
© Thiemo Napierski
Brandenburg: Kapitulation einer Feuerwehr
Die Berliner Autobahn war überschwemmt, die Technik spielte verrückt, ständig kamen neue Notrufe. Ein Haus brannte ab, weil kein Fahrzeug da war. Und dann schlug der Blitz in die Verkehrsleitzentrale ein
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Berlin - Die Vorstellung ist beängstigend: Ein Blitz schlägt ein, das Haus brennt – und die Feuerwehr kommt nicht. In der zweiten Unwetternacht in Folge waren Berlins Rettungskräfte überlastet. Weil Personal und Fahrzeuge überall im Einsatz waren, musste eine Familie in Tempelhof eine halbe Stunde auf ein Löschfahrzeug warten. In dieser Zeit brannte die Doppelhaushälfte eines Ehepaars im Marienhöher Weg weitgehend ab, die Flammen konnten sogar auf die andere Haushälfte übergreifen. Verbittert sagt Christina Dörger: „Da ist viel schiefgegangen. Erst kommt ein Rettungswagen und dann ein Auto ohne Schlauch.“ Ihr Mann macht den Helfern keine Vorwürfe, er sagt nur: Zum Glück sei das Haus versichert.
Die Feuerwehr bestätigte am Sonntag, dass alle Löschfahrzeuge der umgebenden Wachen im Einsatz gewesen seien. Ein Rettungswagen sei nach zehn Minuten vor Ort gewesen – dann kam ein Wagen mit einer Drehleiter. Löschen konnte die Besatzung aber nicht. Letztlich rückten freie Löschfahrzeuge aus Charlottenburg und Weißensee aus. Mit Anfahrtswegen von zehn und 17 Kilometern trafen sie um 3.38 Uhr und 3.55 Uhr ein.
Ein Feuerwehrsprecher sagte, dass zum Zeitpunkt der Alarmierung um 3.20 Uhr 50 Löschfahrzeuge stadtweit unterwegs gewesen seien. Sie hatten eh schon viel zu tun – und 120 Einsätze waren zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht abgearbeitet. Zu dieser Zeit hatte die Gewitterfront Steglitz und Tempelhof passiert und zog weiter Richtung Nordosten. Seit 3.16 Uhr galt der Ausnahmezustand.
„Jede Feuerwehr auf der Welt hätte in dieser Nacht kapituliert“, sagte ein Sprecher des Landesbranddirektors. Insgesamt zählte die Leitstelle 214 Wasserschäden, fünf umgestürzte Bäume und 38 ausgelöste Brandmeldeanlagen. Häuser brannten zwei – das der Dörgers und eines in geringerem Umfang in Karlshorst.
Tragisch sei, dass wegen der extremen Gewitterluft die Brandmeldeanlagen so oft falschen Alarm schlugen. In diesem Ausmaß sei dies noch nicht vorgekommen, hieß es bei der Feuerwehr. Ursache sei vermutlich die statische Aufladung der Luft. Während Wasserschäden in solchen Nächten warten können, muss zu einer ausgelösten Meldeanlage ausgerückt werden. Deswegen musste Familie Dörger warten. Das Löschfahrzeug ihrer nächsten Wache war um 3.05 Uhr zu einem Fehlalarm ins Wenckebachklinikum ausgerückt. Die Feuerwehr kündigte an, die Gründe für die steigende Zahl der Fehlalarme mit den Herstellern zu untersuchen.
Kritik kam von einem Feuerwehrmann, der nahe der Brandstelle wohnt. Er hatte das Krachen des einschlagenden Blitzes gehört und in der Nachbarschaft Ausschau gehalten. Als es im Dach der Dörgers zu qualmen begann, wählte er die Notrufnummer 112 – und hing in der Warteschleife. „Das ist immer bei Ausnahmezustand“, sagte der Nachbar. Als Rettungsexperte wählte er um 3.15 Uhr einfach die 110 der Polizei, die eine Direktleitung zur 112 hat. Bei der Feuerwehr kam der Alarm am Marienhöher Weg jedoch erst um 3.20 Uhr an. Meteorologen sprachen von einer besonders intensiven Gewitterlage. Ein Blitz schlug ausgerechnet in der Verkehrsleitzentrale in die Server ein – stundenlang war die Schaltstelle außer Gefecht. Von drei Uhr nachts bis kurz nach neun Uhr am Sonntagmorgen sei der Strom ausgefallen, sagte ein Sprecher. „Das war der denkbar ungünstigste Zeitpunkt.“ Man habe nur für zwei Stunden Notstrom gehabt.
Auch am Sonntagnachmittag waren viele Ampeln in der Stadt noch immer nicht in Betrieb. Bekanntlich können die älteren Anlagen nicht zentral wieder angeschaltet werden, sondern Techniker müssen zu jeder einzelnen Kreuzung ausrücken. Auf großen Kreuzungen wie Greifswalder Straße Ecke Otto-Braun-Straße regelte die Polizei den Verkehr per Hand. Dagegen waren an der Gneisenaustraße Ecke Mehringdamm in Kreuzberg keine Polizisten vor Ort. Augenzeugen berichteten, dass Fußgänger Probleme hatten, um im Gewühl über die Straße zu kommen.
Wegen des Regens – etwa 20 Liter pro Quadratmeter – mussten zahlreiche Unterführungen gesperrt werden, so die A100 in Höhe Sachsendamm. Aus einer Kleingartenanlage war eine Böschung mit tonnenweise Sand abgerutscht, schließlich stand das Wasser eineinhalb Meter hoch auf der Autobahn. Ein Taxifahrer, der die Absperrung umfahren hatte, blieb in den Fluten liegen. Das abgesoffene Fahrzeug wurde später von der Feuerwehr geborgen. Gesperrt waren auch Berliner Allee in Weißensee und Schlichtallee in Rummelsburg.
Meinung, Seiten 6 und 30
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