Brandenburg: Keine Angst vor der Oberschule
Eine Analyse zur bevorstehenden Zusammenlegung von Gesamt- und Realschulen im Land Brandenburg
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Eine Analyse zur bevorstehenden Zusammenlegung von Gesamt- und Realschulen im Land Brandenburg Von Thorsten Metzner Nun ist es amtlich: Zum Schuljahr 2005/2006 wird in Brandenburg die „Oberschule“ eingeführt. Sie wird, so beschloss es der Landtag jetzt mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen von SPD und CDU, die bisherigen Gesamtschulen ohne Abiturstufe und Realschulen ersetzen. So einschneidend wurde die hiesige Schullandschaft seit 1990 nicht verändert. Begleitet wird das Vorhaben von massiver Kritik – von der PDS, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), von Eltern- und Schülervertretungen. Die Unsicherheit unter Eltern und Lehrern ist groß, und die Zeit knapp. Eltern der jetzigen Sechstklässler müssen sich schon im Frühjahr 2005 entscheiden, ob sie ihre Kinder an der neuen, unbekannten Oberschule anmelden – oder an den herkömmlichen, etablierten Gymnasien. Bei dieser Ausgangslage muss befürchtet werden, dass besorgte Eltern selbst Kinder, die womöglich die Anforderungen für Gymnasien gar nicht erfüllen, „vorsorglich“ trotzdem an Gymnasien anmelden. Ist wirklich etwas dran an den Horrorszenarien? Ist die Fundamental-Kritik der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft berechtigt, Brandenburg ziehe die falschen Konsequenzen aus dem PISA-Flop? Zunächst: Ängste sind noch nie gute Ratgeber gewesen. Und die „Oberschule“ ist im Kern gar nicht neu, neu ist allenfalls ihr Name. In Sachsen heißt die gleiche Schule Mittelschule, in Thüringen Regelschule. Es sind übrigens Länder, die bei den Pisa-Studien deutlich besser abschnitten als Brandenburg. Zweitens gerät bei den hitzigen Debatten meist in den Hintergrund, dass der ausschlaggebende Grund für die Einführung der Oberschule in Brandenburg überhaupt gar kein pädagogischer ist – sondern simple Mathematik. Es gibt zu wenige Kinder in Brandenburg, um sich weiterhin in diesem dünn besiedelten Flächenland den Luxus von drei weiterführenden Schultypen nach der Grundschule – nämlich Gesamtschule, Realschule und Gymnasium – leisten zu können. Schon die Einführung dieses viel zu zergliederten Systems war ein Fehler, da die Schülerrückgänge längst absehbar waren. Die Realität sieht heute so aus: Eltern in den dünn besiedelten Regionen des Landes haben praktisch längst keine freie Wahl mehr, ob sie ihre Kinder auf die Realschule oder auf eine Gesamtschule schicken. Sie müssen die Schule wählen, die am nächsten liegt – und selbst das kann schon eine Stunde Schulweg bedeuten. Bildungsexperten, SPD und PDS, aber auch die GEW haben deshalb seit Jahren die Zusammenlegung der bisherigen Real- und Gesamtschulen zur „Sekundarschule“ gefordert, die nun „Oberschule“ heißt. Der Haupteinwand der Kritiker lautet, dass nun unter dem Dach der neuen Oberschule die bisherige Zergliederung des Schulsystems im Grunde fortgeschrieben wird. Ja, das stimmt – weil es anders in diesem dünn besiedelten Land mit seinen langen Wegen gar nicht geht, wenn man an einer Schule zwei Abschlüsse anbieten will. Auch das hat etwas mit Chancen-Gerechtigkeit zu tun. Deshalb kann es an den früheren Realschulen künftig eben auch so genannte Hauptschul-Klassen geben, an den früheren Gesamtschulen auch einige Realschulklassen. Der Aufschrei, dass Stärkere und Schwächere getrennt werden, erscheint übertrieben. Denn selbst an den Gesamtschulen – die für „gemeinsames Lernen“ stehen – büffeln ja nicht alle Kinder ständig zusammen. Sie werden auch dort nach Leistungsvermögen in Grund- und Leistungskurse getrennt. Und sonst? Im Alltag der Oberschulen wird sich gegenüber den früheren Real- und Gesamtschulen wohl kaum etwas ändern, weil man vor Ort entscheidet, wie der Unterricht gehalten wird – ob in Klassen oder in Kursen. Klar: Man könnte Brandenburgs Schulsystem noch radikaler umkrempeln. Man könnte die neue Oberschule noch stärker machen – als einzige weiterführende Schule nach der Grundschule, wie es die GEW fordert. Dies würde aber bedeuten, dass Brandenburg als erstes Land in der Bundesrepublik die bisherigen, erfolgreichen Gymnasien abschafft, die hierzulande dann erst ab Klasse 9 starten würden. Ob dies zum angestrebten Abitur nach der 12.Klasse passt? Ob dies die Mehrheit der Brandenburger befürwortet? Kann sein, muss aber nicht. Fest steht, dass sich ein solcher Kurswechsel nicht übers Knie brechen ließe und einen breiten gesellschaftlichen Konsens erfordern würde, den es so bisher nicht gibt. Er wäre aber auch dann noch möglich, wenn sich die neue Oberschule etabliert und bewährt hat. Realpolitik, auch Bildungspolitik ist immer die Kunst des Möglichen. Vor der neuen „Oberschule“ muss jedenfalls niemand Angst haben.
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