Brandenburg: Kein Herz für Kinder
Gentrifizierung in Berlin wie bei den Großen: Immer mehr Kitas müssen aus ihren Räumen raus
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Berlin - Bald ist Schluss mit Ringelreihen für Nathan, Elsa und die anderen Kinder aus der Kita Girotondo. Schluss mit Singen, Spielen und Toben jedenfalls in den vertrauten Räumen in der BerlinKreuzberger Freiligrathstraße. Denn Girotondo – auf Deutsch: Ringelreihen – muss ausziehen. Der Mietvertrag wird nicht verlängert. Die Mütter und Väter, die die Kita als Elterninitiative organisieren, fühlen sich verdrängt. Die Vermutung: Was hier passiert, ist Gentrifizierung.
Die deutsch-italienische Kita mit 24 Kindern gibt es seit 2003. Bisher lief das mit der Miete unproblematisch. Der Vertrag für die Erdgeschosswohnung war auf ein paar Jahre befristet und wurde dann einfach verlängert. Bis zum vergangenen Sommer. Das Haus bekam einen neuen Eigentümer, den britischen Immobilienfonds „Phoenix Spree Property Fund“. Schnell gab es das Gerücht, das Haus solle in Eigentumswohnungen aufgeteilt werden. Die Befürchtung der Eltern: Ein Kinderladen störe da nur, sei vielleicht wertmindernd. Die Eltern baten um vorzeitige Vertragsverlängerung, sie wollten Sicherheit. Von der Hausverwaltung aber kam die Antwort, dass es keine Verlängerung mehr gebe. Im Sommer kommenden Jahres muss Girotondo raus. Warum es keine Vertragsverlängerung gab, wollte die Hausverwaltung nicht sagen.
Die Gegend zwischen Südstern und Landwehrkanal ist begehrt. In den Straßen schlendert man an Antiquitäten-Trödel, Cafés, Secondhand-Läden und Weinhändlern vorbei, dazwischen gibt es viel Grün und Spielplätze. Exklusive Wohnungen sind hier entstanden, Lofts auf dem Steingasometer in der Fichtestraße, eine ganze Wohnanlage in Gebäuden, die früher zum Urban-Krankenhaus gehörten.
„Wir haben schon so viel versucht. Die italienische Botschaft und die Senatsverwaltung haben sich an den Vermieter gewandt. Wir haben sogar angeboten, mehr Miete zu zahlen. Erfolglos“, sagt Stefania Maffeis. Sie ist im Vorstand des Kinderladens, ihr kleiner Sohn hat noch drei Kitajahre vor sich. „Die Verunsicherung ist groß. Wir wissen nicht, wo und wie es weitergeht“, sagt Maffeis. Die meisten Familien von Girotondo legen Wert auf die zweisprachige Erziehung, die der Kinderladen anbietet. Ein vergleichbares Angebot gibt es nicht im Bezirk. Die Hausverwaltung habe ihnen Ersatz angeboten: eine Souterrain-Wohnung. Eine Kita im Keller. Die Eltern lehnten ab.
Girotondo ist nicht der einzige Kinderladen, der Schwierigkeiten mit dem Mietverhältnis hat. Der Kinderladen „Klein und Stark“ musste nach 37 Jahren aus dem Wrangelkiez weichen. „Nach etlichen Verhandlungen, Demütigungen, Bangen um die Arbeits- und Betreuungsplätze mussten wir am Ende nachgeben“, sagt ein Erzieher. Sie fanden schließlich Räume in Friedrichshain, aber das bedeutete einen Neuanfang. Vielen Familien war der Weg zu weit. Inzwischen sei ein Kiosk in den ehemaligen Räumen. Eine Eisdiele habe bereits wieder zugemacht.
Beim Dachverband der Kinder- und Schülerläden weiß Roland Kern von 16 ähnlich gelagerten Fällen im Zeitraum eines knappen Jahres. „Es nimmt deutlich zu, konzentriert auf Gebiete, in denen die Gentrifizierung durchrollt“, sagt Kern. Die Problematik hängt damit zusammen, dass die Räume dem Gewerbemietrecht unterliegen – und dafür gibt es wenig Regulierung, Verträge können relativ frei gestaltet werden, ein Mietspiegel greift nicht. „Von Kneipen kann man mehr Miete nehmen als von einem Kinderladen“, sagt Kern. Dabei hätten die Kitas auch Vorteile: Sie gehen selten pleite.
In der Senatsjugendverwaltung weiß man von acht Kinderläden mit ähnlichen Problemen in ganz Berlin. „Die Kita-Aufsicht bemüht sich zusammen mit dem Bezirk, individuelle Lösungen zu finden“, sagt Sprecher Ilja Koschembar. Bisher sei das mmer gelungen. Mit weitergehenden Forderungen, etwa nach Regulierung der Gewerbemieten, tut sich die Politik schwer. Das greife zu stark in die Privatwirtschaft ein, so der Tenor. Die Girotondo-Eltern wollen aber genau das: politische Lösungen. Vielleicht so etwas wie einen Bestandsschutz für soziale Einrichtungen: „Mit der Verdrängung selbstorganisierter Träger ist das soziale Gefüge in den Bezirken bedroht.“ Jetzt kümmern sie sich aber erst einmal um ihren eigenen Laden. Sie haben die Gegend um die Freiligrathstraße in 20 Zonen aufgeteilt. Jede Familie schaut in einer Zone, ob es Räume gibt.
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