Von Thorsten Metzner: Kalte Dusche für obersten Richter
OVG-Präsident ließ Verwaltungsrichter wegen Petitesse maßregeln – der gewann vor Gericht
Stand:
Potsdam/Berlin - Er ist der höchste Verwaltungsrichter für Berlin und Brandenburg: Er gilt als untadliger Jurist, hat Aufsehen erregende Urteile gefällt, etwa das Aus für das Wittstocker Bombodrom, zum Flughafen Tempelhof oder zum Bebauungsplan am Potsdamer Griebnitzsee. Aber jetzt ist Jürgen Kipp, Präsident des fusionierten Oberverwaltungsgerichtes (OVG) beider Länder, innerhalb der Justiz in Misskredit geraten. Die berlin-brandenburgische Neue Richtervereinigung erhebt schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten, nämlich „subtile Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit“, eine gescheiterte Personalpolitik der „harten Hand“, mit der Kipp versuche, Richter „gefügig zu machen“. Die Neue Richtervereinigung „missbilligt dieses beispiellose Vorgehen, das auch nicht ansatzweise zur rechtfertigen ist“.
Bei dem Fall, der inzwischen solche Wellen schlägt, der auch den Petitionsausschuss des Potsdamer Landtages beschäftigt, geht es um den Umgang mit dem Potsdamer Verwaltungsrichter Christian Möller. Gegen diesen hatte Kipp 2008 ein Disziplinarverfahren veranlasst. Der Anlass des Verfahrens, das zwei Jahre andauerte, ehe es jüngst vor dem Richterdienstgericht in Cottbus scheiterte, war eine Petitesse. Möller hatte den Zorn des Präsidenten auf sich gezogen, weil er – nicht als Richter, sondern als Privatperson – gegen eine Satzung des Abwasserzweckverbandes in seiner Region klagte und sich von einer Lokalzeitung ablichten ließ, mit einem Gartenschlauch, der „kostenlos seinen Garten sprengende Verwaltungsrichter“. Nun war es brisanterweise der Senat von Kipp am OVG, bei dem die privaten Klagen Möllers liefen. Und prompt wurde der Verwaltungsrichter in seinem Job gemaßregelt.
Alles ging auf OVG-Präsident Kipp zurück. Der hatte nach der Zeitungslektüre den Vorgang, laut einem persönlich unterzeichneten Schreiben an die Chefs der brandenburgischen Verwaltungsgerichte vom 4. Juni 2008, auf die Tagesordnung der nächsten Präsidenten-Dienstbesprechung setzen lassen. Die war am 23. Juni 2008. Dort wurde ausweislich des Protokolls „diskutiert, ob der Richter in seinem Verhalten, gegen das Mäßigungsgebot und die Neutralitätspflicht verstoßen hat“. Und genau das warf man Möller dann in dem erteilten „Verweis“ vor. Ein Verfahren, das der unmittelbare Vorgesetzte von Möller, der damalige Potsdamer Verwaltungsgerichtspräsident Claus Peter Ladner einleitete. Er sei aus der Präsidenten-Dienstbesprechung „mehr oder weniger mit dem klaren Auftrag“ gegangen, „unter Hinweis“, dass dies seine „Dienstpflicht“ sei, wie Ladner später in einem Schreiben vom 22. Oktober 2008 an Kipp („Verschlossen! Persönlich! Vertraulich“) klarstellte.
Möller selbst, bei den Präsidenten in Ungnade gefallen, wehrte sich. Und er konnte in dem Verfahren zudem nachweisen, dass offenbar mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn es um das „Mäßigungsgebot“ für Richter geht. Er präsentierte eine Sammlung von Zeitungsartikeln, in denen sich Kipp und andere Gerichtspräsidenten öffentlich sehr dezidiert äußerten, zu allen möglichen Themen, ohne Disziplinarmaßnahmen fürchten zu müssen. Mal war es Kipp, der sich auf einer Pressekonferenz beklagte, dass das OVG an der Fusion der Obergerichte beider Länder leide. Mal war es der Präsident des Landgerichtes Neuruppin, Egbert Simonis, der in einem Leserbrief zu Korruption in Neuruppin Stellung nahm. Mal war es der Präsident des brandenburgischen Oberlandesgerichtes Wolfgang Farke, der laut einem Zeitungsbericht auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung mal eben kundtat: Gemeinden, die den Winterdienst auf die Anlieger übertrügen, fehle „die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage“.
Für die Neue Richtervereinigung ist der Fall, erst recht nach dem Sieg von Möller vor dem Richterdienstgericht, eine Überschreitung der Befugnisse durch Kipp. Das von ihm veranlasste Disziplinarverfahren sei darauf hinausgelaufen, einen Richter „mit den Mitteln des Disziplinarrechtes zu maßregeln, weil er eine andere Rechtsauffassung hat“. Dieses Vorgehen sei „beispiellos“. Und das rechtsuchende Publikum müsse fragen, „ob die Justiz keine anderen Sorgen hat, als sich mit internen Banalitäten zu beschäftigen“. Das sieht auch der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag, Sven Petke (CDU) so: „Der Fall wirft ein erschreckendes Licht auf das Innenleben der Justiz.“ Kipp selbst wollte sich dazu nicht äußern. Er ließ auf Anfrage an das Potsdamer Justizministerium verweisen, dies wiederum erklärte, zu internen Personalangelegenheiten grundsätzlich keine Auskünfte zu geben. Für Christian Möller ist die Angelegenheit noch nicht erledigt. Er fordert eine Entschuldigung des Präsidenten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: