Brandenburg: Kein Vergleich zu Bayern
Bildungsexperten weisen Senator Sarrazins Kritik an individuellem Unterricht in Berlins Schulen zurück
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Berlin - Bildungsexperten teilen die Kritik des Finanzsenators am Berliner Schulunterricht nicht. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hatte im Zusammenhang mit den teilweise besorgniserregenden Ergebnissen beim mittleren Schulabschluss den verbreiteten Teilungs- und Förderunterricht an Berliner Schulen kritisiert: „Schlichter, solider, leistungsorientierter Unterricht wie in Bayern“ sei effektiver.
„Der individuelle Unterricht muss weiter ausgebaut werden“, widerspricht Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Leistungsorientierte Schulsysteme seien nicht die besten. Vielmehr müsse die Qualität des Förderunterrichts verbessert werden. „Die Lehrer müssen lernen, wirklich auf die Schüler einzugehen.“ Es gebe – anders als Sarrazin glaube – immer noch viel zu viele Lehrer, die sich nicht von ihrem klassischen Unterricht an der Tafel trennen könnten. Ein Vergleich der Schülerleistungen in Berlin und Bayern sei, „als vergleiche man Äpfel mit Birnen“.
Sarrazin stützt seine Kritik auf eine Statistik, die zeigt, dass die Berliner Schüler- Lehrer-Relation im bundesweiten Verglich besonders gut ist: Im Schnitt kommen in Berlin 13,7 Schüler auf einen Lehrer. 16 Schüler sind es im Bundesdurchschnitt. In Bayern betreut ein Lehrer 16,7 Schüler, in Hamburg 15. An Berliner Hauptschulen sieht die Situation sogar noch besser aus: Dort steht für 9,2 Schüler ein Lehrer zur Verfügung. Das sind fast drei Schüler weniger als in Hamburg und rund fünf weniger als im Bundesdurchschnitt (14,4).
Berliner Schüler seien nicht problematischer als andere, sagt Sarrazin. Die Statistik zeigt auch, dass es in Hamburg, Bremen, Baden-Württemberg und Hessen mehr Schüler mit Migrationshintergrund gebe als in Berlin. Diese Gruppe hatte beim mittleren Schulabschluss – dem Ersatz für die frühere mittlere Reife – besonders schlecht abgeschnitten.
Als „völligen Blödsinn“ bezeichnet Mieke Senftleben, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Sarrazins Kritik am Förderunterricht: „Wir müssen weiter in Richtung Individualität gehen.“ Bei den Zahlen zur Schüler-Lehrer-Relation müsse man berücksichtigen, dass 3000 der 21 000 Berliner Vollzeitlehrer vom Unterricht freigestellt seien – als Schulleiter oder Personalräte.
Sarrazins Kritik sei „sehr kurz gegriffen“, findet Rose-Marie Seggelke, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (GEW). Der Finanzsenator gehöre doch dem Senat an, und der habe sich für eine intensive individuelle Förderung entschieden. „Wenn die SPD plötzlich der Meinung ist, dass die Integrationsbemühungen zu teuer sind, soll sie das ehrlich sagen.“
Auch Seggelke findet den Bayern-Vergleich zweifelhaft: Dort gebe es keine vergleichbare Anhäufung von sozialen Brennpunkten. „Und wir haben die höchste Quote bei Kinderarmut.“ Zudem würden in Bayern weniger Schüler Abitur machen. Die Pädagogin sieht die Ergebnisse des mittleren Schulabschlusses nicht ausschließlich negativ: „Dass 42 Prozent der Hauptschüler die Prüfung bestanden haben, ist ein gutes Ergebnis.“ Ursache für die Defizite der anderen ist ihrer Meinung nach die mangelnde fachliche Eignung der Mathe- und Deutschlehrer in den Klassen 5 und 6. Oft seien sie nicht in diesen Fächern ausgebildet. Auch für Seggelke liegt die Lösung daher in einer besseren Qualifizierung der Lehrer. Sie erwartet, dass viele durchgefallene Schüler die zehnte Klasse freiwillig wiederholen werden: „Sonst haben sie keine Chance auf eine Lehrstelle.“ Das würde aber problematisch, da es für eine solche Zahl von Zehntklässlern nicht genügend Lehrer gebe.
Safter Çinar ist ebenfalls nicht mit Sarrazins Kritik einverstanden. Der Vorsitzende des türkischen Elternvereins sagt: „Die meisten Länder, die in der Pisa-Studie gut abgeschnitten haben, leisten sich eine individuelle Förderung der Schüler.“ Bildungspolitik sei keine statistische Angelegenheit, sondern solle sich nach dem tatsächlichen Bedarf richten. Daniela Martens
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