit der Linken setzen.

„Ich bin amüsiert, dass so eine Aussage jetzt über Wikileaks öffentlich wird“, sagte SPD-Geschäftsführer Scholz dieser Zeitung am Montag. Eine konkrete Erinnerung an die ihm zugeschriebene Einschätzung einer präferierten Koalition mit den Grünen habe er aber nicht. Den Neuigkeitswert der Veröffentlichung des Dokuments durch Wikileaks hält Scholz allerdings für begrenzt: „Hätten das Weiße Haus und das Pentagon den Tagesspiegel abonniert, hätten sie die selben Informationen bekommen.“ Mit „allergrößter Gelassenheit“ sieht auch Senatssprecher Richard Meng die Veröffentlichung. Großen Ärger löst das Dokument hingegen bei den Grünen aus. „Ich finde es in höchstem Maße irritierend, dass Gespräche, die man vielleicht mal nebenbei bei einem Empfang geführt hat, in Depeschen landen und nach Washington geschickt werden“, sagt Özcan Mutlu, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt. Er wird in dem Bericht mit der Einschätzung zitiert, dass eine Koalition der SPD mit den Grünen wegen der innerparteilichen Flügel „anstrengender“ für die Sozialdemokraten wäre.

Besonders kritisch sehen die Amerikaner Berlins CDU und ihren damaligen Kandidaten Friedbert Pflüger. Die Partei sei „ruiniert“. Pflüger „reiche an Wowereit bei Charisma und Wahlkampffähigkeiten nicht heran“. Die Christdemokraten, so die US-Diplomaten, hätten sich durch jahrelange Grabenkämpfe und Reibereien zwischen „Modernisierern“ wie Pflüger und „old-school“ Konservativen selbst geschädigt. Pflüger selbst findet den Bericht eine „in großen Teilen korrekte Wiedergabe dessen, was damals war“, wie er heute sagt. Die Autoren hätten „die Lage in Berlin relativ gut verstanden“.

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