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POSITION: Kein Weg in die kleine DDR

Wohin führte der Brandenburger Weg? Ein Beitrag zur Nachwende-Debatte

Stand:

Vergangenheit ist immer eines – sie ist vorbei. Was wir heute als Vergangenheit diskutieren, ist nur eine (Re-)Konstruktion aus heutiger Sicht – aus der Perspektive unserer heutigen vielfältigen Fragen und vielschichtigen Interessen, unserer nachhaltigen, sehr individuellen Prägungen und Erwartungen, aus dem Bedürfnis heraus zu verstehen, warum das Heutige so (geworden) ist, wie es ist, und was das für das Künftige bedeutet. Auch Dokumente und andere Zeugnisse der Vergangenheit sind nicht Hort einer unverrückbaren Wahrheit, anhand derer sich unsere Erinnerungen und Thesen in wahr und falsch scheiden ließen – auch diese Zeugnisse spiegeln sich im Licht unserer Fragen, Sorgen und Hoffnungen.

Genau das erleben wir gerade mit der Landtags-Enquetekommission zur jüngeren Geschichte und Entwicklung Brandenburgs. Aus den 90er Jahren stammt dafür der Begriff vom „Brandenburger Weg“. Was hat er gebracht und was ergibt sich daraus für heute und morgen?

Eines war der Brandenburger Weg nicht: der „Weg zur weitgehend unterbliebenen Aufarbeitung der SED-Diktatur“, wie Klaus Schroeder dieser Tage in der PNN schrieb. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist in Brandenburg genauso wenig unterblieben wie in irgend einem anderen ostdeutschen Bundesland – ein genauerer Blick in das Datenmaterial einer Mehrzahl der für die Enquete erarbeiteten Gutachten bestätigt das. Und: Der „Brandenburger Weg“ war ein gesellschaftspolitisches Konzept – das einzige ab 1990 von einer SPD-geführten Regierung entwickelte und umgesetzte – für die Überführung Ostdeutschlands von Diktatur und Staatswirtschaft in Demokratie und Marktwirtschaft, von einer geschlossenen in eine offene Gesellschaft. Er schloss die Frage ein, wie und wie radikal die Rückbindungen an die Diktatur gekappt werden – aber er reduzierte sich nicht darauf.

Der Brandenburger Weg lebte von der Idee, Menschen ihren Weg in die neue Zeit zu eröffnen. „Diese Landesregierung“, so Manfred Stolpe am 20. August 1997 in einer Regierungserklärung („Den Brandenburger Weg neu bestimmen“), „ist mit dem Anspruch angetreten, den Menschen in Brandenburg eine Perspektive im vereinten Deutschland und dem Land einen angemessenen Platz unter den Ländern der Bundesrepublik und in den Regionen Europas zu verschaffen“. Als die „Leitgedanken, die die Richtung brandenburgischer Politik von Beginn an geprägt haben“, nannte er sodann „Solidarität, Regionalität und Innovationsfähigkeit“. An diesen Leitgedanken – „eingeführt als der ,Brandenburger Weg’“ (Stolpe) – entspann sich denn auch die Debatte – seitens der PDS wie auch der anderen Oppositionspartei, der CDU. Deren Abgeordneter Markus Vette rückte Stolpe sogar in die Nähe des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Vettes Fazit: „Diese Regierungserklärung lohnt für die nächsten Jahre beachtet zu werden.“ Auch sein damaliger Fraktionsvize Wolfgang Hackel bezeugte „persönliche Sympathie“ für die Leitgedanken und forderte Stolpe auf, „deutlich zu machen, wie Sie das, was Sie ankündigen, auch wirklich umsetzen wollen, und zwar sowohl heute als auch in Zukunft“. Wenige Woche nach dieser Debatte war Hackel Fraktionschef. Und auch die spätere CDU-Landesvorsitzende Carola Hartfelder beschränkte sich auf eine Intervention in Sachen Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Lediglich in einem einzigen Satz – beim CDU-Abgeordneten Bartsch – tauchte der Gedanke auf, der Brandenburger Weg diene dazu, „Teile der DDR zu konservieren“ – aber der Kontext dafür war damals die massive Kritik von Konservativen und Liberalen an der engagierten Sozialpolitik von Regine Hildebrandt (SPD).

Lothar Bisky, damals Fraktionsvorsitzender der ebenfalls oppositionellen PDS, spannte den Bogen weiter als Stolpe – unter ausdrücklicher Akzeptanz von dessen Leitgedanken. Für Bisky zeichnete sich der Brandenburger Weg „durch einen ausgeprägten politischen Willen aus, im Interesse und unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger zu politischen Lösungen zu kommen. Er hatte einen starken Nährboden in der demokratischen Erneuerungsbewegung des Herbstes 1989 – und auch ... in unserer selbstkritischen Erkenntnis bezüglich der Vorgänge in der Vergangenheit. Es ging um soziale und ökologische Verantwortung und darum, ostdeutsche Spezifika aufzunehmen. Höhepunkt war die gemeinsame Arbeit an der Verfassung, Schwerpunkte waren aber auch die Rolle Brandenburgs als Tor zum Osten, die Einführung von LER, die Sicherung der Agrargenossenschaften, die aktive Gestaltung des zweiten Arbeitsmarkts und die sozialen Leistungen“.

Von Stasi-Überprüfungen und SED-Seilschaften war in dieser Landtagsdebatte 1997 an keiner Stelle die Rede. Hatte sich das „Schweigekartell“ versammelt? Das wird mancher so sehen wollen. Doch wenn dieser Streit seinerseits ein Schweigekartell hervor bringen soll – eines, das ins Gedächtnisloch stoßen will, was Idee und Realität des Brandenburger Weges waren, dann ist damit weder der Modernisierung unseres Landes noch der Glaubwürdigkeit von Politik und Enquete-Kommission genutzt.

Bei der Einsetzung der Enquetekommission hat die SPD-Links-Koalition deren Auftrag auf „Verlauf und bisherige Ergebnisse des Transformationsprozesses im Land Brandenburg“ ausgeweitet. Damit rücken in nächster Zeit Fragen wie die auf die Tagesordnung, inwiefern in Brandenburg ein „angemessenes, zukunftsfähiges und nachhaltiges ökonomisches Modell“ entstanden ist, ob und – wenn ja – warum gesellschaftliche Gruppen den Anschluss an die Dynamik des Transformationsprozesses verpasst haben, wie es um die „demokratische Konsolidierung der politischen Kultur“ hierzulande bestellt ist und wie das „Spannungsverhältnis“ aufgelöst wurde, in dem „die politischen Ziele (standen), einerseits größtmögliche politische und soziale Integration und Systemkonsolidierung zu erreichen und andererseits die Aufarbeitung der SED-Diktatur voranzutreiben“. Der Brandenburger Weg wird also weder vergessen noch wird er unkritisch wieder aufleben, wenn man sich daran erinnert, was er wirklich war. Ein Weg zu einer „kleinen DDR“ war er nie.

Der Autor gilt als ein Vordenker des Linke-Realo-Flügels, war Leiter des Bereiches Strategie und Grundsatzfragen beim Parteivorstand der PDS und ist heute Mitarbeiter der brandenburgischen Fraktionschefin Kerstin Kaiser in der Fraktion und in der Enquete-Kommission

Thomas Falkner

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