Von Alexander Fröhlich: Kein „Fahrrat“-Weg zur Polizei
Die meisten Bewerber an der Polizeifachhochschule Oranienburg weisen erhebliche Mängel beim Sport auf – der deutschen Sprache sind sie auch nicht immer mächtig
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Oranienburg - Eigentlich lief die die Bewerbungsfrist nur bis Ende Oktober. Doch nun wurde das Auswahlverfahren für den Polizeinachwuchs im Land Brandenburg, um einen Monat verlängert. Der Grund: Die Polizeifachhochschule in Oranienburg hat Probleme, unter tausenden Bewerbern genügend geeignete Anwärter zu finden. Viele sind unsportlich, teils zu dick oder schreiben „Auftreten“ mit Doppel-t.
„Manchmal wundert man sich schon, wer sich hier so bewirbt“, sagt Linda Bergel, Leiterin der Personalauswahl an der Fachhochschule. Über den Fortgang der Bewerbungen führt sie Statistik, und die sieht von Jahr zu Jahr schlechter aus. Von den 4100 Bewerbern des vergangenen Jahres machten sich überhaupt nur 2321 auf den Weg nach Oranienburg. Viele haben sich auch an Polizeischulen in anderen Bundesländern beworben, die Konkurrenz ist groß. Der Fachkräftemangel macht sich bemerkbar, wie Bodo Böhlemann, zuständig für Personalwerbung, sagt. Er wirbt an Schulen und bei Jobbörsen für die Arbeit in grüner und neuerdings in Brandenburg in blauer Uniform - und es wird immer schwieriger. Bundeswehr, Bundespolizei Fachhochschulen und Universitäten buhlen um Nachwuchs, seit Jahren sinkt die Zahl derjenigen, die sich in Oranienburg bewerben. 2005 waren es noch 5718, ein Jahr darauf 4625 und 2007 schließlich 4108.
Für die Polizeifachhochschule bedeutet das vor allem eins: Die Auswahl wird kleiner – und der Anteil der nicht geeigneten Bewerber immer größer. Von den 1448 Männern und 873 Frauen bei der Aufnahmeprüfung für den kürzlich begonnenen Ausbildungsdurchgang für den gehobenen und mittleren Dienst kamen nur 578 Frauen und Männer durch – hätten, wenn sie gewollt hätten also eine Ausbildung an der Fachhochschule anfangen können.
189 Bewerber wurden dann im Oktober auch für die unterschiedlichen Dienststufen eingestellt – aber die Wartelisten mit Nachrückkandidaten schrumpften mit der Zeit rapide zusammen. „Für den mittleren Dienst stand am Ende niemand mehr auf der Liste“, sagt Personalchefin Bergel. Die meisten sind abgesprungen , haben etwas anderes gefunden. Am Ende blieben gerade genug übrig, damit Bergel überhaupt noch 89 Polizeischüler für die Ausbildung zum mittleren Dienst einstellen konnte. „Wir bräuchten nicht so viele Bewerber, wenn sie topfit wären“, sagt sie.
Wer sich bei der Polizeifachhochschule bewirbt, muss mehrere Prüfungen bestehen, und sich in Einzel- sowie Gruppengesprächen bewähren. Auch Nancy Meyer* aus Berlin versucht es, für die 18-Jährige Gymnasiastin ist Polizistin ein Traumberuf. Gewöhnlich bestellt die Fachhochschule im Auswahlverfahren immer Gruppen von 27 jungen Männern und Frauen aus dem gesamten Bundesgebiet für zwei Tage zum Aufnahmeverfahren nach Oranienburg. Am Ende bleiben je Gruppe dann durchschnittlich nur maximal drei Aspiranten übrig – der Rest ist nicht geeignet
Die erste Prüfung – einen Persönlichkeitstest – hat Nancy bestanden und bewiesen, dass sie trotz Stress den Überblick behält, keine Draufgängerin ist. „Risikohafte Verhaltensweisen ausschließen“, nennt Personalchefin Bergel das. Und es scheint nötig zu sein. Rund 50 Prozent der Männer und 65 Prozent der Frauen haben den Psycho- und Intelligenz-Test im vergangenen Jahr nicht bestanden, hatte sich also schon nach der ersten Runde disqualifiziert.
Der Rest muss ein Diktat mit rund 300 Wörtern schaffen, wie Nancy Meyer. Überhaupt sind Frauen darin besser: 12 Prozent von 308 Teilnehmern erfüllten die Anforderungen nicht, bei den Männer waren es 25 Prozent.
„Manchmal ist es schon ein Trauerspiel, wenn 40 bis 60 Fehler auftreten oder wenn Fahrrad mit t geschrieben wird“, sagt Bergel. In einem Aktenvermerk, wie sie ihn die Polizisten für die Staatsanwaltschaft schreiben müssten, wäre das „ganz schön happig“. Bergels Kollege Böhlemann meint: „Die jungen Leute sollte vielleicht weniger von dem Computer sitzen und weniger SMS schreiben, sondern mal wieder ein Buch in die Hand nehmen.“ Da auch die Schulbildung derer, die durchkommen, oft noch eklatante Mängel aufweist, ist in Brandenburg schon vor Jahren an der Polizeischule der Deutsch- und auch der Mathematikunterricht wieder eingeführt worden.
„Eigentlich sollte man erwarten, dass wir von den Schulen grundlegend ausgebildete Jugendliche bekommen – aber die Bildungseinrichtungen erfüllen die Aufgaben nicht“, klagte schon vor Jahren ein ranghoher Ausbilder in Oranienburg. Und Ähnliches über den Bildungsstand der märkischen Schulabgänger berichten Jahr für Jahr die Industrie- und Handels- sowie die Handwerkskammern.
Nach dem Persönlichkeits- und Deutschtest kommt an der Polizeischule in Oranienburg noch die Sportprüfung. Bis zu der haben es aus Nancy Meyers 27-Anwärter-Gruppe an diesem Tag noch fünf weitere Bewerber geschafft. In den vergangenen Jahren erfüllten bis zu 30 Prozent der Teilnehmer aber auch diese Anforderungen nicht. Zehn Liegestütze müssen Frauen zeigen, Nancy kommt bis zum siebten. Die 17-Jährige Marie Schröder* aus Sachsen-Anhalt bricht schon beim zweiten zusammen.
Sportlehrerin Gisela Lewin-Schöne wundert sich, dass überhaupt jemand beim Sporttest durchfällt. „Das, was wir hier erwarten, sind nur Minimalanforderungen.“ Männer müssen statt der Liegestütze drei Klimmzüge machen. Es folgen ein Dreierhop, ein Pendellauf und ein 2000-Meter-Lauf; Männer müssen dabei knapp unter zehn Minuten bleiben, Frauen etwas unter zwölf.
Warum so viele Bewerber daran scheitern, liegt für Sportlehrerin Lewin-Schöne und Personalchefin Bergel an den bundesweit unterschiedlichen Anforderungen im Sportunterricht. Krafttraining finde kaum statt, zum Teil könnten sich Schüler aussuchen, was sie machen wollen. Marie aus Sachsen-Anhalt berichtet, dass sie an ihrer Schule nur Volleyball spielt.
Dabei würde auch schon etwas Fleiß und eigeninitiative reichen: Lange vor der Prüfung wird den Bewerbern mitgeteilt, was sie für den Sporttest leisten müssen – sie müssten sich nur noch darauf vorbereiten. Personalchefin Bergel aber vermutet: „Manchen fehlt einfach die Selbstdisziplin.“ (* Name geändert)
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